Wenn man sich mit der Frage, was Leben eigentlich ist, befasst, findet man viele Erklärungsmodelle, die aber alle nicht so wirklich klar sind. So richtig weiß eigentlich niemand, was Leben ist. Ist es nicht faszinierend, dass ein Grashalm wächst? Dass da, wo vorher nichts war, nun eine Pflanze oder gar ein ausgewachsener Baum steht. Woher kommt dieses Holz oder dieses Zellgewebe? Wie wird aus einer winzigen Eizelle ein Embryo, dann ein Baby und schließlich ein erwachsener Mensch? Wie manifestiert sich ein Apfel?
Obwohl wir täglich von diesem unbeschreiblichen Wunder umgeben sind, wundert sich darüber niemand. Und es versucht auch niemand, dieses Wunder zu enträtseln. Natürlich gibt es da die Wissenschaft, die uns erklärt, dass wir aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff und Phosphor bestehen. Oder manche Menschen glauben, wir bestehen aus Sternenstaub – eine etwas romantischere Vorstellung, die dem nüchternen Realismus der rationalen Wissenschaft etwas mehr Farbe hinzufügt. Trotzdem sind wir dann immer noch Staub. Sogar die Bibel erklärt uns: „Asche zu Asche, Staub zu Staub.“ Demgemäß wurden wir aus Erde bzw. Staub gemacht und gehen nach dem Tod zurück in diesem Zustand.
Die Wissenschaft
Die Wissenschaft behauptet, sie könnte uns erklären, was Leben ist. Aber noch keinem einzigen Wissenschaftler ist es gelungen, einen Grashalm oder eine Ameise zu erzeugen. Sie beschreiben nur die materielle Seite des Lebens, die aber nicht die Ursache, sondern die Wirkung des Lebendigen ist. Die Wissenschaftler beschreiben nur das, was sie mit ihren Sinnen wahrnehmen können, das heißt, was sie messen und wiegen können. Ironischerweise ist ausgerechnet die Physik – eine der sich an materiellen Phänomenen am stärkstenorientierendenWissenschaften überhaupt – nun regelrecht dazu gezwungen, nicht-materielle Ursachen für beobachtbare Phänomene zu akzeptieren. Der berühmte Beobachtereffekt (siehe weiter unten) ebenso wie Quantenphänomene*, die die Gesetze von Raum und Zeit übertreten, weisen darauf hin, dass über die kausalen Wechselwirkungen innerhalb der 3-D-Welt hinaus Dinge wirken, die eigentlich keine Dinge sind, weil sie materiell nicht wahrnehmbar sind. Hochkarätige Quantenphysiker wie Carl Friedrich von Weizsäcker oder sein Schüler Thomas Görnitz sprechen von Quanteninformation bzw. auch von Informationsfeldern, die auf die Materie wirken. Philosophischer formuliert könnte man das Prinzip Information auf das Wort Geist oder auch Bewusstsein ausweiten. Der Beobachtereffekt etwa impliziert, dass Licht sich nur dann als Teilchen manifestiert, wenn es beobachtet wird. Wenn es nicht beobachtet wird, verhält es sich wie eine Welle. Auch ist es nicht möglich, gleichzeitig Ort und Impuls eines Elementarteilchens zu bestimmen. Die Quantenverschränkung von zwei Elementarteilchen, die durch eine Atomspaltung entstanden sind, zeigt eine Verbundenheit der beiden, die zigtausendmal schneller als das Licht interagiert. In der Quantenwelt existiert eigentlich nichts wirklich, sondern nur virtuell als Möglichkeit. Erst wenn wir hinschauen, manifestiert sich etwas als materielles Ding oder als Faktum. Es braucht also diesen Beobachter, um etwas materiell zu manifestieren. Der Beobachter ist ein lebendes Wesen mit Bewusstsein und der Fähigkeit der Wahrnehmung.
Die Spiritualität
Die klassische spirituelle Sichtweise wiederum besteht eher darin, dass die Materie als Illusion oder als Traum betrachtet wird. Sei es nun die christliche Lehre, die das irdische Leben gering schätzt und als Staub definiert, was wieder zu Staub wird, und ein Reich proklamiert, das nicht von dieser Welt ist; oder sei es die indische Advaita-Lehre, die alles Diesseitige als unwirkliche Maya wahrnimmt, die man sich bestenfalls so zurechtträumt, wie es einem gefällt – die körperliche, diesseitige Welt ist nicht die Wahrheit und die Wirklichkeit. Allzu schnell werden von spirituell motivierten Menschen die materiellen Gesetze der Natur ignoriert und man glaubt, man sei allmächtig und könne alles erreichen, was man möchte. Aber es ist ja evident, dass ich als Mensch nicht fliegen kann, obwohl jede Fliege diese Fähigkeit besitzt. Und es ist auch noch niemandem jemals gelungen, dem Tode zu trotzen. Die Tatsache, dass wir sterben müssen, ist so universell, dass wir das genauso unhinterfragt akzeptieren wie das Leben.
Die Grenze
Aber nur, weil etwas so universal und universell gültig ist, dass man es nicht hinterfragt, heißt das noch nicht, dass es kein Wunder ist, und es heißt andererseits auch nicht, dass dieses Wunder nicht vielleicht doch erklärbar ist – wenn auch im Moment noch nicht mit den vorhandenen wissenschaftlichen Mitteln. Wir befinden uns hier genau auf der Grenze zwischen Wissenschaft und Spiritualität. Die Wissenschaft repräsentiert die Vernunft und das Erklärbare schlechthin. Die Spiritualität steht demgegenüber für das Wunderbare, das Unerklärbare, das Mysterium. Das Leben ist ein Wunder, das heißt, mit materiellen, rationalen Antworten nicht erklärbar, und doch ist es erklärbar oder sollte zumindest immer weiter erforscht und verstanden werden – mit über das rein Rationale hinausgehenden Mitteln.
Früher, als es noch keine Wissenschaft gab, wurde alles mit Wundern oder mit Zauberei erklärt. Die Wissenschaft hat uns aufgeklärt. Sie zeigte uns zum Beispiel, dass Krankheiten durch Bakterien oder Keime entstehen können und Hygiene oder antiseptische Mittel viele Krankheiten und damit viel Leid verhindern können. Zaubersprüche oder Wunderheilungen gibt es heute noch, aber sie sind nicht objektivierbar oder reproduzierbar. Sie sind sehr subjektive Phänomene und es hängt vom einzelnen Anwender (vom Klienten und vom Therapeuten) ab, ob sie funktionieren. Einzelne Fälle sollten daher nicht gleich als allgemeine Regel oder allgemein gültiges Gesetz deklariert werden. Wissenschaftlich gesehen wäre das jedenfalls ein Kategorienfehler. Da machen es sich esoterisch oder spirituell eingestellte Menschen manchmal zu einfach und schnell hat man ein Universalheilmittel für alle Krankheiten, weil es irgendwo ein oder zweimal funktioniert hat. Aber das ist dann nur eine Meinung und keine bewiesene Gesetzmäßigkeit. Insgesamt sind beide Welten, die Wissenschaft einerseits und die Spiritualität andererseits, wichtige Bereiche, die sich meines Erachtens gegenseitig ausbalancieren können. Sie können sich gegenseitig davor bewahren, zu sehr in das eine oder andere Extrem abzurutschen und sich damit von der Wahrheitzu entfernen.
Die Verbindung
Fragen wir uns nun, wie eine Wirklichkeit im Kern aussieht, die sowohl aus der materiellen wie aus der spirituellen Welt genährt wird, müssen wir ebenso die einseitigen Antworten der Wissenschaft wie auch die einseitigen Antworten der Spiritualität überwinden. Die Antwort wird spirituell sein, aber sie wird durch die Vernunft und die wissenschaftliche Erklärung ergänzt werden. Die beiden Ansätze schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ein. Sie wirken Hand in Hand, denn je mehr Dinge von der Wissenschaft enträtselt werden, umso klarer tritt das zu Tage, was zum ewigen Geheimnis gehört.
Was ist also Leben?
Leben ist spirituell. Wir Lebewesen sind ewige spirituelle Seelen, ungeboren und unsterblich, jenseits von den 3-D-Bedingungen von Raum und Zeit, keine Materie, sondern Geist, Bewusstsein, spirituelle Energie, das Selbst, göttliche Kraft, ewige Gefährten von Göttin-Gott. Die Welt aus Kohlenstoff, Wasserstoff usw. ist der materielle Teil der Gesamtwirklichkeit, in der wir Formen aus materieller Energie nutzen (unsere Körper, in Sanskrit steht dafür das Wort »yantra«), um uns in der 3-D-Welt bewegen zu können. Aber in unserer ewigen Natur sind wir unabhängig von diesen Bedingtheiten durch Raum und Zeit.
Materie, die sich als Lebewesen manifestiert, kann nur durch diese Seelenkraft, durch unsere individuelle spirituelle Identität gebildet werden. Die Seele ist der spirituelle Funken, der den materiellen Körper bildet, wie ein Magnet, der die Eisenspäne in eine Form bringt. Beim Tod verlässt diese Bildekraft den Körper, dann beginnt dieser zu verfallen. In dieser 3-D-Welt gibt es eigentlich nichts Totes, sondern nur Lebendiges. Mutter Erde ist ein Lebewesen, jedes Gewässer ist ein Lebewesen, Pflanzen und Tiere natürlich auch. Was wir als tot wahrnehmen, sind abgetrennte Teile von Lebewesen oder tote Lebewesen. Zum Beispiel besteht ein Stuhl aus Holz. Dieses Holz gehörte einmal zu einem lebenden Baum. Wir haben den Baum gefällt, das heißt getötet, um das Holz nutzen zu können. Oder der Baum ist von selbst abgestorben und wir benutzen dann sein Holz. Fast alle Nahrung besteht aus getöteten Lebewesen. Deshalb sollte man nur Blätter, Blumen und Früchte essen, weil man dann die Pflanzen nicht töten muss. Getreide zum Beispiel essen wir, wenn es von selbst gestorben ist („wenn es reif ist“). Wir zermahlen es und machen daraus Nudeln oder Brot. Immer hat also Leben, also der Aufbau von biologischem Leben, auch mit der Zerstörung oder dem Abbau von biologischen Lebensprozessen zu tun.
Spirituelles Leben
Neben dem biologischen Leben, das eine Kombination aus Spirit und Materie ist, gibt es dann eben auch das spirituelle Leben, das ohne materielle Trägersubstanzen funktioniert. Reine Materie ohne spirituellen Funken gibt es eigentlich nicht, wie gesagt – wenn, dann nur Teile des Lebewesens, die abgefallen sind, zum Beispiel Haare oder Nägel, oder einzelne Steine, die man von Mutter Erde wegnimmt, oder Äste, die vom Baum gefallen sind usw.
Tote Materie gibt es eigentlich nur in der Vorstellung des materialistischen Menschen, der anderes Leben nicht als Lebewesen, sondern als Ausbeutungsobjekt sieht. Lebendes kann man nicht materiell ausbeuten, ohne es – körperlich oder seelisch – zu töten. Deswegen muss man es auf die eine oder andere Weise töten, um es auszubeuten. Es ist das Interesse des materialistischen Menschen, tote Materie zu haben, über die er nach Gutdünken verfügen, die er manipulieren und kontrollieren kann. Leben selbst ist aber souverän und frei, es kann nicht kontrolliert werden, auch wenn beispielsweise totalitäre Regimes das immer wieder versuchen (und letztlich doch irgendwann daran scheitern, weil das Leben sich nicht einsperren lässt und dagegen revoltiert).
Um als Mensch vollumfänglich lebendig zu werden, müssen wir uns darum dieser ungebrochenen Lebendigkeit annähern, das heißt: bewusst spirituell werden. Dazu gehört, Respekt und Achtung vor anderen Lebewesen zu haben, sie zu fördern, wachsen und gedeihen zu lassen. Das ist ein Ausdruck von Liebe, und Liebe ist nach meiner Erfahrung das höchste spirituelle Prinzip. Dass wir über das rein materielle Existieren diesen Weg gehen dürfen – das ist neben allem anderen Staunenswerten das eigentliche Wunder.
*Definition auf www.chemie.de: Quantenphänomene sind Effekte in der Quantenphysik, die durch Theorien der klassischen Physik nicht erklärt werden können. Die meisten Quantenphänomene zeigen sich nur unter speziellen Bedingungen und bei Messungen mit hoher Genauigkeit. Im alltäglichen Leben und ohne technische Hilfe sind sie nicht wahrnehmbar. Daher gibt es keine unmittelbar einleuchtende Anschaulichkeit, wie etwa die Parabel eines geworfenen Balls.
oder: wie man mit 4000€ eine Gruppe von Menschen an ihre Grenzen bringt.
