Seit zwei Wochen wohne ich nun fest in Berlin. Am 13. und 14. Februar 2011 bin ich sowohl mit meiner Wohnung als auch mit meinem Büro von Bensheim nach Berlin gezogen. mittlerweile setzt sich der Staub ab, die Unordnung verwandelt sich wieder in Ordnung und ich bekomme langsam einen Überblick.
Wie jedes Mal auch in den letzten sechs Monaten ist die Wiederankunft in Berlin nach einer Zeit in Bensheim aufregend und es passiert viel. Es ist immer wieder so, dass, ohne dass ich es aktiv arrangiere, viele Ereignisse stattfinden, wie Begegnungen mit Freunden und Bekannten, Events, kulturelle Veranstaltungen etc.
Mein Büro ist in der gleichen Etage wie die Redaktion SEIN. Wir sind also jetzt zwei Redaktionen mit ziemlich gleichem Themenspektrum, so ergibt es sich, dass bisweilen ja auch Menschen vorbeikommen, die mit beiden Redaktionen bekannt sind. So kam zum Beispiel am Freitag Stefan Datt mit seiner Freundin, die zusammen das alljährlich stattfindende Berliner Yoga Festival organisieren, ein großer Event mit zahlreichen Vorträgen, Konzerten, Seminaren und sonstigen Veranstaltungen. Stefan wollte eigentlich zur Sein-Redaktion, weil sie zusammen ein Sonderheft machen. Der zuständige Chefredakteur war jedoch noch nicht da, und so saßen sie einige Zeit bei mir im Büro und wir besprachen unsere eigenen Kooperationen. Nebenbei behandelte er noch mein Knie, dass aufgrund eines überlasteten Meniskus infolge des Umzugs bereits seit mehreren Tagen schmerzte. Außerdem erzählte er mir von einem Flashmob, der am nächsten Tag, am gestrigen Samstag, stattfinden sollte. Am gleichen Tag war auch die Yoga Expo, eine Yoga-Messe. Außerdem war abends in einer Yogaschule in Prenzlauer Berg ein Mantra-Singen angekündigt. Der Samstag versprach also ein reichhaltiger Tag zu werden.
Plakat der YogaExpo
Nachdem ich am Samstagmorgen mehrere Stunden mit der Einrichtung und Installation in meiner Wohnung verbracht hatte, die natürlich nach dem Doppelumzug noch nicht fertig ist, machte ich mich am frühen Nachmittag auf dem Weg zur Expo.
Erstaunlicherweise begegneten mir dort viele alte und neue Bekannte. Vor allem sah ich reichlich Bhaktas, Krishna Devotees. Nach und nach stellte sich heraus, dass sie die Veranstalter waren. Die ganze Veranstaltung war jedoch sehr offen organisiert, und es begegnete mir hier eine ganz neue Art von Krishna-Bewusstsein – überhaupt nicht dogmatisch. Dementsprechend wohl fühlte ich mich dort und traf sogar Sacinandana Swami, der eine ganz neue Haltung an den Tag legte. Er zeigte großes Verständnis für andere Yoga-Wege und auch für Menschen, die mehr körperorientiert sind oder etwa dem so genannten Advaita zusprechen – alles Dinge, die früher von den Krishnas vehement abgelehnt wurden.
Begehung des Sony-Centers am Potsdamer Platz in Berlin kurz vor dem OM-Flashmob.
Um 18.00 Uhr sollte der OM-Flashmob sein. Dieser fand am Potsdamer Platz im Sony Center statt. Ich machte mich so kurz nach 17.00 Uhr auf dem Weg. Es waren nur zwei Stationen mit der U-Bahn und ich hatte noch genug Zeit, den Sony Center zu suchen. Den Potsdamer Platz hatte ich mir in meiner Berlin-Zeit bisher noch nicht angeschaut. Er ist mehr oder weniger einer Ansammlung von Konsumtempeln in Hochglanz-Architektur, alles teuer, alles schick, alles merkwürdig. Ich hatte noch etwas Zeit, die ich nutzte, um mich etwas umzuschauen, und staunte doch nicht schlecht über das architektonisch interessante Bauwerk. Die Zeit schritt fort und bald war es 10 vor 6h. Viele Menschen waren auf diesem Platz wobei einige von ihnen aussahen, als wären sie Teilnehmer des Flashmops.
