Gestern habe ich zufällig eine Kunstausstellung (www.7-berlinerkunstsalon.com) entdeckt. Ich fuhr gerade von einer Konferenz nach Hause, war schon etwas müde. Es war Sonntag, 14h. Im Augenwinkel sah ich große alte Klinkerhallen links der Straße, zwischen denen Menschen liefen. „Hier ist was los“, dachte ich sofort und lenkte mein Auto an den Straßenrand, um zu parken. Es war die Landsberger Allee, Prenzlauer Berg/Friedrichshain, ehemaliger Osten.
Was mich erwartete, war eine Kunstausstellung. Die Halle war riesig. Eintritt wäre 8€ gewesen, aber dank meines Presseausweises durfte ich umsonst rein. Echt praktisch sowas, und in Berlin kennen die Leute das. Ich hatte mittlerweile schon einige Male die Gelegenheit, gegen Presseausweis anstandslos freien Eintritt zu bekommen.
Mit hohen Stellwänden waren die einzelnen Oeuvres unterteilt. Hoch ambitionierte Kunst allenthalben. Sehr vielfältige, ungewöhnliche Ideen, die vom klassischen Gemälde über Installationen und Videokunst bis zu Skulpturen reichte.
Es war wieder mal erstaunlich, wie individuell jedes Oeuvre ist, wie eigen jeder Künstler und jede Künstlerin die Welt wahrnimmt und in Kunst umsetzt. Bei einigen musste ich mich natürlich wieder wundern, wie man mit sowas Zeit verschwenden kann. Drei großformatige Ölgemälde von platt gedrückten Coladosen in naturalistischer Malweise – wer braucht das? Eine Fleißarbeit, aber ansonsten sinnlos, ist meine Meinung.
So gab es manches Schräge und Schrille. Meistens jedoch bestachen mich die Werke durch hohes handwerkliches Niveau, innovative Ideen und neuartige Wahrnehmungserlebnisse.
Ich frage mich manchmal, was der Sinn dieser modernen Kunst ist. Und ich vermute, dass selbst die KünstlerInnen sich bisweilen dieser Sinnfrage einfach verwehren. Kunst muss keinen Sinn haben. Das ist ihr Sinn.
Ein wesentliches Merkmal guter Kunst ist meines Erachtens die Fähigkeit, beim Betrachter noch nie gesehene oder erlebte Wahrnehmungen auszulösen. Dies bricht die gewohnte Wahrnehmung auf, die die Wirklichkeit per Verstand und Kategorien schön schubladisiert, alles unter Kontrolle bringt, aber keine neuen Erfahrungen mehr ermöglicht. Die Wirklichkeit wird immer mehr gerastert und was in das Raster nicht hinein passt, sehen wir dann nicht mehr. Kunst provoziert diese Wahrnehmungsraster, wenn sie die Wahrnehmungsgewohnheit zerbricht und den Blick auf das Unbekannte freigibt. Gute Kunst ist es meines Erachtens dann, wenn sie diesen Blick aufs Unbekannte durch Virtuosität unterstützt und auf derbe und anstößige Darstellungen verzichten kann. Heutzutage gibt es ja viele Happenings, die mit Blut, Urin, Fäkalien und dergleichen arbeiten. Das sprengt zwar die moralischen Ketten, immerhin, aber es ist kein Ausblick auf konstruktive und lebensförderliche, im echten Sinne schöne Kunst.
Eine sehr schöne Begegnung war in diesem Sinne die mit Bringfried-Johannes Pösger. Ein Mann im Alter von vielleicht 65 Jahren, der in seiner Person selbst ein Kunstwerk war. Er strahlte eine unglaubliche Reinheit aus. Ein Kunstwerk der Reinheit und Tugend, ohne dabei zwanghaft oder spießig zu wirken. Er trug einen naturfarbenen Leinenanzug aus schwerem Zwirn, gediegende Schuhe, Hemd und Schal. Die Haare kurz, Brille. Das hatte alles unglaublich Geschmack und war wohl auch nicht billig gewesen. Aber es war eine unaufdringliche Qualität, ein Meisterwerk an nicht selbstdarstellerischer sondern für sich selbst getragener Schönheit. Ja, das Wort Reinheit drängt sich mir auf, das viel geschmähte. Diese Reinheit war aber echt und authentisch und von daher Kunst. Sie strahlte keinen Druck und kein Werturteil aus. Es war eine neue Wahrnehmung. Seine Bilder hatten die Natur zum Thema – wie kann es anders sein? Natur ist das genuine Gegenstück zur Kultur, zur Kunst. Ein irres Spannungsverhältnis, das der Künstler auch in Worten thematisierte (siehe Zitate). Und er gibt auch philosophische Aphorismen heraus und hält Vorträge.
Nun gut, ich ende hier mit dem Lob, nicht weil es erschöpft ist, sondern weil ich meine Leserinnen und Leser ebensowohl wie den Künstler selbst, sollte er dies lesen, nicht kompromittieren möchte.
Was ich sagen will: In Berlin gibt es immer etwas zu entdecken. Und: Es gibt schöne Kunst.
Zitate von Bringfried-Johannes Pösger:
Zur Natur:
»Natur finden wir vor. Sie ist nicht abhängig von uns. Und sie braucht uns nicht. Wir können Natur nicht erschaffen. Die Natur hat daher ihrerseits erst einmal nichts mit Kunst zu tun. Sie mag unseren ästhetischen Ansprüchen genügen und wunderschön anzuschauen sein. Doch wäre es Unsinn, eine wild gewachsene Blüte als Kunstwerk zu bezeichnen. Kunst dagegen ist menschlich. Sie braucht uns Menschen. Sie ist abhängig von uns und ohne menschliches Zutun nicht möglich. Und doch ist es beim näheren Hinsehen stets nur der kleinere Teil dessen, was die Gesamtheit eines Kunstwerks ausmacht, den ein Künster dazu beitragen kann. Denn verändern und formen können wir nur, was wir vorfinden. Kein Mensch kann etwas aus dem Nichts erschaffen. Auch der Künstler ist davon nicht ausgenommen. Finden und Gestalten gehören zusammen. Das, was wir von Natur aus vorfinden, ist die unerlässliche Grundlage jeden Schaffens. Während die Natur weder von uns und schon garnicht von der Kunst abhängig ist, sind nicht nur die Kunst, sonder auch wir selbst grundsätzlich abhängig von ihr. Die Natur macht Leben, macht Menschen, macht Kunst erst möglich. Indem wir gestalten, widersetzen wir uns aber der Natur. Wir lassen sie nicht, wie sie ist. Wir ordnen uns ihr nicht unter. Doch tun wir im Grunde nur das, was das Leben seinerseits ganz natürlich von uns erwartet. Denn Leben ist Veränderung. Indem wir gestalten, leben wir.«
Aphorismen:
»Es kommt viel mehr auf neue Inhalte an als auf neue Formen.«
»Alles alte Denken ist von Herrschaft geprägt.«
»Positive Visionen zu kreieren braucht viel mehr Kreativität als negative Szenarien hochzurechnen.«
»Zum Blick voran gehört der Kontakt nach innen.«
»Kunst ist Luxus. Man braucht sie nicht. Das macht ihren Wert.«
»Wer sich selbst nicht spüren kann, den kann man nicht berühren.«
»Die Menschheit war noch nie erwachsen. Bisher gab es nur zu erwachsenen Leistungen dressierte Kinder.«
Internet:
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