Vor einigen Jahren war ich einmal auf einem fünftägigen Seminar, wo es um die spirituelle Bedeutung von Geld ging. Eine Übung, die wir machten, bestand darin, dass die Seminarleiter eine Glasschüssel mit Geld vorne hinstellten. In dieser Schlüssel befanden sich 4000 € in zerknitterten Scheinen. Dadurch, dass die Scheine zerknittert waren, füllten sie die ganze Schüssel. Das Geld verschenkten sie. Die Übung bestand darin, dass man freiwillig vortreten konnte, um Geld aus der Schüssel zu nehmen. Die einzige Bedingung war, dass man offen sagte, wie viel und für was man das Geld haben möchte. Außerdem hatten die beiden Seminarleiter sowie alle Anwesenden das Recht zu sagen, ob das okay sei. Es zeigte sich im Lauf der Übung, die insgesamt drei Stunden dauerte, dass die Seminarteilnehmer, ca. 70 Menschen, emotional und energetisch voll in ihre Prozesse kamen und jeder sofort spüren konnte, welche Motive hinter dem Geldwunsch steckten und ob dieser Betrag, den die jeweilige Person nehmen wollte, stimmte.
Es war erschütternd festzustellen, wie viel Schmerz und Scham mit diesem Thema verbunden sind und wie tief das Thema Geld in die eigene Bedeutung als Seele, als Person und als Mensch hineinragt. Es ist unmittelbar verbunden. Die Menschen standen teilweise vorne und zitterten, weinten oder brachen zusammen, wenn sie sich mit ihrem Wunsch zeigen mussten. Der Wert des Geldes war unmittelbar mit ihren Selbstwert verknüpft. Das Geld wurde tatsächlich verschenkt. Es war kein Spiel und keine Simulation. Dadurch nahm die Übung einen sehr existenziellen und ernsten Charakter an. Hier kamen alle Schatten hoch, die die Menschen hatten, aber auch ihre reine Freude, wenn sie das Geld bekamen und sich nun einen besonderen Wunsch, wie z.B. ein Kleid oder eine Reise erfüllen konnten.
In der Schüssel war ein 500 € Schein, mehrere Hunderter, ansonsten Fünfziger, Zwanziger und Zehner. Je kleiner der Betrag, umso mehr Scheine waren darin. Viele wollten so ca. 20-30 € haben. Sie sagten, sie wollten sich einen kleinen Wunsch erfüllen, oder für ihre Kinder etwas kaufen oder Ähnliches. Ein Mann wollte 100 €. Er war der Egoist in der Gruppe. Er ging nach vorne, brachte seine Erklärung vor, die ziemlich selbstherrlich war, und nahm sich Geld aus der Schüssel. Niemand der Anwesenden klatschte oder fühlte Zustimmung. Es herrschte ein betretenes Schweigen im Raum, als er sich das Geld nahm. Die Seminarleiter, die in der Regel ihr Feedback gaben, sagten nichts. Am Ende der Übung, zwei Stunden später, trat er jedoch vor und sagte, dass er sich sehr schlecht fühle und das Geld zurückgeben möchte. Er hatte seine egoistische Haltung erkannt und erklärte, dass er es getan hatte, weil er seinem Sohn gegenüber den starken Mann markieren wollte. Er fühlte aber jetzt, dass es nicht stimmig war. Nachdem er Zeuge der ganzen anderen Prozesse geworden war, wo die Menschen um ihren ehrlichen Wert gerungen hatten, ging es im so schlecht, dass er es nicht aushalten konnte. Er musste das Geld zurückgeben, das war ihm ein dringendes Bedürfnis und er entschuldigte sich vor der versammelten Gruppe.
Der 500 € Schein lag sehr, sehr lange in der Schüssel und niemand traute sich, ihn zu nehmen. Irgendwann trat eine Frau vor. Sie erklärte, dass sie als Kind nie Taschengeld bekommen hatte, aber von ihrem Vater für kleine Arbeiten bezahlt wurde und er ihr die Groschen in einer mahnenden Weise vorgezählt hatte, was sie sehr beschämte und erniedrigte. Sie wollte Geld nehmen, einfach um mal etwas zu bekommen, ohne dafür etwas leisten zu müssen. Der Seminarleiter fragte sie, wie viel sie denn nehmen möchte. Es wurde deutlich, dass es hier um ihren Selbstwert ging, der in ihrer Kindheit schon verletzt worden war. Sie war sehr unsicher und hatte Tränen in den Augen. Sie zögerte und traute sich nicht an die Schüssel zu treten. Der Seminarleiter musste sie mehrfach auffordern, aber sie konnte keinen Betrag nennen. Schließlich musste sie sich direkt vor die Schüssel stellen und nahm schließlich einen 20 € Schein. Alle im Raum waren sehr betroffen. Waren es 20 €, die sie sich wert war? Hatte sie so viel Angst und Scham, sich mehr zu nehmen, wenigstens 50 € oder vielleicht 70 €? Sie zitterte und weinte. Der Seminarleiter trat zu ihr, nahm sie in die Arme, griff in die Schüssel und gab ihr den 500 € Schein. Da brach sie zusammen. In dieser Geste verdichtete sich das ganze Leiden ihres Lebens, die Erniedrigung als kleines Kind und ihr Leben als Frau, die nie die Chance hatte, Selbstwert zu entwickeln. Es war wirklich bestürzend, welche Kraft das Geld hatte und wie stark es in den Selbstwert der Menschen eingriff.
Es gab viele dieser erschütternden Begebenheiten. Es wurde klar, dass jeder mit diesem Vortreten und Nehmen des Geldes seinen eigenen persönlichen Wert erklären musste und direkt an seinen Schatten kam. Er musste für seine Vision, seine Werte und seine Bedürfnisse geradestehen, und alle diese Gefühle von Scham, Angst und Schmerz kamen hoch. Mir wurde klar, wie unmittelbar Geld mit unserem Selbstwert verbunden ist. Es war unmittelbar fühlbar und existentiell, obwohl es hier nicht einmal darum ging, das eigene Geld herzugeben, sondern darum, geschenktes Geld zu nehmen. Man konnte nicht verlieren, nur gewinnen. Aber es war so real und niemand konnte sich der existentiellen Berührtheit entziehen. Alle Themen von Selbstwert, Verdienst, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Wahrheit kamen direkt in Sicht. Niemand konnte sich dieser blutigen Realität entziehen.
Wir Menschen haben das Geld geschaffen, und ich glaube, es war ursprünglich genau dieser unmittelbare Ausdruck unseres eigenen Wertes, unseres Vermögens, unseres Verdienstes von dem, was wir mittels unserer kreativen schöpferischen Kraft, mittels unserer Spiritualität erschaffen haben. Nur weil das Geld so wirksam ist, wurde es im Laufe der Geschichte so massiv missbraucht und dazu benutzt, Menschen zu quälen, zu erniedrigen und zu vernichten. Im hellen Spiegel jedoch ist das Geld tatsächlich ein Ausdruck unserer Wertschätzung und unserer gegenseitigen Liebe. Das Geld ist jedoch unbewusst oder auch bewusst extrem negativ besetzt, weil es so massiv missbraucht wurde und im dunklen Spiegel verwendet wurde und wird. Wir können den positiven Ausdruck des Geldes nicht erkennen, geschweige denn fühlen.
Es wird nicht ausreichen, diese negative Haltung gegenüber Geld zu kultivieren und als Ultima Ratio, als letzte Schlussfolgerung zu etablieren, indem wir Geld ablehnen, das Geld abschaffen wollen oder einfach planlos verschenken, als ob es keinen Wert hätte. Es war in der Übung deutlich fühlbar, dass es einen stimmigen Betrag gibt, der für den Menschen und sein jeweiliges Anliegen in dieser Situation der richtige ist. Dies war wirklich ein Abwägen von der genauen Anzahl an Euros. Teilweise spürten wir, wie die Person, die vorne stand, zu wenig nahm. Sie schätzte ihren Wert zu niedrig ein. Meistens war es so. Bei manchen konnten wir spüren, das stimmt. Und es gab wirklich nur einen von 70 anwesenden Personen, der sich deutlich über Wert bedient hat, wie oben beschrieben. Es ist notwendig, diese Beziehung zum Geld zu heilen und sich den eigenen Schatten diesbezüglich anzuschauen. Erst wenn das Geld wieder im hellen Spiegel als Ausdruck unserer gegenseitigen Liebe und Wertschätzung gehandelt wird, können wir von einer Heilung sprechen.
Es zeigt sich bei näherer Untersuchung der Kategorien und Begriffe der monetären Sphäre, dass alle Begriffe, die es im Finanzbereich gibt, auch zugleich sehr tiefe emotionale und spirituelle Kategorien benennen. Zum Beispiel der Begriff des Erlöses. Finanziell ist der Erlös der Gewinn, den das Geschäft abwirft. In der spirituellen Sphäre ist es die Erlösung, das höchste Ziel des gläubigen Menschen. Auch der Begriff der Zuwendung, finanziell die Bezahlung für eine Leistung, ist in der emotionalen, inneren Welt des Menschen eines der elementaren Grundbedürfnisse überhaupt: die Liebe und Zuwendung, die wir von anderen Menschen bekommen. Der Begriff Verdienst bzw. verdienen bezeichnet ein ökonomisches Verhältnis, das im Begriff des Dienens in der spirituellen Sphäre als Gottesdienst und Diener Gottes die höchste Schlussfolgerung einer spirituellen Identität darstellt. Es zeigt sich in unserem Gewissen, dass wir etwas, dass wir nicht verdient haben, nicht mit gutem Gewissen nehmen können. Wir werden daran keine Freude haben. Und es scheint so zu sein, dass alle diese Dinge zu ihrem gerechten Ausgleich drängen. Auch der Begriff der Schuld, im Finanzbereich die berüchtigten Schulden, ist in der moralischen, ethischen, emotionalen und im Sinne der letztgültigen Wahrheit auch in der spirituellen Sphäre von unverzichtbarer Bedeutung und nicht reduzierbar. Viele Menschen versuchen, Schuld generell als nicht existent zu deklarieren. Ich denke, dass derartige Manöver der Erkenntnis der Wirklichkeit und dem, was wirkt, keinen guten Dienst erweisen. Zu viel Schmerz, Verletzung und Beschämung wurden durch die Kategorie der Schuld über die Menschen gebracht. Man möchte davon nichts mehr hören. Aber das ist nicht die Lösung. Gerade weil die Schuld eine dermaßen wirksame Kraft ist, wurde sie missbraucht. Aber zugleich ist sie der Weg zur Erlösung. Das haben natürlich die alten Religionen erkannt, gerade das Christentum hat zu diesem Bereich tiefe Erkenntnisse. Es ist vielleicht angemessen, von einer Ökonomie der Ethik zu sprechen. Wir können diese Kräfte nicht benutzen, ohne den Preis dafür zu zahlen. Alles drängte zum Ausgleich und zur Vergeltung (›vergelt‘s Gott‹).
Weitere Begriffe sind zum Beispiel der Kredit, von dem lateinischen Wort credere = glauben. So sprechen wir heute noch davon, in Misskredit zu geraten, als unseren Ruf und unsere Glaubwürdigkeit zu verlieren. Kredit im spirituellen Sinn müsste also der gute Ruf oder die Glaubwürdigkeit sein, was noch das englische ›credits‹ belegt, was u.a. Ehre oder Anerkennung bedeutet. Auch die Copyright-Quellen heißen im Englischen credits, also die Ehre der Urheberschaft.
Auch das Wort ›reich‹ ist von universaler Bedeutung. Als ›Reichtum‹ ist es in der monetären Sphäre das höchste Ziel. In der Philosophie und Metaphysik ist es als ›erreichen‹ oder ›reichen‹ der Ausdruck einer Erfüllung, Zielerreichung, Vollkommenheit, als ›Reich Gottes‹ sogar der Name des absoluten Ortes.
Die beiden Sphären des Geldes und der Spiritualität greifen unmittelbar ineinander. Wahrscheinlich sind sie in der Urzeit auseinander hervorgegangen. Geld als abstrakter Wertindikator und Sprache1 ist der nach außen manifestierte Ausdruck unserer inneren Werte sowie der realen Kräfteverhältnisse. Wir haben als spirituelle, lebende Wesen Kraft. Diese Kraft kann etwas erschaffen, schöpfen. Sie kann aber auch zerstören. In der sozialen und kollektiven Wirklichkeit der Vielzahl der Subjekte, also der lebenden, mit schöpferischer Kraft ausgestatteten Wesen, ist die energetische Ökonomie von Schuld und Verdienst, von Soll und Haben das objektive Regulativ, um Ausbeutung und Übervorteilung bzw. Benachteiligung auszugleichen. Es muss am Schluss immer Null herauskommen. Alle Schulden müssen getilgt sein, jeder Verdienst muss ausgezahlt werden. Wir zählen unser Geld, aber wir suchen auch nach der Wahrheit, nach dem, was wirklich zählt. In der tiefsten spirituellen Verquickung von Geld und Seele enthüllt sich die reale Struktur der Wirklichkeit.