Om-Flashmob in Berlin im Sony-Center am Samstag, den 26.02.2011. Ca. 150 Menschen trafen sich spontan, um in der Einkaufsmeile kollektiv die heilige Silbe „OM“ zu intonieren. Ein wahrhaft begeisterndes Gemeinschaftserlebnis.
Um 18.00 Uhr begann dann das OM-Singen, es müssen ungefähr 150 Menschen gewesen sein. Es war ein sehr eindrucksvolles Erlebnis, gemeinschaftsbildend, begeisternd. Das Om wurde immer lauter, es hallte in der großen Arena wider. Menschen liefen umher in einer achtsamen und gemessenen Weise, während sie gleichzeitig die heilige Silbe intonierten.
Nach dem OM-Flashmob haben wir spontan noch ein Lied zu Ehren von Shiva gesungen.
Zum Schluss nahmen wir uns alle an den Händen und bildeten einen großen Kreis, der den ganzen Platz umschloss. Ahnungslose Passanten standen dabei und wunderten sich, was hier passiert. Nach gut fünf Minuten war der Spuk vorbei. Die Menschen zerstreuten sich weder, einige standen noch zusammen und redeten. Ich traf noch drei Freunde von mir, dich ich schon seit drei Wochen nicht mehr gesehen hatte. Zur Veranstaltung hatte etwas familiäres. Ich traf Freunde und Bekannte, und auch diejenigen, die ich nicht kannte, waren mir irgendwie vertraut und ich fühlte mich zugehörig. Um 19.00 Uhr sollte noch ein Mantra-Konzert auf der Yoga Expo sein, und die Freunde gingen spontan mit. Wieder auf der Expo dauert es nicht lange, und das Konzert begann. Wir hörten wunderschöne Bhajans und sangen alle mit.
Auf der Yoga Expo in Berlin ein kurzer Schnipsel vom Sita-Ram Mantra.
Dieses Mantra-Singen bewirkte eine spirituelle Erhebung und berührte mein Herz. Es war schön, mal wieder die heiligen Namen Gottes zu singen. Etwa acht Musiker, angeführt von dem indischstämmigen Madhava, der sang und Harmonium spielte, interpretierten die Lieder virtuos und professionell. etwa 100 Gäste im Publikum sangen mit lauter Stimme mit.
Dies ist Berlin. Es ist nicht nur ab und zu mal ein kulturelles Ereignis zu finden, sondern an einem Tag gleich drei verschiedene. In dieser Hinsicht ist die Stadt reich und eine Fülle von Möglichkeiten bietet sich den interessierten kulturell Kreativen.
Ab 15. Februar 2011 befindet sich die Redaktion der Tattva Viveka in 10823 Berlin, Akazienstr. 28. Ich habe heute das Büro eingerichtet. Die Sachen habe ich am Wochenende von Bensheim nach Berlin umgezogen. Gestern, am Sonntag, haben wir sie in das ganz frisch fertig gewordene neue Büro reingestellt und heute sitze ich hier zum ersten Mal am Schreibtisch. Ich bin mit der Redaktion „Sein“ auf einer Etage. Eine schöne Kooperation mit sehr netten Menschen. Die Tage kommt bestimmt noch mehr an Infos dazu.
Gestern habe ich zufällig eine Kunstausstellung (www.7-berlinerkunstsalon.com) entdeckt. Ich fuhr gerade von einer Konferenz nach Hause, war schon etwas müde. Es war Sonntag, 14h. Im Augenwinkel sah ich große alte Klinkerhallen links der Straße, zwischen denen Menschen liefen. „Hier ist was los“, dachte ich sofort und lenkte mein Auto an den Straßenrand, um zu parken. Es war die Landsberger Allee, Prenzlauer Berg/Friedrichshain, ehemaliger Osten.
a.station Kunsthalle
Was mich erwartete, war eine Kunstausstellung. Die Halle war riesig. Eintritt wäre 8€ gewesen, aber dank meines Presseausweises durfte ich umsonst rein. Echt praktisch sowas, und in Berlin kennen die Leute das. Ich hatte mittlerweile schon einige Male die Gelegenheit, gegen Presseausweis anstandslos freien Eintritt zu bekommen.
