Bhakti, Indien-Blog 2012

Indien-Blog 01

16.02.2012

Der Flug nach Indien startete um 6 Uhr früh in Berlin Tegel. Ich war um 2.30h aufgestanden und um 3.30h zum Flughafen gefahren. Nachts um 23.30h kam ich in Dehli an. Der erste Eindruck, den ich in Indien erleben durfte, war der Flughafen – ein in jeder Hinsicht westlicher Zustand.

Glücklicherweise hatte mein Freund, Sadhu Maharaj, einen Taxifahrer geschickt. Wir fuhren durch das nächtliche Indien Richtung Vrindavan, das ca. 110 km südlich von Dehli liegt. Die Straßen waren in gutem Zustand, anders als vor vier Jahren, als ich das letzte Mal in Indien war. Insgesamt erscheint mir die wirtschaftliche Entwicklung durchaus deutlich sichtbar vorangegangen zu sein. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass die Autos und LKWs in einem besseren Zustand sind und der Verkehr nicht mehr ganz so chaotisch wie damals ist. Es ist durchaus eine gewisse Struktur erkennbar.

Sadhu Maharaj


Trotzdem war ich unendlich froh, als ich endlich in mein geliebtes Vrindavan kam, wo noch die alten Zustände herrschen: Kühe, Schweine, Ziegen und Hunde auf der Straße, halsbrecherische elektrische Leitungen an den Häusern, baufällige Hütten und ein Duft von offenem Feuer. Es war Nacht und ich sollte erst am nächsten Tag das Leben auf der Straße wieder sehen.

Im Tempel-Ashram angekommen, wurde mir ein Zimmer zugewiesen. Echt indische Verhältnisse! Eine karges, düsteres Zimmer, eine Holzpritsche mit einem dünnen matratzenähnlichen Belag, schmutzige Bettwäsche, die Farbe von den Wänden teilweise abgeblättert, ein angeschlossenes „Badezimmer“, bestehend aus einer indischen Toilette und einem Wasserhahn mit kaltem Wasser.

Von alledem ließ ich mich aber nicht schocken. Ich kenne das ja schon. Mein Ziel in Vrindavan ist es, in die Beziehung zu Göttin-Gott einzutauchen, die hier Radha und Krishna genannt werden und ganz besondere Eigenschaften haben, und meine ewige spirituelle Identität wieder zu finden. Deshalb war das Allererste, was ich bei der Ankunft in Vrindavan vor den Toren des Tempels getan hatte, meine Ehrerbietung dazubringen. Zu diesem Zwecke hatte ich schon im Auto die Schuhe und Strümpfe ausgezogen, denn es ist ein Zeichen von Respekt gegenüber dem Göttlichen, ihm barfuß zu begegnen – und schon die Erde und der Staub von Vrindavan sind heilig – und auf die Knie zu gehen und den Boden mit den Händen und mit der Stirn zu berühren.

Ich glaube, es ist wichtig, sich angesichts des Göttlichen klein machen. Mein Ego ist ohnehin groß genug, darum brauche ich mir keine Sorgen zu machen. Aber um Göttin- Gott zu begegnen, ist Demut angesagt. Das sollte die Sorge eines jeden Menschen sein, auf dem spirituellen Weg voranzuschreiten ohne zu zögern.

Ein kleiner Rundgang durch den Munghir Tempel:

Der Morgen begann mit Wiedersehensfreude und Begrüßungen. Es war schön, Sadhu Maharaj und Vrnda devi wieder zu sehen, ganz alte Freunde von mir. Ich bekam ein leckeres Frühstück und telefonierte mit meiner Freundin Pratibha, mit der ich mich bereits im Vorfeld verabredet hatte. „Zufälligerweise“ sollte genau zum Zeitpunkt meines Eintreffens in Indien die Eröffnung eines neuen Tempels in Vrindavan stattfinden. Dieser Tempel, der Prem Mandir von Kripalu Maharaj, ist eines der größten Ereignisse der letzten Jahre in der Gegend. 11 Jahre hatten sie an diesem Tempel gebaut, er besteht aus purem italienischem Marmor und wurde ohne Zement, Mörtel, Beton oder Stahl gebaut. Die Steine sind so geschnitzt, dass sie wie mit einem Click ineinanderpassen. Tausende Jahre zurück in die Vergangenheit baute die alte vedische Kultur ihre Tempel auf diese Weise. Es gibt in den Veden eine ganze Architekturwissenschaft, den Stapadya-Veda. Die alte vedische Kultur hatte Tempel gebaut, die auch heute nach 2000 Jahren teilweise noch stehen. Der neugebaute Prem Mandir erweckt auf mich den Eindruck, dass er wohl auch 2000 Jahre stehen wird.