Durch die Verschleierung dieser Wahrheit in der Ideologie ist dieses Wissen verloren gegangen. Es wurde verschleiert, um die Macht zu erhalten und den Ausgleich der Schuld, die die Ausbeuter auf sich geladen haben, zu verhindern. Nach der Ausbeutung haben die Ausbeuter auch noch die Unwissenheit in die Welt gebracht. Wenn wir heute als Vertreter der emanzipativen Kräfte das Geld oder die Ökonomie ablehnen, beteiligen wir uns selbst an der Verschleierung und befinden uns in Unklarheit über die wirkliche Struktur der energetischen Verhältnisse. Es ist durchaus möglich, kein Geld zu brauchen oder sich dafür nicht zu interessieren. Das ist aber etwas anderes als das Geld abzulehnen. Durch diese ideologische Verschleierung ist auch sehr viel geistige Unwissenheit über die Menschen gekommen. Sie können den Aufbau des Lebens nicht mehr verstehen.
Der innere Zugang zu dieser Sphäre erfolgt über das Gefühl. Es handelt sich hier um ein gereinigtes, vom Schatten befreites Gefühl unseres wahren Selbst. Der Umgang mit dem Geld wurde im kollektivrechtlichen, mythischen Zeitalter auf äußere, formale Strukturen ausgelagert. Es wurden Finanzgesetze, Verträge und Regeln etabliert, um den Geldverkehr zu regulieren. In einer befreiten Herangehensweise an das Geld müssen wir uns dieser tiefen Verquickung von Geld und Seele sehr bewusst sein und ein Gefühl dafür entwickeln, was ein gerechter Austausch ist. Es fühlt sich stimmig an, es stimmt. In der Finanzwelt ist es die Rechnung, die stimmt. In der spirituellen Sphäre ist es die Wahrheit, die stimmt und ein Gefühl der Stimmigkeit vermittelt. Dann sind auch die Saiten richtig gestimmt und das Instrument klingt im richtigen Ton. Die Sphäre des Handels und seiner Sprache des Geldes betrifft die energetische Spannung zwischen Geben und Nehmen. Beides hat seine Berechtigung und beides gibt es im hellen und im dunklen Spiegel. Und von beiden gibt es jeweils einen aktiven und einen passiven Modus. Sehr angesehen in unserer heutigen Gesellschaft ist das aktive Geben und das passive Nehmen. Sie sind im hellen Spiegel. Im dunklen Spiegel befinden sich das passive Geben und das aktive Nehmen. Wie sich in der Übung gezeigt hat, fiel es den meisten Menschen sehr schwer, das Geld zu nehmen, weil sie dann an ihren Minderwert kamen. Sie hatten es nicht verdient, glaubten sie. Dieses Nehmen dessen, was ich verdient habe oder wozu ich berechtigt bin, ist aktives Nehmen. Passives Nehmen ist dieses Hinnehmen, Sich-fügen. Aktives Geben ist Gutes-tun, Spenden oder Leistungen geben. Auch Befehle geben oder Ratschläge geben gehören zum aktiven Geben. Passives Geben ist die Hingabe, das Aufgeben des falschen Egos, also das Abgeben dessen, was nicht meins ist.
Um in diesem Gefühl sicher zu werden, müssen wir unsere dunklen Anteile ins Licht bringen. Um fühlen zu können, was der stimmige Tausch ist, brauchen wir auch die Fähigkeit des aktiven Nehmens, also ein aus einem gesunden Selbstwert und aus Selbstliebe hervorgehende Fähigkeit, das, was mir zusteht, auch zur Sprache bringen und dann nehmen zu können, wenn die anderen einverstanden sind. Wir brauchen außerdem ein Gefühl, das vom Egoismus gereinigt ist, also eine verwirklichte Form der Hingabe und Selbstlosigkeit darstellt, eine Fähigkeit sich hinzugeben, sich zu geben.
Alle diese Kategorien wurde durch die Ideologien der Herrschenden verdreht und auf den Kopf gestellt. Im klaren ideologiefreien Blick ordnen sich all die alten ewigen Kategorien neu in ihrer wirklichen Konstellation. Nichts geht verloren, es wird nur umgedreht und in die ewige Ordnung der Wahrheit gebracht. Dies ist die Aufgabe einer ideologiefreien spirituellen Wissenschaft, die die getrennten Sphären wieder in Verbindung bringt und die Einheit des Menschen als leibseelische Entität wieder herstellt. Wir erhalten wieder das GANZE BILD.
1 Zur Kategorie der Sprache: Diese wird hier im Sinne Walter Benjamins verwendet, siehe: »Über die Sprache des Menschen und Sprache überhaupt« (1916). Geld ist in diesem Verständnis das Ausdrucksmittel und der Code, in dem wir unsere Werte kommunizieren.
Anmerkung: Mittlerweile ist eine wesentlich längere Fassung des Artikels mit vielen weiteren Aspekten in der Tattva Viveka 59 erschienen. Sie können den Text hier anlesen:
Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst, O.W. Barth, München 2010, geb., 203 S., 14,99 €
Das Schöne an der Wissenschaft ist, dass sie undogmatisch und wertfrei ist. Sie versucht nicht, vorher schon gefasste Ideen und Überzeugungen zu beweisen, sondern ist auf redliche Weise der Wahrheit verpflichtet. Wenn sich eine Hypothese als falsch erweist, ist der Forscher nicht an sie angehaftet und gibt sie ohne Umschweife auf. Was dabei übrig bleibt, ist indes gesichertes Wissen und eine Offenheit für eigene Erfahrungen.
Diese Offenheit für eigene Erfahrungen wiederum ist das, um was es bei Meditation geht. Meditation ist der Weg der eigenen Erfahrung. Von daher sollte es doch ausgesprochen nahe liegen, dass die Wissenschaft die Meditation erforscht.
Ulrich Ott, promovierter Psychologe, ist seit vielen Jahren dabei, die Wirkung von Meditation wissenschaftlich zu untersuchen. Seine Diplom-Arbeit und seine Doktorarbeit beschäftigten sich mit spezifischen Fragen zum Gebiet der Meditation und mittlerweile ist er als Forscher am Bender Institute for Neuro Imaging in Gießen tätig, wo er u.a. mithilfe eines Magnetresonanztomografen das Gehirn und das Bewusstsein neurowissenschaftlich untersucht. Zugleich hat er eine dreijährige Ausbildung in integrativer Körpergestalttherapie, eine Yogalehrer-Ausbildung, Kenntnis der spirituellen Szene und langjährige Erfahrung in der eigenen Meditationspraxis.
Das Buch kommt nüchtern, aber keineswegs trocken daher. Es ist ein fundierter Überblick zur Meditation, aufgeteilt in die Grundbereiche Körper, Atem, Gefühle, Gedanken und Sein. Zu jedem Kapitel gibt es einen Theorie- und einen Praxisteil. Im Theorieteil bespricht er die Ergebnisse der Gehirnforschung und erkenntnistheoretische und psychologische Aspekte. Im Praxisteil gibt er gründliche Orientierung und Anleitung, wie eine Meditation durchgeführt wird.
Er vermeidet durchgängig wertende oder parteiliche Aussagen oder Referenzen zu konkreten Traditionen. Er ermutigt die Leserin bzw. den Leser auch des öfteren, selbst zu prüfen und für sich zu entscheiden, was man annehmen möchte und was nicht. Dadurch hatte ich beim Lesen nie das Gefühl, beeinflusst zu werden oder dass mir etwas übergestülpt werden soll. Es gibt kein „Du musst“ oder „Du sollst“. Es wir deutlich, dass jeder frei ist, nach seinem Verständnis zu praktizieren und Erfahrungen zu machen. Es gibt viele verschiedene Formen der Meditation aus unterschiedlichen Kulturen, Zeiten und Glaubensrichtungen. Was Ott unternimmt, ist eine Bestandsaufnahme von dem, was ist und was wirkt. Er bringt die Dinge klar auf den Punkt und ordnet die verschiedenen Aspekte auf sachliche und praktische Weise. Der Lektor vom O.W. Barth-Verlag, Andreas Klaus, soll zu dem Autor im Vorfeld gesagt haben: „Schreibe ein Buch über Meditation für kritische Männer“. Ulrich Ott hatte zunächst garnicht vor, ein Buch über Meditation zu schreiben, „denn davon gebe es schon genügend“. Aber tatsächlich hat er mit diesem Ansatz ‚Meditation für Skeptiker’ einen Nerv getroffen.
Viele Menschen – vor allem kritische männliche Kopftypen – lehnen die Meditation vornehmlich deswegen ab, weil sie sich nicht von weltanschaulichen Richtungen vereinnahmen lassen wollen. Sie hegen eine gewisse Aversion gegen sentimentalen Glauben, Schwärmerei und Ideologie, was auf dem Boden der Aufklärung verständlich ist.
In der aufgeklärten und von ideologischen Artekfakten geklärten Darstellungsweise von Ott wird spürbar, dass die Meditation selbst nicht weltanschaulich gebunden ist und von aufgeklärten Menschen durchaus praktiziert werden kann.
Hier trifft sich sodann die Aufklärung mit der Spiritualität, denn Spiritualität ist wertfrei und ideologiefrei. Die spirituelle Perspektive in ihrer erkenntnistheoretischen Reinform ist transzendental, d.h. sie transzendiert Zeit und Raum, also alle Arten von historischen, geografischen, ethnischen oder ideologischen Spezifikationen. Das gleiche gilt erfreulicherweise für die Aufklärung, die ja antrat als Gegenentwurf zur mythischen Religion.
Es scheint an der Zeit zu sein, dass diese beiden Welten, das Säkulare und das Heilige, auf einer neuen Ebene der Synthese in eine höhere Einheit eintreten, in der die alten Widersprüche hinfällig werden.
Wie Ott zeigt, steigt die Anzahl der wissenschaftlichen Studien zur Meditation in den letzten Jahren rapide an. Das Interesse und die Akzeptanz für Subjektivität, Bewusstsein und spirituelle Phänomene innerhalb der Wissenschaft nehmen zu. Die technischen Möglichkeiten des fMRT stellen erstmals die materiellen Voraussetzungen zur Verfügung und bieten damit eine Steilvorlage für die Forschung, über das Gehirn zum Bewusstsein vorzustoßen.
Wir dürfen gespannt sein, was die nächsten Jahre bringen werden. In der nächsten Tattva Viveka kommt erstmal ein in die Tiefe gehendes Interview mit Dr. Ulrich Ott, mit dem ich mich kürzlich getroffen und spannende Themen besprochen habe.
Ronald Engert
Meditation & Wissenschaft 2010
Neue Perspektiven für unser Wissen von uns selbst
Interdisziplinärer Kongress zur Meditations- und Bewusstseinsforschung
»Dieses Ereignis ist erstmalig und einmalig in dieser Art«, sagte Gerd Scobel, der bekannte Fernsehmoderator, im Abschlusspanel der Konferenz »Meditation und Wissenschaft«. Dort saßen hochkarätige Experten und diskutierten über die Verbindung von Spiritualität und Wissenschaft in einer Weise, wie man es wohl selten zu hören bekommt. Meditation und Spiritualität galten bisher in der Wissenschaft flächendeckend als unwissenschaftlich, unseriös oder gar gleich als Wahnsysteme einer pathologischen Psyche. Wissenschaft war bis dato streng rational. Alles Welterkennen ließe sich in objektiven mess- und zählbaren Beschreibungen verorten. Was darüber hinaus ginge, das Nicht-Objektivierbare, sei kein Gegenstand der Wissenschaft und mithin keine Wahrheit.
Dr. Britta Hölzel, Massachusetts General Hospital and Harvard Medical School, Boston, MA, USA
Wissenschaft hatte das Monopol auf gesicherte Erkenntnis, auf Vernunft und »gesunden Menschenverstand«.
Die Vertreter der Spiritualität hingegen versuchten zwar immer schon gerne, sich im reputativen Nimbus der Wissenschaftlichkeit zu sonnen, als scientific proof, erreichten dies jedoch lediglich über eine Umdefinition der Bedeutung des Wortes »Wissenschaft«, indem man einfach mal ganz unbedarft alles als Wissenschaft deklarierte, was man mit Gewissheit glaubte.
Wissenschaft ist jedoch mitnichten Glauben, und Spiritualität ist mitnichten objektivierbar. Dass die Subjekt-Objekt-Spaltung eines der fundamentalen Probleme der abendländischen Kultur ist, ist keine Neuigkeit. Umso spannender ist die Tatsache, dass sowohl Wissenschaft als auch Spiritualität aus ihren Kinderschuhen herauszuwachsen scheinen, indem Wissenschaft das Phänomen des Subjekts und der Subjektivität nicht mehr scheut und die Notwendigkeit der Integration subjektiver Daten erkennt (so die Neurophysiologin Prof. Dr. Tania Singer sinngemäß), und Spiritualität andererseits zunehmend aufklärerisch wird und erkennt, dass nach Abstreifen des blinden Glaubens die Spiritualität weiterexistiert, also irgendwie doch auch mit Vernunft und intellektueller Nüchternheit versöhnbar zu sein scheint (so preschte der Philosoph Prof. Dr. Thomas Metzinger direkt zum Begriff einer »säkularen Spiritualität« vor).