Blick in die Halle
Mit hohen Stellwänden waren die einzelnen Oeuvres unterteilt. Hoch ambitionierte Kunst allenthalben. Sehr vielfältige, ungewöhnliche Ideen, die vom klassischen Gemälde über Installationen und Videokunst bis zu Skulpturen reichte.
Es war wieder mal erstaunlich, wie individuell jedes Oeuvre ist, wie eigen jeder Künstler und jede Künstlerin die Welt wahrnimmt und in Kunst umsetzt. Bei einigen musste ich mich natürlich wieder wundern, wie man mit sowas Zeit verschwenden kann. Drei großformatige Ölgemälde von platt gedrückten Coladosen in naturalistischer Malweise – wer braucht das? Eine Fleißarbeit, aber ansonsten sinnlos, ist meine Meinung.
So gab es manches Schräge und Schrille. Meistens jedoch bestachen mich die Werke durch hohes handwerkliches Niveau, innovative Ideen und neuartige Wahrnehmungserlebnisse.
Ich frage mich manchmal, was der Sinn dieser modernen Kunst ist. Und ich vermute, dass selbst die KünstlerInnen sich bisweilen dieser Sinnfrage einfach verwehren. Kunst muss keinen Sinn haben. Das ist ihr Sinn.
Plakat der Ausstellung
Ein wesentliches Merkmal guter Kunst ist meines Erachtens die Fähigkeit, beim Betrachter noch nie gesehene oder erlebte Wahrnehmungen auszulösen. Dies bricht die gewohnte Wahrnehmung auf, die die Wirklichkeit per Verstand und Kategorien schön schubladisiert, alles unter Kontrolle bringt, aber keine neuen Erfahrungen mehr ermöglicht. Die Wirklichkeit wird immer mehr gerastert und was in das Raster nicht hinein passt, sehen wir dann nicht mehr. Kunst provoziert diese Wahrnehmungsraster, wenn sie die Wahrnehmungsgewohnheit zerbricht und den Blick auf das Unbekannte freigibt. Gute Kunst ist es meines Erachtens dann, wenn sie diesen Blick aufs Unbekannte durch Virtuosität unterstützt und auf derbe und anstößige Darstellungen verzichten kann. Heutzutage gibt es ja viele Happenings, die mit Blut, Urin, Fäkalien und dergleichen arbeiten. Das sprengt zwar die moralischen Ketten, immerhin, aber es ist kein Ausblick auf konstruktive und lebensförderliche, im echten Sinne schöne Kunst.
Eine sehr schöne Begegnung war in diesem Sinne die mit Bringfried-Johannes Pösger. Ein Mann im Alter von vielleicht 65 Jahren, der in seiner Person selbst ein Kunstwerk war. Er strahlte eine unglaubliche Reinheit aus. Ein Kunstwerk der Reinheit und Tugend, ohne dabei zwanghaft oder spießig zu wirken. Er trug einen naturfarbenen Leinenanzug aus schwerem Zwirn, gediegende Schuhe, Hemd und Schal. Die Haare kurz, Brille. Das hatte alles unglaublich Geschmack und war wohl auch nicht billig gewesen. Aber es war eine unaufdringliche Qualität, ein Meisterwerk an nicht selbstdarstellerischer sondern für sich selbst getragener Schönheit. Ja, das Wort Reinheit drängt sich mir auf, das viel geschmähte. Diese Reinheit war aber echt und authentisch und von daher Kunst. Sie strahlte keinen Druck und kein Werturteil aus. Es war eine neue Wahrnehmung. Seine Bilder hatten die Natur zum Thema – wie kann es anders sein? Natur ist das genuine Gegenstück zur Kultur, zur Kunst. Ein irres Spannungsverhältnis, das der Künstler auch in Worten thematisierte (siehe Zitate). Und er gibt auch philosophische Aphorismen heraus und hält Vorträge.