Der Prem-Tempel in Vrindavan:

Viele Menschen fragen sich, warum man eigentlich Geld für einen Tempel ausgeben soll, wo es doch so viel Armut auf der Welt gibt. Über diese Frage habe ich mir auch schon viele Gedanken gemacht und auch den Tag gestern dazu benutzt, um mit einigen Menschen darüber zu sprechen. Unter anderem fragte ich einen Anhänger von Kripalu Maharaj, einen Australier, der schon 25 Jahre in dieser Gemeinschaft dabei ist, was das Motiv für einen solch opulenten Tempel ist, für den sie das Marmor extra aus Italien herbeigeschafft haben. Warum spenden sie das Geld nicht den armen Menschen? Er antwortete mir, das Kripalu Maharaj bereits seit vielen Jahren karitative Programme unterhält, in der Form von Krankenhäusern, Schulen und Grundversorgung für Arme. Spirituell gesehen ist es jedoch ein Problem, Menschen Geld zu geben, weil dies ihr materielles Bewusstsein und ihr materielles Ego verstärkt. Das materielle Ego ist jedoch die Ursache dafür, dass der Mensch sich vom Spirituellen und von Gott entfernt. Und weil der Mensch Gott vergisst, und sich stattdessen selbst an dessen Position als höchste Autorität zu stellen geneigt ist, verursacht er sehr viel Störungen und Leiden in seinem Umfeld und bei sich selbst. Die höchste Wohlfahrtsarbeit besteht deshalb darin, den Menschen zum spirituellen Bewusstsein zu bringen. Alles andere sind nur temporäre Zwischenlösungen, Symptombekämpfung, kurzfristige Linderung, die postwendend wieder in Leiden umschlagen. Die Identifizierung mit dem materiellen Bewusstsein bedeutet, dass der Mensch glaubt, er könne die Mitwelt wie tote Objekte behandeln, die man nach Belieben ausbeuten kann. Für einen solchen materiellen Menschen ist die Erde nur ein Objekt der Ausbeutung, und ebenso sind es die Pflanzen, die Tiere und die anderen Menschen. Der Materialist sieht überall um sich herum nur ausbeutbare Objekte, die er genießen und sich einverleiben kann. Materielles Bewusstsein führt auch zur Verwirrung über die eigene Identität und die Realität an sich. Die Wahrnehmung ist gestört. Liebe kommt im materiellen Bewusstsein nicht vor, es sei denn, wenn darin ein eigener Vorteil enthalten ist.

Der neue Prem-Mandir in Vrindavan


Die Verwirrung bezüglich der eigenen Identität bedeutet, dass man sich nicht mehr als spirituelles Lebewesen erkennt, sondern sich vollständig mit dem materiellen Körper identifiziert und glaubt, die Befriedigung der physischen Bedürfnisse wie Essen, Schlafen, Sich-Paaren und Verteidigung seien das Ziel des Lebens. Diese materielle Identifizierung mit dem Körper, mit dem Essen und den äußeren Bedingungen ist äußerst umfassend und weit greifend. Das Spektrum ist sehr weit und es ist schwierig, pauschale Aussagen zu machen. Natürlich ist ein Mensch, dessen Existenz gefährdet ist, weil er nichts zu essen hat, zu Recht darum besorgt, etwas zu essen zu bekommen, und sein Bewusstsein ist voll und ganz auf dieses Motiv ausgerichtet. Hier geht es um das Überleben. Etwas anderes ist es jedoch, wenn meine lieben, lieben Freunde aus Deutschland bei der Vorstellung nach Indien zu fahren leuchtende Augen bekommen, weil es dort so schön warm ist. Wie viele Menschen gibt es im Westen, die lamentieren, weil es im Winter etwas kalt ist, und die die Vollkommenheit des Lebens darin zu sehen scheinen, ihre Zeit unter der Sonne des Südens totzuschlagen. Vielleicht sind meine Worte hier gerade etwas hart, aber ich kann es nicht nachvollziehen, warum ich meinen Körper in ein südliches Land transportieren soll, weil dort die Sonne scheint und es wärmer ist. Das ist für mich kein Lebensinhalt. Natürlich sitze ich jetzt auch hier in der Sonne und es ist schön warm, 23°, das ist aber ein Nebenprodukt meines spirituellen Motivs. Und hier kann man auch ganz schön sehen, wie einem die Motivation zum spirituellen Leben auch materielle Vollkommenheiten verschafft. Ich sitze in der Sonne und die Leute, die ins Warme reisen wollen, sitzen in Deutschland im Kalten. Im Warmen zu sein, ist ein materielles Motiv, es betrifft nur den Körper und äußere Umstände. Die Identifizierung besteht darin, dass man es als Freude und Genuss erfährt, aus dem dann ein Lebenssinn oder eine Idee abgeleitet wird, dass dies ein erstrebenswertes Ziel und ein erfolgreiches Leben ist. Für mich war das noch nie ein fühlbares Motiv.