Blick in den Saal
Natürlich ist dies noch nicht zu jedem Wissenschaftler oder jedem Esoteriker durchgedrungen. Vielmehr dürfte es sich bei dieser Konferenz und ihren Wissenschaftlern und Spirituellen um eine eher kleine Minderheit handeln. Die meisten Spirituellen sind nach wie vor der Meinung, dass Rationalität und Intellektualität schändlich sind. Das gleiche glauben umgekehrt die konventionellen Wissenschaftler vom Bereich des Spirituellen. Man mag sich herausreden wie man will, wenn man sich an dem Begriff »schändlich« stört. Der blumigen Worte gibt es viele. Es ändert indes nichts am Tatbestand des unüberbrückten Widerspruchs.
Umso erleichternder zu hören, was diese excellenten Wissenschaftler nun dazu zu sagen hatten. Von der einen Seite kamen die Neurowissenschaftler und Gehirnforscher, die die eindeutige Wirksamkeit von Meditation auf das Gehirn und die Gesundheit des Menschen in immer mehr Studien nachweisen, von der anderen Seite die Philosophen, die mit bestechender Klarheit das metareflexive Bezugssystem der menschlichen Erkenntnis stellten.
Prof. Dr. Tania Singer, Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig
Die Neurowissenschaftler sind zunächst klassische Forscher am Objekt. Meditierende wurden in zahlreichen Untersuchungen mittels der neuen bildgebenden Verfahren der funktionellen Kernspintomografie untersucht, und eindeutige Effekte konnten nachgewiesen werden. Diese neuen Verfahren erlauben mittlerweile einen qualitativen Sprung in der Forschung. In den 70er- und 80er-Jahren konnten derartige Effekte der Meditation mit dem EEG untersucht werden. Diese Messtiefe erwies sich jedoch als sehr unzureichend. Mit den Kernspinmethoden nun ist ein wesentlich tieferer Einblick direkt in die neuronalen Strukturen im Gehirn möglich. Heute kann man messen, welche Neuronen und welche Gehirnareale feuern, wenn ein Mensch denkt, fühlt oder handelt – oder eben meditiert. Die Zunahme der Erkenntnisse aus diesen Forschungen ist atemberaubend. Zugleich betonte Prof. Dr. Singer – für meine Begriffe die innovativste Forscherin in diesem Bereich -, dass die technischen Verfahren immer noch zu grob sind, um die elementaren Fragen nach der Wirkungsweise des Gehirns zu beantworten. Es ist noch nicht möglich, einzelne Neuronen optisch zu erkennen. Was die bildgebenden Verfahren jedoch schon gezeigt haben, ist eine wissenschaftliche Sensation: Die graue und weiße Gehirnmasse wächst bei regelmäßiger Meditation bzw. generell bei Gehirntraining. Die bisherige medizinische Schulmeinung war, dass das Gehirn nicht wachsen kann und die Anzahl der Neuronen konstant bleibt oder abnimmt. Aktuelle Forschungen zeigen jedoch, dass nicht nur die Anzahl der Verschaltungen, also der Dendriten, zunimmt, sondern dass offensichtlich auch neue Neuronen wachsen können, und das bis ins hohe Alter. Das Gehirn erweist sich zunehmend als flexibles, veränderbares System. Über seine komplexe Struktur kommen fortwährend neue Erkenntnisse zu tage und die anwesenden Neurowissenschaftler betonten in der der Wissenschaft eigenen Bescheidenheit, dass sie bis jetzt nur einen winzigen Bruchteil des Gesamtbildes erkennen und verstehen können.
Der Forschungsgegenstand der Meditation macht jedoch noch eine weitere, eine erkenntnistheoretische Problematik deutlich. Die rein objektive Beobachterperspektive der dritten Person stößt an seine Grenzen. Die anwesenden Wissenschaftler diskutierten deshalb, wie die Erhebung subjektiver Daten in die Forschung mit einzubringen sei, und wie auch die Subjektivität des Forschers umso mehr gefordert wird, je feinstofflicher die Ursachen der Wirkungen sind. Meditation kann Krankheiten wie Fybriomyalgie, Migräne oder Depressionen mit der gleichen Signifikanz lindern oder heilen wie pharmakologische Indikationen. Physiologische Prozesse wie Blutdruck oder Hormonspiegel sprechen auf Meditation oder – wie es nun diplomatisch heißt – Achtsamkeitstraining an. Wie kann aber Meditation oder Achtsamkeit mit herkömmlichen naturwissenschaftlichen Kategorien beschrieben werden? Es schreit förmlich nach einer Erweiterung der Forschungsparameter in die subjektive Sphäre. Nebenbei nur sei die Quantenphysik erwähnt, die diesen subjektiven Faktor von der Seite der Physik her schon lange ins Spiel bringt. Nun sind auch die Humanwissenschaften gefordert. Es war ein kleines, unscheinbares, aber doch ein symbolträchtiges Detail, wenn der gestandene Gehirnforscher Prof. Dr. Tobias Esch vom Neuroscience Research Institute der State University in New York seine Wortwahl dahingehend gewichtete, dass er sagte: »In der Stressregulation wird Dopamin ausgelöst«, anstatt, wie der rein reduktionistische Wissenschaftler sagen würde: »Das Dopamin löst die Stressregulation aus.« Das Hormon ist in Eschs Formulierung nicht mehr das Subjekt. Es ist nicht mehr die materielle Substanz, die unser Empfinden steuert. Das Dopamin wird gesteuert, von einem noch nicht näher definierten nicht-materiellen, subjektive Etwas.
Gerd Scobel (rechts), Moderator bei 3SAT. Links: Ulrich Schnabel, Wissenschaftsjournalist der ZEIT
Die Neurowissenschaft ist noch weit von der prima causa, der ersten Ursache, entfernt. Das ist auch ihrer intellektuellen Redlichkeit geschuldet. Sie macht sich zur Aufgabe, mit objektivierbaren Verfahren die Welt zu erforschen, und sie ist sich ihrer diesbezüglichen technischen Grenzen sehr wohl bewusst und hat auch keinerlei Anspruch, über das Objektivierte hinaus nicht bewiesenen Glauben oder Fürwahrhalten als verbindliche und verlässliche Erkenntnismodi zu reklamieren. Insofern macht sich die Wissenschaft keine Illusionen. Sie weiß, dass sie Theorien aufstellt. Und wie Sir Karl Popper so unnachahmlich formulierte: »Wir sind mit der Wirklichkeit in den Momenten in Kontakt, in denen unsere Theorien scheitern.« Der Wissenschaftler möchte die Wirklichkeit erkennen. Und wenn er dafür seine Theorie opfern muss, tut er dies liebend gerne. Der Wissenschaftler ist kein Dogmatiker. Er lebt von der Falsifizierung. Da hat er dem religiösen Eiferer sehr viel voraus, denn der wird seinen Glauben niemals aufgeben, und wenn alle Beweise dagegen sprechen.
Mit diesen Bemerkungen ist sodann die natürliche Überleitung zu dem philosophischen Teil der Konferenz gegeben.
Prof. Dr. Michael von Brück, Ludwig-Maximilians-Universität München, Interfakultärer Studiengang Religionswissenschaft (links) im Gespräch mit Ulrich Schnabel, Wissenschaftsjournalist der ZEIT
Der Religionswissenschaftler Prof. Dr. Michael von Brück von der Ludwig-Maximilians-Universität in München und der Philosoph und Direktor des Philosophischen Seminars der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, Prof. Dr. Thomas Metzinger, schlugen die Brücke von der Wissenschaft zur Spiritualität. Sowohl Brück als auch Metzinger bestachen durch eine Klarheit der Kategorien, wie sie den objektiven Wissenschaftlern eigentlich den Atem verschlagen haben müsste. Natürlich kann ein Wissenschaftler annehmen, er sei ein objektiver Beobachter, der ein von ihm unabhängiges und getrenntes Objekt beobachtet und untersucht. Dies ist die Perspektive der 3. Person: »Er untersucht es.« (»Der Wissenschaftler untersucht das Forschungsobjekt.«) Er macht gleichsam naiv seine Forschungen mit Hilfe der technischen Möglichkeiten seines Wissenschaftsbereiches, um die eigene Sinneswahrnehmung zu erweitern. Er bleibt dabei in seinem streng umrissenen Aufgabenfeld, ohne die Gesamtperspektive der Wirklichkeit und ihrer Erkennbarkeit überhaupt anzutasten.
Die Philosophen hingegen diskutieren die Fragen nach der Erkenntnis überhaupt: »Wer untersucht?« und: »Wie erkennt dieser etwas?« Was ist Bewusstsein?
Thomas Metzinger eröffnete mit drei Thesen:
Das Gegenteil von Religion ist nicht Wissenschaft, sondern Spiritualität.
Das ethische Prinzip der intellektuellen Redlichkeit kann man als Sonderfall der spirituellen Einstellung bezeichnen.
Es ist die gleiche normative Grundidee, auf der sich Wissenschaft und Spiritualität gründen.
Metzinger sprach keineswegs als Verteidiger der Religion. Religionen sind für ihn »adaptierte Wahnsysteme«, die lediglich Bewältigungsstrategien für die Angst vor dem Tod sind. Ahnenkult, Begräbnisrituale und Vorstellungen von einem Leben nach dem Tod seien die Urgründe der Religionen, die die Angst vor dem Ende des Lebens vermeiden sollen. Insofern könne ein Philosoph oder ein an der Wahrheit interessierter Wissenschaftler sich solcher Ideologien und Dogmata nicht bedienen. Wir müssten uns vielmehr der Wahrheit stellen, dass wir sterblich sind. Wir wissen nichts über ein Leben nach dem Tod, entgegen aller anderslautenden Behauptungen.
Zentraler Forschungsgegenstand der Philosphie ist und war seit jeher auch die Kategorie Gottes. Metzinger betont, dass auch 4500 Jahre Philosophie und Religion keinen überzeugenden Gottesbeweis hervorgebracht haben. Jedoch ist er auch kein Agnostiker. Er zeigte auf: sowohl metaphysische Glaubensformen als auch die ideologischen Formen des Reduktionismus sind bestechlich. Wohingegen »Redlichkeit der semantische Kern eines philosophischen Begriffs der Philosophie ist«. Und er meinte damit Kants »Lauterkeit der Absicht, sich selbst gegenüber aufrichtig zu sein«. Das ist klar: wenn ich mich selbst oder andere belüge, kann ich weder philosophisch noch spirituell weiterkommen. Dann verharre ich in Täschung und Leugnung, was unweigerlich zum Untergang führt. Metzinger schlussfolgerte: Spiritualität und strenge Rationalität sind deckungsgleich. Intellektuelle Redlichkeit bedeute die Bereitschaft, sich nichts in die Tasche zu lügen. Intellektuelle Redlichkeit sei somit das, was Religionen nicht haben könnten. Das sei der bedingungslose Willen zur Wahrheit und zur Erkenntnis. Wer ganz werden wolle, müsse alle Konflikte zwischen seinem Handeln und seinem Werten auflösen, in einer Verbindlichkeit gegenüber sich selbst.
Metzinger meditiert nach eigenen Angaben seit 34 Jahren, und er ist auf der Suche nach einer säkularen Spiritualität, die nicht religiös eingebunden ist, sondern rein nach ihrer objektivierbaren Wirksamkeit bewertet wird. Damit trifft sich dann die Philosophie mit der naturwissenschaftlichen Erforschung der Meditation.
Brück sprach über den »Weltknoten« (Schopenhauer), die Beziehung zwischen Leib und Seele, die bei der Erforschung des Bewusstseins von entscheidender Bedeutung sei. Ist bewusstes Erleben nichts als ein Aspekt physiologischen Erlebens? Ist die Freiheit des Denkens und Wollens nur eine Illusion? Wie weit kann man das menschliche Gehirn mit einem Computer vergleichen? Kann man Gefühle messtechnisch abbilden? Hier seien wir in den Grenzbereichen zwischen Naturwissenschaft und Philosophie.
Einen gewissen Diskussionsbedarf, der sich durch die ganze Konferenz zog, bildete naturgemäß das Verständnis davon, was Meditation überhaupt sei.
Video: Der Benediktiner-Mönch und Zen-Lehrer Willigis Jäger gibt eine Einführung in eine Meditation.
Die bisherigen neurophysiologischen Forschungen zur Meditation von Wolf und Tania Singer etwa, wie auch fast alle anderen diesbezüglichen Untersuchungen, erfolgten mit langjährigen Meditierenden aus der tibetisch-buddhistischen Tradition. Es ist dem Dalai Lama und seiner Aufgeschlossenheit für das westliche Denken zu verdanken, dass die spirituelle Praxis der Meditation heute in der Gehirnforschung eine Rolle spielt. Dies führt jedoch auch zu einer Einseitigkeit durch die fast ausschließlichen Rekrutierung der Probanden aus dem Buddhismus. Christliche Kontemplative waren, wie man hörte, bisher weniger aufgeschlossen für derartige Unterfangen. An andere Repräsentanten, etwa aus den schamanischen oder hinduistischen Traditionen, wurde anscheinend noch nicht groß gedacht.