Nun gut, ich ende hier mit dem Lob, nicht weil es erschöpft ist, sondern weil ich meine Leserinnen und Leser ebensowohl wie den Künstler selbst, sollte er dies lesen, nicht kompromittieren möchte.
Was ich sagen will: In Berlin gibt es immer etwas zu entdecken. Und: Es gibt schöne Kunst.
Zitate von Bringfried-Johannes Pösger:
Zur Natur:
»Natur finden wir vor. Sie ist nicht abhängig von uns. Und sie braucht uns nicht. Wir können Natur nicht erschaffen. Die Natur hat daher ihrerseits erst einmal nichts mit Kunst zu tun. Sie mag unseren ästhetischen Ansprüchen genügen und wunderschön anzuschauen sein. Doch wäre es Unsinn, eine wild gewachsene Blüte als Kunstwerk zu bezeichnen. Kunst dagegen ist menschlich. Sie braucht uns Menschen. Sie ist abhängig von uns und ohne menschliches Zutun nicht möglich. Und doch ist es beim näheren Hinsehen stets nur der kleinere Teil dessen, was die Gesamtheit eines Kunstwerks ausmacht, den ein Künster dazu beitragen kann. Denn verändern und formen können wir nur, was wir vorfinden. Kein Mensch kann etwas aus dem Nichts erschaffen. Auch der Künstler ist davon nicht ausgenommen. Finden und Gestalten gehören zusammen. Das, was wir von Natur aus vorfinden, ist die unerlässliche Grundlage jeden Schaffens. Während die Natur weder von uns und schon garnicht von der Kunst abhängig ist, sind nicht nur die Kunst, sonder auch wir selbst grundsätzlich abhängig von ihr. Die Natur macht Leben, macht Menschen, macht Kunst erst möglich. Indem wir gestalten, widersetzen wir uns aber der Natur. Wir lassen sie nicht, wie sie ist. Wir ordnen uns ihr nicht unter. Doch tun wir im Grunde nur das, was das Leben seinerseits ganz natürlich von uns erwartet. Denn Leben ist Veränderung. Indem wir gestalten, leben wir.«
Aphorismen:
»Es kommt viel mehr auf neue Inhalte an als auf neue Formen.«
»Alles alte Denken ist von Herrschaft geprägt.«
»Positive Visionen zu kreieren braucht viel mehr Kreativität als negative Szenarien hochzurechnen.«
»Zum Blick voran gehört der Kontakt nach innen.«
»Kunst ist Luxus. Man braucht sie nicht. Das macht ihren Wert.«
»Wer sich selbst nicht spüren kann, den kann man nicht berühren.«
»Die Menschheit war noch nie erwachsen. Bisher gab es nur zu erwachsenen Leistungen dressierte Kinder.«
Gestern, Samstag, war mal wieder ein höchst ereignisreicher Tag hier in Berlin. Es fing schon am Freitag an. Ich war nachmittags auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin im Haus der Kulturen der Welt im Regierungsviertel. Dort war eine Veranstaltung zu einer Buchneuerscheinung: Joe Conzo: »Born in the Bronx. Hip Hop – Die Geschichte einer urbanen Kultur«
Dort traf ich jemanden vom Gangway e.V., einer Berliner Streetworker-Initative, und erfuhr etwas von Gangway-Beatz, einem Hip Hop-Projekt von Jugendlichen aus sozial problematischen Kiezen. Gerade machen sie einen Schüleraustausch, die »Berlin-Bronx-Connection« und es waren ca. 10 Jugendliche aus der Bronx da.
Am Samstagmorgen dann las ich zufällig im Tagesspiegel, dass um 12h am Gesundbrunnen im Wedding, unweit meiner Wohnung, eine Führung durch das Viertel stattfinden sollte mit dem mysteriösen Titel: »Rap und Religion«.