Ein Rundgang über das Gelände des Prem-Tempels:

Jedenfalls habe ich mich dann bei diesem Fest zur Eröffnung des Tempels mit meiner Freundin Pratibha getroffen, einer Inderin, die in Vrindavan geboren und aufgewachsen ist und die Liebe zu Göttin-Gott, zu Radha-Krishna, von Kindesbeinen an intensiv erlebt und erfahren hat. Sie ist ein Phänomen. Sie spricht nur Hari-kata, das bedeutet Gespräche über Gott. Sie spricht immer nur von Radha und Krishna und von ihrem Guru, Kripalu Maharaj. Das ist das Besondere an Vrindavan, hier gibt es Menschen, die völlig im Gottesbewusstsein absorbiert sind. Vrindavan ist ein uralter Pilgerort in Indien, denn hier sind vor 5000 Jahren Radha und Krishna erschienen. Mir ist erst letztens die Bedeutung von Krishna bewusst geworden, und zwar als ich mein Visum beantragte. Auf der Homepage der indischen Botschaft haben sie auch die indischen Feiertage gelistet, um dies bei der Beantragung des Visums entsprechend einplanen zu können. An Feiertagen ist das Büro geschlossen, was zur Verzögerung der Bearbeitung führt. Zu den landesweiten indischen Feiertagen gehört Janmastami, dies ist der Erscheinungstag von Krishna. Der Erscheinungstag von Shiva, Shiva ratri, ist allerdings kein offizieller Feiertag. Wir aus unserer westlichen Perspektive missverstehen das gelegentlich. Shiva ist im Westen bekannter geworden, vielleicht auch, weil er zu dem westlichen Lebensstil kompatibler ist. Die wichtigere Gottheit ist jedoch Krishna, so ist meine Meinung. Und mit Bedeutung meine ich nicht die äußerliche im Sinne von Ruhm, Macht oder Zahl der Anhänger. Ich meine es mehr im Sinne der spirituellen Tragweite. Es würde allerdings viel zu weit führen, dass jetzt und hier zu erklären, was Krishna bedeutet, und was Radha bedeutet, und was ihre Beziehung bedeutet. Ich habe dazu einige Artikel und Texte geschrieben, die in der Tattva Viveka erschienen sind. Außerdem gibt es dazu natürlich reichhaltige Literatur von ausgewiesenen Experten.

Radha-Mohan, die Bildgestalten im Tempel

Hier im Tempel werden Radha und Krishna verehrt. Sie heißen hier Radha-Mohan (siehe Abb.). Mohan ist ein Name von Krishna und bedeutet: derjenige, der uns verrückt vor Liebe macht.
Heute Morgen stand ich vor den Bildgestalten von Radha-Mohan im Tempelraum, und da wurde mir klar, warum der Körper wertvoll ist. Wir hatten am Vorabend diese Diskussion, von wegen der Körper ist ein Sack aus Stuhl und Urin – ein stehende Redewendung in der indischen Tradition. Ich hasse diese Aussage. Sie ist für mich ein Ausdruck der Verachtung des Körpers und der diesseitigen Welt, was aus meiner Sicht spirituell nur in den Abgrund führen kann. Was diese Aussage sagen will, ist, dass es falsch ist, im materiellen Bewusstsein an den Körper angehaftet und mit ihm identifiziert zu sein. Diese Idee ist schon richtig. Es geht darum, sich mit der spirituellen Seele zu identifizieren. Warum der Körper allerdings doch wertvoll ist und zu einem vollständigen Verständnis der Realität integriert werden muss, kam mir direkt vor dem Altar.

Wenn ich mit meinem Körper vor den Bildgestalten im Tempel erscheine, ist das Wichtigste nicht, dass ich sie sehe, sondern dass sie mich sehen. Meine vollständige Realität beinhaltet den spezifischen und einzigartigen Ort innerhalb von Raum und Zeit, an dem ich mich jetzt und hier gerade befinde. Dies ist meine vollständige Realität, meine Ganzheit und Vollständigkeit. Dies umfasst meine spezifische Position innerhalb des Raumes und innerhalb der Zeit und ist hier keineswegs materiell zu verstehen. Es gibt in der spirituellen Sicht keinen Unterschied zwischen Materie und Spirit. Nur in der materiellen Sicht gibt es diesen Unterschied. Deshalb gibt es in der Wirklichkeit und in der spirituellen Sicht keinen materiellen Körper oder eine materielle Welt. Diese existiert nur in unserer Vorstellung, die aus dem materiellen, ausbeuterischen Bewusstsein geboren wird. Dies ist die Illusion, Maya, von der die Weisen der spirituellen Traditionen sprechen (sollten). Die Idee, dass diese Illusion außerhalb von mir ist, ist falsch. Außerhalb von mir ist nur Spirit. Nur das Spirituelle ist real. Das Materielle ist temporär real oder völlig irreal.