Das wirft das Problem auf, dass die Frage nach dem Ich und mithin der Subjektivität in der Wissenschaft im buddhistischen Kontext der Ich-Losigkeit und Auflösung in die Leerheit nicht gerade der Klärung näher kommt. Es sei denn, man will sie erledigen, indem man sie als gegenstandslos erklärt, weil es das Ich ja eh nicht gibt.
Die Frage von Subjekt und Objekt im Erkenntnisprozess der Wissenschaft und die Notwendigkeit einer spirituellen Antwort auf die Subjektivität rückt der Beantwortung näher, so Brück, wenn man nicht von einer Ich-Auflösung ins Unendliche, sondern von einer Ich-Integration im differenzierten Ganzen ausginge. Es gehe um eine Aufmerksamkeit, die nicht das Komplexe unterdrückt, sondern subtil vereint. Bewusstsein bildet sich selbst weiter aus, und es ist die Instanz, die das Wissen hervorbringt. Insofern muss man es selbst auch untersuchen.
Abschluss-Podiumsgespräch
Zu Beginn des Podiumsgespräch sagte der Moderator, Gerd Scobel, dass die Forschungsgelder für die Neurowissenschaft im letzten Jahrzehnt höher waren als die Gesamtinvestitionen in die bemannte Raumfahrt. Er sprach vom »decade of the brain«. Wir befinden uns also im Zeitalter der Gehirnforschung und es sei sensationell, dass nun auch die Meditation als ernsthafter wissenschaftlicher Forschungsgegenstand an Bedeutung gewinne. Was aber ist Meditation?
Video: Ein Gang durchs Publikum während der Pause.
Die Konferenz fand vom 26.-27.11.2010 in Berlin im Atrium der Deutschen Bank, Unter den Linden 13-15, statt.
Das Podium war sich einig, dass es weit mehr als Wellness oder Wohlfühlfaktor ist. Der Philosoph Brück definierte Meditation als »Aufmerksamkeit auf die eigenen Bewusstseinsvorgänge«.
Gerd Scobel thematisierte noch einmal die Frage nach den Gefühlen in den Wissenschaften und konstatierte eine Abneigung, ja bisweilen einen Hass gegen Gefühle. Tania Singer, die als Gehirnforscherin arbeitet, teilte mit, dass sich das gerade ändere. Überall publiziere man subjektive Daten. Eine adäquate introspektive Wissenschaft, also eine wissenschaftliche Beschreibung innerer Zustände, fehle aber noch. Sie stellte die subtile Frage: »Wie kann man Subjektivität in sein Korrelat in der Materie überführen?«, was wohl sagen will: Wie kann man Subjektivität messen? aber auch ein Licht auf die Idee wirft, die materielle Struktur könne ein Ausdruck, eine Entsprechung der spirituellen Subjektstruktur sein. Inwieweit der Neurowissenschaftlerin Singer diese philosophische Implikation bewusst ist, weiß ich nicht. Diese Formulierung zeigt jedoch, dass sich hier der strenge materialistische Reduktionismus auflöst und die kognitive Landkarte um die Kategorie des Subjekts erweitert wird. Eine Entwicklung, die mich mit der größten Erleichterung erfüllt, löst sich hier doch die gewalttätige, erdrückende Enge, der das fühlende Lebewesen als missachteter Gegenstand in der Wissenschaft bisher unterworfen war.
Video: Die Referenten kurz vor der Podiumsdiskussion. U.a. mit Prof. Dr. Thomas Metzinger, Philosophisches Seminar der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (am Ende des Films)
Singer merkte darüber hinaus an, dass es mit der introspektiven Herangehensweise nicht genug sei. Es gehe auch um interspektive Forschung, also um die Frage der Empathie und des Mitgefühls, um die neuronalen Korrelate von sozialen Prozessen. Es gebe eine emergente Qualität aus einer Gemeinschaft. Sie nannte es die Perspektive der 2. Person, in Ergänzung zur Diskussion um 1. und 3. Person-Perspektive. Tania Singer forscht derzeit an diesen Fragen. Die Untersuchungsergebnisse sind noch nicht veröffentlicht und wir dürfen gespannt sein. Hier dürften weitaus mehr Antworten auf die Frage nach dem Wesen des Menschen und dem Sinn des Lebens verborgen sein, als in den toten materiellen oder den weltabgewandten spirituellen Angeboten.
Während der Grundfokus der anderen Naturwissenschaftler und auch der beiden Philosophen Brück und Metzinger eindeutig kognitiver, mentaler Natur war, brachte Tania Singer sowohl in Sachfragen als auch in ihrem persönlichen Auftritt die Emotionalität in den Vordergrund. Lag das vielleicht daran, dass sie eine Frau ist?
Paul J. Kothes (re.) im Gespräch mit Gerd Scobel und Dr. Nadja Rossmann
Paul Kothes, in der buddhistischen Tradition geschult, votierte dafür, sich von allen diesen Dingen wie Emotionen zu lösen. Es ginge um eine Disziplin der Selbstdistanz. Diese Distanz müsse gnadenlos bis zum Ende geführt werden. Das sei die meditative Erfahrung.
Dr. med. Edda Gottschaldt von der Oberberg Stiftung meldete sich mit dem Hinweis, dass sie als Ärztin an einer psychosomatischen Klinik für Sucht und Persönlichkeitsstörungen in der Meditation und in der Frage der Gefühle die praktische Seite vertrete. Es ginge um die Anerkennung dessen, was ist. Unangenehme Dinge gelte es anzuschauen, sonst machen sie uns krank. Annehmen, dann loslassen, so könne Heilung geschehen. Das sei die Entwicklungsdynamik, es gehe nicht um Wellness. So könne man zu einer nüchternen Erkenntnis der Welt kommen. Man gehe aus der Wertung heraus und nehme die Welt so, wie sie ist.
Metzinger meditiere seit 34 Jahren und erführe die Achtsamkeit als präzise und sanft. Präzise könne er gut, sagte er Tania Singer augenzwinkernd zugewandt als Antwort auf ihre Kritik an der Denklastigkeit seiner Philosophie, und gab als Philosoph zu, Meditation als eine Form der Erkenntnis zu erfahren, die nicht auf wahren Sätzen beruht. Sie sei eine zweite Form der Erkenntnis und er wisse selbst nicht, wie er diese Erkenntnis erklären soll. Er führte den Begriff der »nullten Perspektive« in die Diskussion ein. Es gehe nicht um ein subjektives Erleben, sondern um ich-lose Zustände. Er stellte aber zugleich die Frage, wie könne die Erinnerung an diese ich-losen Zustände zu einem Teil seines autobiografischen Gedächtnisses werden, wenn er selbst in diesem Zustand garnicht da war? Philosophische Raffinesse mit selbstironischem Unterton.
Ein weiterer Diskussionspunkt waren die Risiken und Nebenwirkungen von Meditation. Instabilen Gemüter könne sie durchaus zu psychischen Problemen gereichen. Klar, dass hier Vorsicht geboten ist.
Matthias von Brück und Thomas Metzinger vertraten durchaus kontroverse Positionen und von Brück widersprach der Säkularisierung von Spiritualität, wie sie Metzinger in seinem Vortrag forderte. Es gehe nicht darum, etwas zu säkularisieren, sondern darum, die Institutionalisierungsprozesse zu dekonstruieren. Es reiche nicht aus, den katholischen Pabst durch einen Literaturpabst oder einen Börsenpabst zu ersetzen. Brück sieht in der Spiritualität die Möglichkeit, uns ein Menschenbild an die Hand zu geben, mit dem wir uns selbst ändern können. Diese Möglichkeit der Selbstveränderung wurde im institutionalisierten Christentum durch die Sündenlehre verschüttet. Dass wir uns selbst steuern und lernen, wie wir mit uns selbst umgehen, sei der Gewinn der Meditation.
Wie sieht eine kommende Bewusstseinskultur aus?, fragte der Moderator Scobel. Metzinger schlug eine ideologiefreie Form der Meditationsausbildung in Schulen vor. Brück hielt dagegen, nur Meditation in ein problematisches Schulsystem einzuführen, sei nicht geeignet und helfe bestenfalls, dass die Schüler erst nach dem Schultag zusammenbrechen anstatt schon währenddessen. Besser sei es, pluralistische Prozesse voranzubringen, damit sich das von der Basis her verändert.
Kothes gab zu bedenken, dass echte Meditation nicht systemkompatibel sei. Das System werde es nicht annehmen. Klüger sei es, dass sich zunächst ein Feld formt, aus dem sich von unten nach oben etwas entwickelt.
Am Ende stand eine schöne Destillation: »Achtsamkeit ist die Pforte des Menschen zu sich selbst.«
Video: Abschlussmeditation mit einem Mantra-Gesang.
Alles in Allem wurden die essentiellen Fragen des Menschen gestellt, Spiritualität und Wissenschaft rückten ein gehöriges Stück zusammen, und es wurde ein Horizont sichtbar, an dem ein neues integriertes Verständnis von Welt, Mensch und Gott heraufdämmert. Der Kongress endete mit einem achtminütigen Mantra-Gesang. Die Wissenschaftler und das Publikum schlossen die Augen und meditierten nocheinmal gemeinsam. Es war für mich spürbar, wie die spirituelle Energie anstieg, wie sich Ruhe und innerer Frieden in mir einstellten. Glücklich und zufrieden, emotional, kognitiv und spirituell gesättigt, ging ich mit Freunden in die nahegelegene Pizzeria, um mit der körperlichen Sättigung den Tag zu beschließen.
Gestern, Samstag, war mal wieder ein höchst ereignisreicher Tag hier in Berlin. Es fing schon am Freitag an. Ich war nachmittags auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin im Haus der Kulturen der Welt im Regierungsviertel. Dort war eine Veranstaltung zu einer Buchneuerscheinung: Joe Conzo: »Born in the Bronx. Hip Hop – Die Geschichte einer urbanen Kultur«
Dort traf ich jemanden vom Gangway e.V., einer Berliner Streetworker-Initative, und erfuhr etwas von Gangway-Beatz, einem Hip Hop-Projekt von Jugendlichen aus sozial problematischen Kiezen. Gerade machen sie einen Schüleraustausch, die »Berlin-Bronx-Connection« und es waren ca. 10 Jugendliche aus der Bronx da.
Am Samstagmorgen dann las ich zufällig im Tagesspiegel, dass um 12h am Gesundbrunnen im Wedding, unweit meiner Wohnung, eine Führung durch das Viertel stattfinden sollte mit dem mysteriösen Titel: »Rap und Religion«.
Wie es die Fügung wollte, besichtigten wir nicht nur eine Moschee und einen orientalischen Laden, sondern auch das Stadtteilbüro des Gangway e.V. und ich erfuhr von der am Abend geplanten CD-Release-Party des zweiten Gangway-Beatz Samplers.
Gangway Beatz Vol. 2
Schnell übers iPhone ins Internet fand ich den Veranstaltungsort und ging abends dort hin.
Soweit die Zusammenfassung, jetzt nochmal von vorne etwas ausführlicher.
Freitag, Internationale Literaturtage
Joe Conzo, der Autor des Buches, ist Puertoricaner und in der Bronx aufgewachsen. Er ist Fotograf und begann bereit im Alter von 11 Jahren zu fotografieren. Er gehörte zur »Community«, zu den schwarzen und farbigen Ghetto-Kids, die die ersten Schritte des Rap und Hip Hop einleiteten. Damals gab es keine Clubs oder Discotheken für diese Musik. Sie entstand auf der Straße, die Kids mieteten dann die Turnhallen ihrer Schulen, brachten zwei Plattenspieler und die Schallplatten ihrer Eltern, wie z.B. James Brown, R&B, Funk, Soul, Blues und machten daraus ihre eigene Musik. Conzo erzählte, sie hatten genug von Gewalt und Drogen und wollten was anderes. Sie sangen und tanzten, sie verwendeten die Schallplatten ihrer Eltern, indem sie sie scratchten oder einzelne Beats mit den zwei Plattenspielern in auditiven Collagen neu zusammenfügten. Die Breakbeats entstanden einfach so. Sie wussten damals nicht, was sie da ins Rollen brachten. Es war eine politische Bewegung, könnte man sagen. Die Leute sangen sich ihren Frust vom Herzen, sie suchten nach einer Identität, sie bildeten Gemeinschaften, sie waren kreativ.
(Für weitergehende Information sei auf Wikipedia verwiesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Hip_Hop)
Hip Hop hielt sich über die Jahre, erfuhr eine Kommerzialisierung ohnegleichen, und selbst heute noch, nach 35 Jahren, gibt es die authentischen Roots, gibt es eine Bewegung von jungen Menschen, die nicht um des Geldes willen diese Musik machen, sondern weil es ihnen eine Herzensangelegenheit ist, weil sie dafür brennen.
Soweit ich das überblicke, ist Hip Hop die zur Zeit einzige inhaltlich, sozial und politisch motivierte Musikform überhaupt. Sie ist die einzige lebende Musikform, die von der Straße, von den realen Lebensverhältnissen der Menschen kommt.