Wie es die Fügung wollte, besichtigten wir nicht nur eine Moschee und einen orientalischen Laden, sondern auch das Stadtteilbüro des Gangway e.V. und ich erfuhr von der am Abend geplanten CD-Release-Party des zweiten Gangway-Beatz Samplers.
Gangway Beatz Vol. 2
Schnell übers iPhone ins Internet fand ich den Veranstaltungsort und ging abends dort hin.
Soweit die Zusammenfassung, jetzt nochmal von vorne etwas ausführlicher.
Freitag, Internationale Literaturtage
Joe Conzo, der Autor des Buches, ist Puertoricaner und in der Bronx aufgewachsen. Er ist Fotograf und begann bereit im Alter von 11 Jahren zu fotografieren. Er gehörte zur »Community«, zu den schwarzen und farbigen Ghetto-Kids, die die ersten Schritte des Rap und Hip Hop einleiteten. Damals gab es keine Clubs oder Discotheken für diese Musik. Sie entstand auf der Straße, die Kids mieteten dann die Turnhallen ihrer Schulen, brachten zwei Plattenspieler und die Schallplatten ihrer Eltern, wie z.B. James Brown, R&B, Funk, Soul, Blues und machten daraus ihre eigene Musik. Conzo erzählte, sie hatten genug von Gewalt und Drogen und wollten was anderes. Sie sangen und tanzten, sie verwendeten die Schallplatten ihrer Eltern, indem sie sie scratchten oder einzelne Beats mit den zwei Plattenspielern in auditiven Collagen neu zusammenfügten. Die Breakbeats entstanden einfach so. Sie wussten damals nicht, was sie da ins Rollen brachten. Es war eine politische Bewegung, könnte man sagen. Die Leute sangen sich ihren Frust vom Herzen, sie suchten nach einer Identität, sie bildeten Gemeinschaften, sie waren kreativ.
(Für weitergehende Information sei auf Wikipedia verwiesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Hip_Hop)
Hip Hop hielt sich über die Jahre, erfuhr eine Kommerzialisierung ohnegleichen, und selbst heute noch, nach 35 Jahren, gibt es die authentischen Roots, gibt es eine Bewegung von jungen Menschen, die nicht um des Geldes willen diese Musik machen, sondern weil es ihnen eine Herzensangelegenheit ist, weil sie dafür brennen.
Soweit ich das überblicke, ist Hip Hop die zur Zeit einzige inhaltlich, sozial und politisch motivierte Musikform überhaupt. Sie ist die einzige lebende Musikform, die von der Straße, von den realen Lebensverhältnissen der Menschen kommt.
In den sozialen Randbezirken Berlins, im Wedding, in Mahrzahn, in Neukölln, sind es vor allem die Kids aus Migrationsfamilien. An den Schulen sind bis zu 90% der Schülerinnen und Schüler Ausländer, die finanzielle und soziale Situation ist kritisch, die Zukunftaussichten sind hoffnungslos. Es ist verständlich, dass in einem solchen Umfeld die Frustration und die Gewalt zunehmen. Gangway e.V., eine Streetworker-Initiative, holt diese Jugendlichen ab und versucht, ihnen über die Musik einen neuen Lebensinhalt zu geben.
CD-Release-Party
Gestern Abend nun war die CD-Release-Party der zweiten Gangway-Beatz-Scheibe. Conzo war da, die Kids aus der Bronx und natürlich die Berliner Kids. Die Location ein echter Underground-Schuppen, der Tape Club in der Heidestraße 14.