Deshalb ist es nicht unwesentlich, was für ein Körper ich habe und wo er sich befindet. Mein Leib ist vollständig mit meiner Seele verbunden, denn mein Leib ist Ausdruck meiner seelischen Energie. Mein Leib ist der Mäander, den meine spirituelle Seele aufwirft, wenn sie sich in die materielle Energie hineingräbt. Mein Körper, mein Leib, ist eine Welle in der energetischen Struktur der Materie.

Deshalb ist es nicht unwesentlich, ob mein Körper und damit meine Seele sich unmittelbar vor den Bildgestalten befinden oder woanders. Das ist doch eigentlich evident. Wenn ich mit meinem Körper im Tempel bin und von den Bildgestalten leibhaftig gesehen werde, ist das intensiver als wenn ich mit meinem Körper woanders bin. Göttin-Gott können mich zwar jederzeit und überall sehen, die Realität spielt sich informatorisch und energetisch sehr wohl im feinstofflichen Bereich ab, aber im Sinne der Realität ist das nicht die gleiche Intensität und Direktheit. Darüberhinaus ist es eine stärkere Zuwendung zu Gott, wenn ich körperlich im Tempel bin.

Diese Bedeutung für die Realität und die Wahrheit ist auch der erkenntnistheoretisch essenzielle Grund, warum Gott sich in Bildgestalten manifestiert, und warum einige Menschen dieses Verständnis haben, dass diese Bildgestalten identisch mit Gott sind. Es handelt sich in diesem Verständnis bei dem Bildgestalten nicht um Symbole oder Repräsentationen der Gottheit, sondern um die Gottheit selbst (wenn auch nicht der einzige Ort, wo sich die Gottheit befindet). Dies ist keinesfalls ein naives, kindliches Verständnis von Religion, sondern im Gegenteil die höchste Verwirklichung der Realität. Eben aus diesem Grund, weil der spezifische Ort und Zeitpunkt für die Seele von Bedeutung sind. In der Form zeigt sich die Lokalisierung, die Abgrenzung und Individualisierung der Entität. Anders gesagt: Da ist sie, jetzt, so. All dies hat Bedeutung. Und deshalb ist es wesentlich, mit meinem Körper vor den verkörperten Bildgestalten zu erscheinen, um den vollen Kontakt zu erreichen. Dies ist der volle Kontakt im Hier und Jetzt auf allen Ebenen: physisch, emotional, mental und spirituell. Nur in diesem vollen Kontakt entfaltet sich die vollständige Realität im Hier und Jetzt, was gleichzeitig bedeutet: überall und jederzeit. Nur daraus entfaltet sich also die vollständige ewige und allumfassende Wahrheit. Dies ist für mich der Grund, warum der Körper nicht wertlos oder unwesentlich ist, und warum er unvorstellbar viel mehr ist als ein Sack aus Stuhl und Urin. Der Körper, oder der Leib, ist selbst ein spirituelles Phänomen.

Sadhu Maharaj spricht über die spirituelle Form:

Standard

2 Gedanken zu “Indien-Blog 01

  1. Andreas Freund schreibt:

    Lieber Ronald,

    Ich freue mich, Deine Erlebnisse in Indien zu lesen. Ich selbst bin etwas mehr im Süden im Staat Karnataka auf einem sprirituellen Trainingskurs mit Sri Tathata, einem Weisen aus Kerala. Er hat hier einen Tempel, den Dharma Peetha bauen lassen. Es ist sehr spannend. Ich lerne über vedische Tradition und bin immer wieder beeindruckt von den vielen Gemeinsamkeiten mit der Quantenphysik.
    Ich habe hier Voträge gehalten über dieses Thema, um weiter an der Brücke Ost-West zu bauen. Die Inder sind sehr aufgeschlossen, und es bahnt sich eine schöne Zusammenarbeit an.
    Mit Deinen Kommentaren zum Thema Körper bin ich vollkommen einverstanden.

    Bis zum nächsten Mal in dieser scheinbaren Realität.

    Andreas Freund.

Kommentar verfassen