In den sozialen Randbezirken Berlins, im Wedding, in Mahrzahn, in Neukölln, sind es vor allem die Kids aus Migrationsfamilien. An den Schulen sind bis zu 90% der Schülerinnen und Schüler Ausländer, die finanzielle und soziale Situation ist kritisch, die Zukunftaussichten sind hoffnungslos. Es ist verständlich, dass in einem solchen Umfeld die Frustration und die Gewalt zunehmen. Gangway e.V., eine Streetworker-Initiative, holt diese Jugendlichen ab und versucht, ihnen über die Musik einen neuen Lebensinhalt zu geben.
CD-Release-Party
Gestern Abend nun war die CD-Release-Party der zweiten Gangway-Beatz-Scheibe. Conzo war da, die Kids aus der Bronx und natürlich die Berliner Kids. Die Location ein echter Underground-Schuppen, der Tape Club in der Heidestraße 14.
Tape Club
Die meisten der Anwesenden waren wohl um die 20 oder jünger, einige Ältere gab es auch, vielleicht um die 30. Aber ich schätze mal, dass ich da so ziemlich der Älteste war. Ich höre Rap seit etwa 1982, als ich mal in Köln in einer Musikkneipe eine total ungewöhnliche, unglaublich treibende Musik mit puren Beats hörte und den DJ fragte, was in aller Welt das sei. Er schrieb es mir auf einen Zettel, weil ich es mir unmöglich merken konnte: Grandmaster Flash and the Furious Five. Jahre später waren sie richtig berühmt und sie gehören heute zu den Urvätern des Rap. Ein Freund hatte dann auch die legendären »Electro«-Platten entdeckt, wo die unzähligen Bands und Sänger auf LPs gesammelt waren, pro Band ein Stück. Da waren schon alle vertreten: Sugarhill Gang, Afrika Bambaataa, Captain Rock usw. Später kamen dann Public Enemy und viele andere, deren Namen ich gerade nicht erinnere. Viele von ihnen performen heute noch. Afrika Bambaataa, einer der berühmtesten Rapper überhaupt, macht auch heute noch in New York unkommerzielle Projekte und legt in Parks oder auf Straßenfesten kostenlos auf, wie Joe Conzo berichtete.
Gangway Beatz Vol. 2
Jedenfalls war dann gestern Abend echter Rap geboten. Es war eine üppige Fülle an Musikerinnen und Musikern, alles junge Menschen. Sie traten alleine oder zu zweit oder zu dritt auf, manchmal wechselten die Formationen und man sang in anderer Besetzung zusammen. Keiner spielte ein Instrument. Der musikalische Teil wird ausnahmslos von Platten eingespielt und vom DJ mit den Breakbeat-Techniken bearbeitet. Auf der Bühne stehen nur die Sängerinnen und Sänger. Es geht um Text. Und das ist ja etwas, was mir gefällt. »Urban word is a movement« hatte ein Mädchen aus der Bronx auf ihrem T-Shirt stehen. Hier entsteht Literatur, hier entstehen Texte. Es ging um die Freiheit des Menschen, um Würde und Menschenrechte. Die Texte prangerten Rassismus an, die Lebensverhältnisse im Kapitalismus, sie sangen gegen Gewalt und für ein besseres Leben. Sie thematisieren Gefühle und ihr neues Leben mit der Musik, dass das alte Leben der Gewalt und der Drogen abgelöst hat. Gute, engagierte Texte.
Die Führung durch den Wedding
Habib, der sechszehnjährige Stadtführer pakistanischer Herkunft, der uns die Verbindung von »Rap und Religion« nahebrachte, machte auch Hip Hop bei Gangway e.V.
Kiezführer Habib (rechts) und sein Bruder
Dort darf man in den Texten, so berichtet er, keine gewalttätigen oder sexistischen Ausdrücke verwenden, sonst wird man aus dem Projekt ausgeschlossen. Hip Hop ist ja heute etwas in Verruf gekommen, durch sensationsgeile Kommerz-Interpreten wie Sido u.ä., die sich vor allem durch ordinäre und gewaltverherrlichende Texte hervortun. Gangway e.V. achtet darauf, dass die Kids nicht auf die schiefe Bahn kommen. Habib und sein Bruder sind Beispiele, dass das funktioniert. Habib erzählte sehr stolz, dass er nun auf dem Gymnasium ist, und es wurde deutlich, dass ihm die Schule etwas bedeutet. Er stellt sogar das Rappen erstmal zugunsten der Schule zurück.
Und die Rapperinnen und Rapper am Abend zeigten, was in ihnen steckt. Sie haben was zu sagen, sie sind nicht blöd. Hier kann man sich die Musik anhören und die CD bestellen.
Die Moschee
Habib führte uns am Nachmittag dann auch noch in eine Moschee. Wir, zehn Deutsche mit Multi-Kulti-Affinität, saßen also in der Moschee, und wie es der Zufall wollte, waren gerade einige Geistliche aus anderen Städten da, die am Wochenende auf Predigertour gehen. Es waren sehr gläubige Moslems eines bestimmten Sufi-Ordens (Dawat-e-Islami), die man an ihren grünen Turbanen und weißen Kaftans erkennt.
praktizierende Moslems in der Moschee
Sie strahlten alle eine große Liebe und inneren Frieden aus. Sie stellten sich unseren kritischen Fragen und es war schön, diese äußerlich so befremdlich wirkenden Männer mit langen Bärten und islamischer Kleidung mal aus der Nähe zu sehen und mit ihnen zu sprechen. Einer ist Informatiker, ein anderer arbeitet bei Bosch in Stuttgart in einer technischen Abteilung.
Sie erklärten uns ihre Gebetspraxis der fünf Tagesgebete. Die Gebete selbst dauern nur 4-5 Minuten, dem geht eine kurze Waschung von Gesicht, Händen und Füßen voraus. Alles in allem höchstens zehn Minuten. Die Gebete finden in einer bestimmten Zeitspanne statt, die je nach Tagesgebetszeit so zwischen 30 Minuten bis zwei Stunden liegt. Irgendwann in der Zeit soll man das Gebet machen. Man ist also recht flexibel und kann die Gebete meistens ganz gut in den Tagesablauf einbauen.
In der Moschee, die eigentlich eine umgebaute Lagerhalle im Hinterhof ist, empfand ich eine wunderschöne friedliche Stimmung, eine spirituelle Atmosphäre. Es war das zweite Mal in meinem Leben, dass ich in einer solchen Hinterhof-Moschee war, und auch beim ersten Mal, damals in Bensheim, hatte ich diese Stimmung erlebt. Es liegen schöne weiche Teppiche aus, es ist sauber und es geht um Gott. Es sind Orte des Gebets, der Meditation und der spirituellen Sammlung.
Es war schön, hier mal ohne Berührungsängste zusammenzusitzen und miteinander zu reden. Fast eine Stunde verbrachten wir dort. Es wurde klar, dass »Islam« auf Deutsch »Frieden« heißt. Hier waren keine fanatischen Terroristen, sondern gläubige Menschen. Ein alter, vermutlich türkischer Mann war auch in der Moschee, er schien etwas irritiert und fragte die Geistlichen aufgeregt, was das für Leute hier seien. »Alles Deutsche?« Sowas war ihm wohl noch nie vorgekommen.
Deutsche Besucher in der Moschee im Wedding
Es ist erstaunlich, wie tief die Gräben sind, wie fremd sich hier die Kulturen gegenüber stehen. Dabei könnte das durch ein wenig Dialog und Zusammensitzen radikal verändert werden. Mir wurde jedenfalls klar, dass das hier ganz normale Leute sind. Sie sind halt nur anders angezogen. Da ich selbst ein spirituell eingestellter Mensch bin, fühlte ich mich in ihrer Gegenwart geradezu wohl. Aber ich weiß auch, dass ich die gleichen Leute, auf der Straße als Fremde gesehen, wohl mit Misstrauen und Befremden angeschaut hätte.
Es war schön zu erleben, wie Habib, der sechszehnjährige Berliner pakistanischer Abstammung, uns völlig unprätentiös und unideologisch den Islam erklärte. Es war von Wertschätzung und Liebe getragen. Wir fragten ihn, wie die Jugendlichen im Islam das mit der Religion so sehen, ob ihnen das peinlich sei, wie das bei uns Christen doch oft so ist. »Nein, wer bei uns religiös ist, wird respektiert und geschätzt.«
Habib und sein Bruder über Rap, Religion und »Problemkinder«:
Abends in dem Club sah ich einen jungen Türken zu einem älteren hinzutreten und sich begrüßen. Der Ältere hatte eine Flasche Bier in der Hand. Der Junge zeigte auf die Flasche und ermahnte ihn mit einem schelmischen Gesicht und schien sagen zu wollen: Ein guter Moslem trinkt keinen Alkohol. Das tat der Freundschaft keinen Abbruch. Aber ich finde es begrüßenswert, wenn junge Leute ihr Heil nicht in Alk oder Drogen suchen.
Hier ein typisches Stück zum Hören: Kaveh ft. Karim – Rebellier
Ich finde es im übrigen auch immer wieder bewundernswert, die jungen Musliminnen zu sehen, die es gerade hier im Wedding zahlreich gibt. Einige sind verschleiert, andere nicht. Aber ich sehe immer wieder, dass sie dick befreundet sind. Es scheint keinerlei Vorbehalte zu geben, weder von der einen noch von der anderen Seite. Jede ist frei, das nach Gusto zu handhaben. Es scheint mir total ausgewogen zu sein. Es kippt nicht auf die eine oder andere Seite, wonach dann die Gegenseite die verworfene wäre. Das interpretiere ich mal so für mich als ein freigeistiges Element im Islam oder zumindest im europäischen Islam. Gesternabend habe ich mir dazu noch überlegt, inwieweit der Schleier für manche Mädchen vielleicht auch ein Style ist, also eine Kleidungsmode, denn diese sind dann schick gekleidet und die Kopfbedeckung ist kunstvoll ins Ensemble eingefügt. Was es für viele ebenfalls auszudrücken könnte, ist ein Bekenntnis zu Treue in der Ehe, also eine romantische Komponente. Sie wollen einen Ehemann und keine Experimente. Ich finde das beruhigend. Nicht ganz zuletzt wird es wohl auch eine Identifiktationsfläche für eine eigene kulturelle Identität sein. Als Türkin ist man halt keine Deutsche. Das bekommt man von deutscher Seite schon zu spüren. Also ist man besser stolz, eine Türkin zu sein.
Joe Conzo, der Puertorikaner, erzählte übrigens von der Bronx, dass sie irgendwann in den Siebzigern den zweisprachigen Unterricht in der Schule durchgesetzt haben, spanisch-englisch. Ein großer Fortschritt für die ethnischen Minderheiten und heute eine Gütesiegel für die kulturelle Offenheit der amerikanischen Gesellschaft. Man stelle sich das mal in Deutschland vor.
Hier nun zwei Videos von der Kiez-Führung mit den beiden Jungs Habib und sein Bruder:
Habib und sein Bruder führen uns durch den Wedding an die Stellen, wo die Jugend aus sozial problematischen Strukturen den Islam und Hip Hop praktizieren. Sie sprechen über Rap, Religion, Problemkinder, über das Streetworker-Projekt »Gateway e.V.« und sich selbst.
Junge Rapper sprechen über ihre Musik und den Zusammenhang mit ihrer Religion des Islam.
Resümee
Wie in der Biologie scheint es wohl auch in der Kultur zu einer Befruchtung zu kommen, wenn zwei verschiedene Wesen sich vereinen. Rap und Religion, Orient und Okzident, Islam und westliche Zivilgesellschaft – das können auch alchemistische Mischungen sein, aus denen neues Leben und neue Kultur entsteht. Wir entwickeln uns als Menschen und als Menschheit immer weiter. Wir verändern uns, wie wachsen und erschaffen Neues. Wir können uns freuen über diese Lebendigkeit.
Wir können dies alles als Reichtum sehen. Die »Problem-Kids« haben eine kreativen Weg gefunden, ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken. Ich sah da sehr viel Kreativität und Potential. Es tat gut, sie zu sehen und zu hören.
Berlin bietet diesen Schmelztiegel in herausragender Weise. Hier wird Blei zu Gold.
Für mich war es eine schöne Begegnung mit dem Islam und mit urbaner, echter Kunst von unten.
Und hier ist noch eine Eigenaufnahme vom gestrigen Abend, leider mit wenig Licht und nicht gerade der besten Audio-Qualität. Aber es geht ja um die Message:
Gedenktafel zu Berthold Brecht, auf dem Weg zur Beratung
03.09.2010
Gestern war ein ereignisreicher und durchaus heterogener Tag. Zuerst hatte ich einen Termin beim „RKW Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e. V.“, wo ich eine Beratung für meine Firma erhielt.
Dann war ich am Nollendorfplatz und stolperte zufällig in die Schwulenszene Berlins. Am Abend schließlich besuchte ich das wichtigste Jahresfest der Hare Krishnas, Krishnas Geburtstag.