Tape Club
Die meisten der Anwesenden waren wohl um die 20 oder jünger, einige Ältere gab es auch, vielleicht um die 30. Aber ich schätze mal, dass ich da so ziemlich der Älteste war. Ich höre Rap seit etwa 1982, als ich mal in Köln in einer Musikkneipe eine total ungewöhnliche, unglaublich treibende Musik mit puren Beats hörte und den DJ fragte, was in aller Welt das sei. Er schrieb es mir auf einen Zettel, weil ich es mir unmöglich merken konnte: Grandmaster Flash and the Furious Five. Jahre später waren sie richtig berühmt und sie gehören heute zu den Urvätern des Rap. Ein Freund hatte dann auch die legendären »Electro«-Platten entdeckt, wo die unzähligen Bands und Sänger auf LPs gesammelt waren, pro Band ein Stück. Da waren schon alle vertreten: Sugarhill Gang, Afrika Bambaataa, Captain Rock usw. Später kamen dann Public Enemy und viele andere, deren Namen ich gerade nicht erinnere. Viele von ihnen performen heute noch. Afrika Bambaataa, einer der berühmtesten Rapper überhaupt, macht auch heute noch in New York unkommerzielle Projekte und legt in Parks oder auf Straßenfesten kostenlos auf, wie Joe Conzo berichtete.
Gangway Beatz Vol. 2
Jedenfalls war dann gestern Abend echter Rap geboten. Es war eine üppige Fülle an Musikerinnen und Musikern, alles junge Menschen. Sie traten alleine oder zu zweit oder zu dritt auf, manchmal wechselten die Formationen und man sang in anderer Besetzung zusammen. Keiner spielte ein Instrument. Der musikalische Teil wird ausnahmslos von Platten eingespielt und vom DJ mit den Breakbeat-Techniken bearbeitet. Auf der Bühne stehen nur die Sängerinnen und Sänger. Es geht um Text. Und das ist ja etwas, was mir gefällt. »Urban word is a movement« hatte ein Mädchen aus der Bronx auf ihrem T-Shirt stehen. Hier entsteht Literatur, hier entstehen Texte. Es ging um die Freiheit des Menschen, um Würde und Menschenrechte. Die Texte prangerten Rassismus an, die Lebensverhältnisse im Kapitalismus, sie sangen gegen Gewalt und für ein besseres Leben. Sie thematisieren Gefühle und ihr neues Leben mit der Musik, dass das alte Leben der Gewalt und der Drogen abgelöst hat. Gute, engagierte Texte.
Die Führung durch den Wedding
Habib, der sechszehnjährige Stadtführer pakistanischer Herkunft, der uns die Verbindung von »Rap und Religion« nahebrachte, machte auch Hip Hop bei Gangway e.V.
Kiezführer Habib (rechts) und sein Bruder
Dort darf man in den Texten, so berichtet er, keine gewalttätigen oder sexistischen Ausdrücke verwenden, sonst wird man aus dem Projekt ausgeschlossen. Hip Hop ist ja heute etwas in Verruf gekommen, durch sensationsgeile Kommerz-Interpreten wie Sido u.ä., die sich vor allem durch ordinäre und gewaltverherrlichende Texte hervortun. Gangway e.V. achtet darauf, dass die Kids nicht auf die schiefe Bahn kommen. Habib und sein Bruder sind Beispiele, dass das funktioniert. Habib erzählte sehr stolz, dass er nun auf dem Gymnasium ist, und es wurde deutlich, dass ihm die Schule etwas bedeutet. Er stellt sogar das Rappen erstmal zugunsten der Schule zurück.
Und die Rapperinnen und Rapper am Abend zeigten, was in ihnen steckt. Sie haben was zu sagen, sie sind nicht blöd. Hier kann man sich die Musik anhören und die CD bestellen.
Die Moschee
Habib führte uns am Nachmittag dann auch noch in eine Moschee. Wir, zehn Deutsche mit Multi-Kulti-Affinität, saßen also in der Moschee, und wie es der Zufall wollte, waren gerade einige Geistliche aus anderen Städten da, die am Wochenende auf Predigertour gehen. Es waren sehr gläubige Moslems eines bestimmten Sufi-Ordens (Dawat-e-Islami), die man an ihren grünen Turbanen und weißen Kaftans erkennt.
praktizierende Moslems in der Moschee
Sie strahlten alle eine große Liebe und inneren Frieden aus. Sie stellten sich unseren kritischen Fragen und es war schön, diese äußerlich so befremdlich wirkenden Männer mit langen Bärten und islamischer Kleidung mal aus der Nähe zu sehen und mit ihnen zu sprechen. Einer ist Informatiker, ein anderer arbeitet bei Bosch in Stuttgart in einer technischen Abteilung.