Was RKW heißt, konnte ich auch nach längerer Recherche auf ihrer Homepage nicht herausfinden. Vielleicht wissen sie es selbst nicht. Jedenfalls geht es um Wirtschafts-Förderung. Sie haben einen neuen Bereich für kulturkreative Projekte gegründet und auch gleich einen Wettbewerb ausgeschrieben, an dem ich teilnehmen werde. Einsendeschluss ist der 12. September. Ich fand das vor ein paar Tagen zufällig in meinem Xing-Postfach, wo ich in einer Gruppe für Fördermittel bin. Ich kann nicht behaupten, dass ich diese Dinge plane. Sie geschehen einfach. Ich bin ein guter Sammler und ich bewege mich gerne in den aktuellen Zusammenhängen des „social media“. Irgendwie bin ich da drüber gestolpert, wie es ja auch eine social bookmark-Seite gibt, die „stumbleupon.com“ heißt. Jedenfalls rief ich gleich an und machte einen Termin mit dem Kulturbeauftragen. Gestern traf ich ihn. Ein sehr netter Mensch, der sich sehr kompetent und wertschätzend meine Situation angehört hat und mir sehr gute Tipps gegeben hat. Wir werden uns auch wieder treffen. Er sagte, ich hätte die richtigen Fragen gestellt und mein Unternehmen (die Tattva Viveka) sei ein idealer Kandidat für ihre Unterstützung. Ich fand einen professionellen Unternehmensfachmann. Wir sprachen über die Möglichkeit eines Investors, mit dem zusammen eine zweite Firma, eine Vermarktungsgesellschaft gegründet werden könnte. Dieser investiert in die Firma, z.B. auch mit der Gegenleistung Werbung in der Tattva Viveka zu bekommen und letztlich an den steigenden Umsätzen beteiligt zu sein. Ziel ist es, die Auflage zu steigern, z.b. auf 30.000 Ex., dafür social media zu nutzen und den Verlag nach Berlin umzusiedeln. Es wird Zeit, die Tattva auf das nächste Level zu heben, aber mit den bisherigen Mitteln geht es nicht weiter. Ich bin bereit und habe Lust, Neues zu wagen und professionell unternehmerisch an die Sache heranzugehen. Dazu gibt es Förderungen für Coaching, hohe Bürgschaften der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) und einen Kreativwettbewerb: http://www.kultur-kreativpiloten.de.
Nach dem Termin war ich richtig begeistert von den neuen Möglichkeiten und der kompetenten Beratung. Schön, dass es sowas gibt. Der Kreativbeauftragte war auch begeistert, denn – so seine Erfahrung – ich sei einer der wenigen aus der kulturkreativen Verlagsbranche, der bisher die neuen Möglichkeiten des Web 2.0 erkannt habe.
Motzstraße / Nollendorfplatz
Ich hatte dann nur noch zwei Stunden Zeit bis zum Krishna-Fest und fuhr deshalb mit der U-Bahn einfach mal an den Nollendorfplatz. Mal schauen, wie es dort aussieht. Es gibt dort viele hochkarätige Antiuquariate. Wahre Fundgruben für Büchernarren wie mich. Ich habe aber nichts gekauft. Ich habe eh schon genug Bücher. Eins, zwei Straßen weiter wunderte ich mich zunehmend über das Publikum in den Straßen. Lauter Männer, alle irgendwie gleich aussehend, bärtig, stylisch, schwarz gekleidet, meistens zu zweit oder zu mehreren, meistens so zwischen 40 und 50 Jahre alt. Ein seltsamer Army-Shop mit Lederkleidung in der Auslage und eindeutig sexuellen Accesoires, Bars usw. Einige Männer starrten mich an. Ich schaute weg, fand das etwas aufdringlich.
Ich kam an einem Friseurladen vorbei, dort arbeiteten auch Frauen. Der Laden schien aber einem Schwulen zu gehören. Ich brauchte dringend einen Haarschnitt und ging rein. Im Wartebereich lauter Schwulen-Magazine und ein Event-Heftchen für einen großen Schwulen- und Lesbentag am Samstag, 4. September, mit einem Grußwort von Wowereit, dem schwulen Oberbürgermeister von Berlin. So von wegen Offenheit und unterschiedliche Lebensstile. Im Heft auf jeder zweiten Seite eindeutige Anzeigen für schnellen Sex, Leder-, Lack- und Gummifetische, Bars, Lederkleidung und reihenweise Bilder von haarigen, oberkörperfreien Männer von den vorangegangenen Events, die sich im Arm hielten usw. Mehrfach gab es auch Master and Slave-Posen zu bewundern, eins oder zwei Jungs auf allen Vieren mit Halsband und Hundeleine und einer, der steht und die Leine hält.
Ich fand es seltsam und wunderlich, was es alles für Welten gibt. Offensichtlich genießen es diese Menschen, so zu sein.
Radha und Krishna werden geschaukelt
Eine Welt ganz anderer Art und ein harter Kontrast war sodenn auch mein dritter Tagesordnungspunkt: die Krishna-Fete. Ich fuhr mit der S-Bahn nach Tempelhof. In einer Seitenstraße im Hinterhof (Neue Straße 21) befindet sich ein kleiner Veranstaltungsraum, der als Treffpunkt der Krishna-Gemeinde genutzt wird. Ein Altar mit den Bildgestalten von Radha und Krishna, sowie Sri Caitanya und Nityananda, und Menschen, die die indischen Bhajans singen. Viele alte Freunde, die ich zwei Jahre nicht mehr gesehen hatte. Das war ein großes Hallo. Ich tauchte in die Bhajans ein. Die spirituelle Atmosphäre war spürbar für mich und ich konnte mich relativ gut eintunen. Manchmal kam ich in die Bewertung, aber dankenswerterweise wurden die Bhajans immer besser und ich konnte mich einlassen. Es wurde ekstatischer und freudiger. Ich hörte die altbekannten Tunes in dem besonderen Stil der Gaudiya Vaisnavas der Linie von Narayan Maharaj, der so authentisch indisch rüberkommt, so unwestlich, gleichzeitig mit einem treibenden Beat und doch ganz anders, weich, erherzend. Zwei gute Trommelspieler, ein Harmonium und schöne Melodien brachten mich zum tanzen. Ich kam in einen spirituellen Zustand der Liebe und des Friedens. Ja, es ist schön, für Gott zu singen und zu tanzen. Es ist anders als weltliche Beschäftigung, die für den eigenen Nutzen ausgeführt wird. In diesen Liedern und Zeremonien für Krishna ist man automatisch in eine Beschäftigung eingebunden, die ein Dienst für Gott ist. Das ist einfach eine andere Dimension. Die Herzen der Menschen gingen auf, zumindest meins. Wir badeten Radha und Krishna mit Säften, Honig, Joqurt und Wasser.
Danach wurden sie schön angekleidet und geschaukelt. Das war schon auch wunderlich, eine Runde von vielleicht 30 erwachsenen Personen zu beobachten, die zwei Püppchen auf einer Spielzeugschaukel schaukeln. Aber das sind keine Puppen und das ist kein Spielzeug. Das ist die höchste spirituelle Handlung, die man als Mensch ausführen kann. Behaupte ich jetzt mal so unbegründet.
Ich könnte es begründen, aber dazu müsste ich sehr weit ausholen. Das ist die ernsteste und existentiellste Handlung, die man tun kann. Sie befreit meine Seele und sie lässt mich eine wunderbar süße Liebe zu Göttin-Gott spüren. Ja, das kann man nicht logisch erklären. Das ist eigentlich widersinnig. Irrational. Aber ich konnte es gesternabend wieder fühlen. Es ist eine klare, warme und reine Liebe. Diese Liebe manifestiert sich in diesen Handlungen, nicht im Denken darüber. Die Handlungen sind das Baden, Anziehen und Schaukeln. Was würdest du mit deinen Liebsten machen? Mit deinen Kindern oder deiner/deinem Geliebten? Genau das wird hier für Göttin-Gott getan, für Radha und Krishna. Das ist Religion! Und es ist egal, ob Radha und Krishna hier mit Haut und Knochen gegenwärtig sind, also mit dem physischen Leib. Es geht um die Seele, um unsere spirituelle Essenz, die jenseits von chemischen Elementen und zeitweiligen physischen Formen ist. Es geht um die Essenz. Dass diese Liebe beim Schaukeln dieser Bildgestalten möglich ist, sagt sehr viel aus über die Bauweise der Wirklichkeit. Narayan Maharaj, der spirituelle Meister dieser Linie, wurde einmal gefragt: „Was ist mehr real, das Bild des Meisters oder der Meister selbst?“ Er antwortete: „In der materiellen Welt ist sowohl das Bild als auch die Person Illusion. In der spirituellen Welt ist sowohl das Bild als auch die Person real.“
Bild und Wirklichkeit fallen nur in der Illusion auseinander. In der Wahrheit sind Bild und Wirklichkeit unmittelbar verbunden, sie sind übereinstimmend. Das Problem der Wahrnehmung existiert nur in der Welt der Illusion, die kurzgesagt das umfasst, was nicht mit Göttin-Gott verbunden ist. Je weiter wir uns von Gott entfernen und uns selbst zum Mittelpunkt unserer Motive machen, also egoistische, altruistische, materialistische, zeitweilige Ziele anstreben, desto mehr fallen Bild und Wirklichkeit auseinander. Das Bild wird manipuliert, um die Motive bzw. den Schmerz und die echte Scham, die aus dem Missbrauch entstehen, zu verschleiern. Nur die Handlung für Gott gibt das saubere, reine, cleane Bild. In der Ausführung dieser Handlung erkenne ich automatisch, dass diese Handlung clean ist, denn sie enthält keine egoistischen, altruistischen, materialistischen oder zeitweiligen Ziele. Es muss nichts vertuscht, beschönigt, rationalisiert oder manipuliert werden. So manifestiert sich reine Freude und Liebe. Wir sind halt doch Dienerinnen und Diener Gottes, ob wir wollen oder nicht. Besser, wir akzeptieren es.
Dieser Artikel wird in Tattva Viveka 42 erscheinen.
Erscheinungstermin der Printausgabe: 15. Februar 2010
Jetzt hier erstmal nur die Einleitung und einige markante Sätze.
Einleitung
Was ist der Sinn von Kultur? Was ist der Sinn von Religion? Peter Sloterdijk unternimmt mit seinem aktuellen Buch eine Totalstudie der menschlichen Kultur incl. der spirituellen Kulturen Asiens. Nach seiner philosophischen Analyse sind die Religionen „anthropotechnische Übungsprogramme“, die in Form von Askesen zu einer Verbesserung des Menschen beitragen sollen. Daraus entstand die „ethische Differenz“. In der Aufklärung beobachten wir den Zerfall der Religionen und eine Entspiritualisierung der Askesen. Sloterdijks aufklärerische Antwort endet in einem Widerspruch. Könnte es sein, dass sie um eine Dimension zu kurz greift?
Einige Zitate aus dem Text
„Der Mensch kommt nur voran, solange er sich am Unmöglichen orientiert.“ (S. 700)
Sloterdijk beharrt darauf, „dass es kein Menschenrecht auf Nicht-Überforderung gibt“ (ebd.)
Wer eine Analyse des Realen anstrebt, ohne Gott dazu zu bemühen, endet meines Erachtens in einer Aporie, das heißt in einem unlösbaren Widerspruch.
Loslassen, Gott überlassen – lautet ein alter Weisheitsspruch.
„Ich verstehe hierunter die mentalen und physischen Übungsverfahren, mit denen die Menschen verschiedenster Kulturen versucht haben, ihren kosmischen und sozialen Immunstatus angesichts von vagen Lebensrisiken und akuten Todesgewissheiten zu optimieren.“ (Sloterdijk zu Anthropotechniken, S. 25).
Kultur als Grundparadoxon umfasst: wir sollen mehr werden, als wir sind, und das, was wir werden sollen, ist unmöglich.
„Indem die Hochkulturen Ausnahmeleistungen zu Konventionen erheben, erzeugen sie eine pathogene Spannung, eine Art von chronischer Höhenkrankheit.“ (P. Sloterdijk)
Nicht die Religionen waren oder sind das Problem, sondern das Basisparadoxon der Erklärung des Unmöglichen zur Normalität.
Kultur ist somit in ihrem Ursprung eine erste allgemeine Verunsicherung: Du musst dein Leben ändern! – Denn so, wie es ist, ist es nicht gut.
Die Sezession des Selbst selbst scheint den Widerspruch zu gebären. Ohne Selbst gäbe es keine Ethik, und ohne Ethik gäbe es kein Selbst.
Wer nicht demütig ist, wird gedemütigt.
Die Änderung kommt von Gott, oder nennen wir es die innenwohnende Gesundungstendenz des Lebens, die Syntropie.
Der Eigenwille ist die zentrale Achse der spirituellen Absonderung vom Ganzen.
Die spirituelle Tatsache indes ist das Leben selbst. Das Leben insbesondere, das sich selbst erkennt. Dieses ist sowohl biologisch als auch geistig. Es gibt dazwischen keinen Widerspruch.
Spiritualität ist die unmittelbare Erfahrung des Einzelnen mit Gott, ohne Vermittlung.
Kurzbeschreibung:
In der Annahme der ungeliebten Gefühle wie Schmerz, Angst und Wut kommen wir in den Heilungsprozess. Die Vermeidung von Schmerz durch äußere Mittel ist nur zeitweilig und erzeugt weitere Konflikte. Die Lösung liegt im Innen, in unserem emotionalen und spirituellen Selbst. In der Annahme des Schmerzes erkennen wir, dass er ein Teil unseres Selbst ist. In der Ablehnung des Schmerzes verursachen wir Abspaltungen von Teilen unseres Selbst.
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»Die Seele ruht in sich, alles ist gut, es gibt nichts zu tun.«
Diese Erfahrung hatte ich mal in einer Meditation.
In der Bhagavad-gita steht: »Die Seele tut nichts und wird auch nicht verstrickt.«
Mit dem Tun ist das Tun im Außen gemeint.
Meine Meditationserfahrung hatte ich in einer konkreten meditativen Übung, die darin bestand, auf dem Sofa zu liegen und mich nicht zu bewegen, egal, was mich dazu verleiten könnten, ein Zwicken, Jucken, Wimpernschlag o.ä.
Nach etwa 30 Minuten der völligen Bewegungslosigkeit kam ich in diesen Zustand. Ich ruhte in mir. Es war wunderschön und es hätte ewig so weitergehen können. Es gab nichts mehr im Außen, was ich hätte haben wollen, keine Bewegung, keinen Stoff, kein Geld, kein Kaufen, keinen Ruhm oder Ehre, niemanden, der mir die Füße küsst oder mich schlägt, keinen Sex oder Zuwendung. Alles war gut. Es gab nichts zu tun. Es war nichts zu tun. Einfach sein.
Wir haben so ein Zentrum in uns, einen Ort, eine Kraft. DAS sind wir selbst. Und dieses Selbst ist der Ursprung des unbedingten und zeitlosen Glücks. Ja, ich kann es kaum glauben. Da ist was in mir, dass einfach glücklich und erfüllt ist. Manche nennen es auch Liebe, denn es ist eine Art Liebe. Aber es ist auch Frieden, Einfach Sein, Fülle, Glück, Stille. Tatsächlich, das gibt es. Und man kann es auch außerhalb der Medition erleben. Sehr wahrscheinlich sogar dauerhaft in jeder Faser des Lebens.
Wie komme ich da hin?
Meine Erfahrung:
Indem ich den Schmerz aushalte, vor allem den seelischen Schmerz. Ich habe Schmerz, natürlich. Irgendwo und irgendwann wurde ich verletzt. Als kleines Kind schon, vielleicht schon Jahre vor meiner Geburt, wenn sich Schicksalsschläge bei meinen Eltern in ihren Gefühlen festsetzten und ihr Leben, ihre Einstellung und Herangehensweise prägten. Dieser Schmerz gehört zu mir, er ist ein Teil von mir. Indem ich ihn annehme, d.h. zulasse und umarme, kann ich diesen Teil von mir annehmen, also mich selbst annehmen. Dann geschieht eine Bewältigung dieser Schmerzen, ein Verarbeiten, das im Innern stattfindet. Und das macht mich ganz.
Wir versuchen aber immer, den Schmerz zu beseitigen, indem wir im Außen eine Befriedigung suchen. Zum Beispiel haben wir die Erfahrung gemacht: Immer dann, wenn ich Alkohol trinke, geht der Schmerz weg und ich fühle mich besser. Toll. Aber wenn die Wirkung des Alkohols nachlässt, ist der Schmerz wieder da. Zusammen mit den Gefühlen von Scham und Schuld, weil ich mir mit dem Alkohol noch zusätzlichen Schmerz zugefügt habe. Denn die Seele weiß, dass ich mir da körperlich Schaden zufüge, dass ich mich emotional betrüge, indem ich meine Gefühle durch die psychoaktive Substanz verändere, dass ich mich spirituell schädige, weil ich einen Teil von mir, meinen Schmerz, abspalte. Und ich verarsche mich, was meine Handlungsfähigkeit betrifft, weil ich den falschen Bewältigungsmechanismus verwende, der das Problem nicht löst, sondern verdrängt, verleugnet, verschiebt.
Der Alkohol, bzw. die Sucht im allgemeinen (seien es Alkohol, Drogen, Sex, Essen, Fernsehen, Lesen, Kaufen, Arbeiten, zu schnell fahren, Sprüche klopfen oder, oder, oder) ist zunächst ein Bewältigungsmechanismus für den Konflikt erster Ordnung. „Wenn ich das tue, geht es mir besser. Ich spüre den Schmerz nicht mehr so stark.“ Da der Alkohol/die Sucht jedoch eigene Probleme sozialer, körperlicher und psychischer Art mit sich bringt, wird er/sie zu einen weiteren Konflikt, dem Konflikt zweiter Ordnung. Beide Konflikte interferieren und potenzieren sich. Dadurch wird die Lage nur noch verzwickter.
Die Lösung im Außen ist keine Lösung. Es ist nicht möglich. Die Lösung liegt im Innen. In diesem inneren Kern, der emotional und spirituell ist. Natürlich können wir dann wieder im Außen agieren und gesellschaftlich erfolgreich sein. Unser größtes Bedürfnis ist jedoch, an diesen inneren Ort zu kommen.
Indem ich den Schmerz annehme und aushalte, wachse ich. Ich lehne mich selbst ab, indem ich den Schmerz ablehne. Indem ich den Schmerz annehme, werde ich integrierter und ganzer. Ich komme zu der Lösung im Innen.
Die Schmerzen vergehen auch wieder. Früher war in mir nur Panik, wenn ich Schmerzen hatte. Ich wollte sie so schnell wie möglich wieder loswerden. Und ich lebte in dem Gedanken: „Schmerz ist schlecht, das darf nicht sein. Schmerz ist Schwäche, Schmerz ist Versagen. Mir muss es immer gut gehen. Wenn ich nicht gut drauf bin, bin ich ein Versager. Wenn ich gut drauf bin, bin ich ein Gewinner.“ Diese Gedanken und mentalen Einstellungen erzeugten Panik in mir, wenn Schmerz auftauchte.
Heute ist da noch eine Stimme in meinem Kopf, die sagt: „Auch wenn es mir jetzt beschissen geht – es geht vorbei. Dieser Schmerz ist heute. Aber morgen ist ein anderer Tag und es wird ein anderes Gefühl geben. Es wird Heilung und Wachstum geben. Dieser Schmerz bin ich.“ Denn das ist meine neue Erfahrung: Indem ich den Schmerz annehme und hindurchgehe, komme ich daraus gestärkt und geheilt hervor. Ich fühle mich danach mehr bei mir, integrierter, mehr in meiner Kraft.
Ich denke, viele Abspaltungen von uns selbst beruhen auf diesen abgelehnten Gefühlen von Schmerz, sowie von Angst und Wut. Unsere Abspaltungen durch Außenmittel zu kitten, verschlimmert die Wunde. (Wobei zu diesen Außenmitteln sogar schon die Gedanken zählen können!) Indem wir aber furchtlos unsere ungeliebten Kinder annehmen (die abgelehnten Gefühle) und ihre Kostbarkeit erkennen, können wir wieder ganz werden und heilen. Wir erkennen, dass wir berechtigt sind, diese Gefühle zu haben. Sie sagen uns, was wir brauchen, was uns gut tut und was uns nicht gut tut. Indem wir diese Gefühle annehmen, kommen wir automatisch an diesen inneren Kern unserer Liebe und unseres unbedingten, ewigen Glücks (Frieden, Da-Sein).
Der Schmerz ist mein Reichtum. Das habe ich erfahren, als ich mich meinem Schmerz stellte und ihn annahm. Ich lag weinend und gekrümmt auf dem Boden, schwach und geschlagen. Aber ich erstand wieder auf, ohne dass dies ein Akt des Willens war. Etwas wurde ganz und ein Frieden kehrte ein, den ich vorher nicht kannte. ES heilte. Dies vollzieht sich in Schritten, denn der Schmerz ist meist zu groß, um auf einmal bewältigt werden zu können. So wachsen wir von mal zu mal mehr und werden zu dem, der wir wirklich sind. Wir kommen zu uns. Zu-sich-Kommen heißt: bei sich ankommen; aber auch: aus der Ohnmacht erwachen. DAS ist das spirituelle Erwachen.
Viele religiöse und spirituelle Traditionen haben die Emotionen verteufelt oder unbeachtet gelassen. Sie gelten oftmals nicht viel oder werden als Quelle des Leids verstanden. Die angebotene Lösung ist, diese Gefühle loszuwerden. Wie oben gezeigt, ist dies die falsche Lösung.
Gleichwohl ist die Lösung spirituell. Diese Lösung im Innen hat viel mit Gott zu tun, wie ihn jeder für sich versteht.
Eben stand ich an meinem Küchenfenster und schaute hinaus, als mein Blick zufällig auf eine Taube fiel, die gegenüber im Baum auf einem Zweig saß. Es war starker Wind und der dünne Zweig wiegte sich im Wind hin und her, teils kam ein Windstoß, teils nahm der Wind unterschiedliche Richtungen an. Die Taube saß auf dem Zweig – stoisch, gelassen, völlig entspannt. Sie und der Zweig schienen eins zu sein, sie bewegte sich in vollkommener Einheit mit dem Zweig. Da war kein Ausbalancieren, kein Gegensteuern oder Wackeln zu sehen. Sie putzte sich gelegentlich sogar noch. Ich schaute ungefähr 15 Minuten zu. Nur bei ganz heftigen Windstößen machte sie eine kleine Ausgleichsbewegung, aber auch das war im Verhältnis gesehen fast nichts. Ich stellte mir vor, ich säße da an ihrer Stelle. Ich müsste die ganze Zeit ausbalancieren und gegensteuern. Ich müsste ständig aufpassen und einen großen Kraftaufwand betreiben, um mich überhaupt auf dem Ast zu halten. Ich würde über kurz oder lang herunterfallen.
Da verstand ist, was es heißt, im Einklang zu sein. Diese Taube hatte kein Ego und keinen Eigenwillen. Was ich da sah, war Annahme, Ergebung, Hingabe. Wie unmittelbar sie den Bewegungen folgen konnte, wie widerstandslos sie auf dem Ast saß! Dies war noch nicht mal ein Folgen der Bewegung, was ja noch eine Trennung zwischen Vogel und Ast voraussetzen würde. Nein, das war eine Einheit, ein vollkommener Einklang. Egal wie sich der Ast im Wind bewegte, die Taube bewegte sich in die gleiche Richtung, als sei sie selbst der Ast.
Wir Menschen mit unserem Ego hingegen wollen immer unserem eigenen Willen folgen. Der Ast will nach rechts? Nein, ich will nach links! Wir müssen soviel Kraft aufwenden, weil wir uns nicht hingeben wollen, weil wir nicht dem Willen Gottes folgen wollen. Das Leben ist ein dynamischer Prozess, das Leben ist in Bewegung. Es wird von einer höheren Intelligenz gelenkt. Wenn wir doch diesen Willen Gottes annehmen könnten, dann könnten wir mit den Bewegungen im Leben im Einklang sein und wären entspannt, gelassen, in Frieden.
Aber wir vertrauen diesem Lebensprozess nicht. Es gibt jedoch ein Versprechen: wenn wir uns ganz auf diese Bewegung Gottes einlassen, dann sind wir in Frieden und es wird optimal für uns gesorgt.
Die bisherigen Daseinslagen des Menschen haben ihn enttäuscht, was diese Hingabe an Gott betrifft. Der aufgeklärte Mensch möchte selber denken, wollen und handeln. Wir wollen uns nicht vorschreiben lassen, wann wir rechts und wann wir links gehen. Dies rührt daher, dass einerseits unser unschuldiges Vertrauen missbraucht wurde, andererseits wir selbst dumm gewesen sind. Der Fehler lag darin, dass wir Menschen als Götter oder als »authorisierte« Stellvertreter akzeptiert haben. Diese Vermischung von menschlicher und göttlicher Sphäre ist ungesund, sie führt zu dem Vertrauensbruch und der Enttäuschung über die göttliche Fügung. Die menschlichen Vermittler, die sich zwischen uns und Gott gestellt haben, haben die Sache verdorben – die Gottkönige, die Päpste, die Gurus. Tatsächlich hat jeder Mensch eine direkte, unmittelbare Verbindung zu dieser göttlichen Bewegung des Lebens. Diese Verbindung gilt es wieder herzustellen, durch Hingabe, Gebet und Meditation.
Solange wir im Ego und im Eigenwillen verharren, sind wir steif und jede Bewegung erzeugt Widerstand. Sobald wir kapitulieren und uns hingeben, werden wir getragen und können ganz gemütlich und angenehm im Fluss des Lebens, im göttlichen Wind unser Sein genießen. Die widerstandslose Bewegung trägt uns in die Ewigkeit, den Frieden und das Glück, das wir suchen. Das Beste, was wir uns für uns vorstellen können, ist nur ein flüchtiger Schimmer des Willens Gottes für uns.