Sie erklärten uns ihre Gebetspraxis der fünf Tagesgebete. Die Gebete selbst dauern nur 4-5 Minuten, dem geht eine kurze Waschung von Gesicht, Händen und Füßen voraus. Alles in allem höchstens zehn Minuten. Die Gebete finden in einer bestimmten Zeitspanne statt, die je nach Tagesgebetszeit so zwischen 30 Minuten bis zwei Stunden liegt. Irgendwann in der Zeit soll man das Gebet machen. Man ist also recht flexibel und kann die Gebete meistens ganz gut in den Tagesablauf einbauen.
In der Moschee, die eigentlich eine umgebaute Lagerhalle im Hinterhof ist, empfand ich eine wunderschöne friedliche Stimmung, eine spirituelle Atmosphäre. Es war das zweite Mal in meinem Leben, dass ich in einer solchen Hinterhof-Moschee war, und auch beim ersten Mal, damals in Bensheim, hatte ich diese Stimmung erlebt. Es liegen schöne weiche Teppiche aus, es ist sauber und es geht um Gott. Es sind Orte des Gebets, der Meditation und der spirituellen Sammlung.
Es war schön, hier mal ohne Berührungsängste zusammenzusitzen und miteinander zu reden. Fast eine Stunde verbrachten wir dort. Es wurde klar, dass »Islam« auf Deutsch »Frieden« heißt. Hier waren keine fanatischen Terroristen, sondern gläubige Menschen. Ein alter, vermutlich türkischer Mann war auch in der Moschee, er schien etwas irritiert und fragte die Geistlichen aufgeregt, was das für Leute hier seien. »Alles Deutsche?« Sowas war ihm wohl noch nie vorgekommen.
Deutsche Besucher in der Moschee im Wedding
Es ist erstaunlich, wie tief die Gräben sind, wie fremd sich hier die Kulturen gegenüber stehen. Dabei könnte das durch ein wenig Dialog und Zusammensitzen radikal verändert werden. Mir wurde jedenfalls klar, dass das hier ganz normale Leute sind. Sie sind halt nur anders angezogen. Da ich selbst ein spirituell eingestellter Mensch bin, fühlte ich mich in ihrer Gegenwart geradezu wohl. Aber ich weiß auch, dass ich die gleichen Leute, auf der Straße als Fremde gesehen, wohl mit Misstrauen und Befremden angeschaut hätte.
Es war schön zu erleben, wie Habib, der sechszehnjährige Berliner pakistanischer Abstammung, uns völlig unprätentiös und unideologisch den Islam erklärte. Es war von Wertschätzung und Liebe getragen. Wir fragten ihn, wie die Jugendlichen im Islam das mit der Religion so sehen, ob ihnen das peinlich sei, wie das bei uns Christen doch oft so ist. »Nein, wer bei uns religiös ist, wird respektiert und geschätzt.«
Habib und sein Bruder über Rap, Religion und »Problemkinder«:
Abends in dem Club sah ich einen jungen Türken zu einem älteren hinzutreten und sich begrüßen. Der Ältere hatte eine Flasche Bier in der Hand. Der Junge zeigte auf die Flasche und ermahnte ihn mit einem schelmischen Gesicht und schien sagen zu wollen: Ein guter Moslem trinkt keinen Alkohol. Das tat der Freundschaft keinen Abbruch. Aber ich finde es begrüßenswert, wenn junge Leute ihr Heil nicht in Alk oder Drogen suchen.
Hier ein typisches Stück zum Hören: Kaveh ft. Karim – Rebellier
Ich finde es im übrigen auch immer wieder bewundernswert, die jungen Musliminnen zu sehen, die es gerade hier im Wedding zahlreich gibt. Einige sind verschleiert, andere nicht. Aber ich sehe immer wieder, dass sie dick befreundet sind. Es scheint keinerlei Vorbehalte zu geben, weder von der einen noch von der anderen Seite. Jede ist frei, das nach Gusto zu handhaben. Es scheint mir total ausgewogen zu sein. Es kippt nicht auf die eine oder andere Seite, wonach dann die Gegenseite die verworfene wäre. Das interpretiere ich mal so für mich als ein freigeistiges Element im Islam oder zumindest im europäischen Islam. Gesternabend habe ich mir dazu noch überlegt, inwieweit der Schleier für manche Mädchen vielleicht auch ein Style ist, also eine Kleidungsmode, denn diese sind dann schick gekleidet und die Kopfbedeckung ist kunstvoll ins Ensemble eingefügt. Was es für viele ebenfalls auszudrücken könnte, ist ein Bekenntnis zu Treue in der Ehe, also eine romantische Komponente. Sie wollen einen Ehemann und keine Experimente. Ich finde das beruhigend. Nicht ganz zuletzt wird es wohl auch eine Identifiktationsfläche für eine eigene kulturelle Identität sein. Als Türkin ist man halt keine Deutsche. Das bekommt man von deutscher Seite schon zu spüren. Also ist man besser stolz, eine Türkin zu sein.
Joe Conzo, der Puertorikaner, erzählte übrigens von der Bronx, dass sie irgendwann in den Siebzigern den zweisprachigen Unterricht in der Schule durchgesetzt haben, spanisch-englisch. Ein großer Fortschritt für die ethnischen Minderheiten und heute eine Gütesiegel für die kulturelle Offenheit der amerikanischen Gesellschaft. Man stelle sich das mal in Deutschland vor.
Hier nun zwei Videos von der Kiez-Führung mit den beiden Jungs Habib und sein Bruder:
Habib und sein Bruder führen uns durch den Wedding an die Stellen, wo die Jugend aus sozial problematischen Strukturen den Islam und Hip Hop praktizieren. Sie sprechen über Rap, Religion, Problemkinder, über das Streetworker-Projekt »Gateway e.V.« und sich selbst.
Junge Rapper sprechen über ihre Musik und den Zusammenhang mit ihrer Religion des Islam.
Resümee
Wie in der Biologie scheint es wohl auch in der Kultur zu einer Befruchtung zu kommen, wenn zwei verschiedene Wesen sich vereinen. Rap und Religion, Orient und Okzident, Islam und westliche Zivilgesellschaft – das können auch alchemistische Mischungen sein, aus denen neues Leben und neue Kultur entsteht. Wir entwickeln uns als Menschen und als Menschheit immer weiter. Wir verändern uns, wie wachsen und erschaffen Neues. Wir können uns freuen über diese Lebendigkeit.
Wir können dies alles als Reichtum sehen. Die »Problem-Kids« haben eine kreativen Weg gefunden, ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken. Ich sah da sehr viel Kreativität und Potential. Es tat gut, sie zu sehen und zu hören.
Berlin bietet diesen Schmelztiegel in herausragender Weise. Hier wird Blei zu Gold.
Für mich war es eine schöne Begegnung mit dem Islam und mit urbaner, echter Kunst von unten.
Und hier ist noch eine Eigenaufnahme vom gestrigen Abend, leider mit wenig Licht und nicht gerade der besten Audio-Qualität. Aber es geht ja um die Message:
10.09.2010
In Berlin passiert eigentlich jeden Tag was. Hier passieren Dinge jeden Tag, die auf dem Land, wo ich herkomme, im ganzen Jahr nur einmal, wenn überhaupt, passieren.
Am Dienstag (07.09.) war ich im Literaturhaus Berlin auf der Filmpremiere eines neuen Films über Walter Benjamin. Der Film wurde von David Wittenberg gemacht. Es ist sein dritter Film über Walter Benjamin. Von den ersten beiden habe ich im übrigen erst an diesem Abend erfahren. Moderation machte der Mensch, der an der Akademie der Künste für das Walter Benjamin-Archiv zuständig ist.
Man muss sich das mal überlegen. Ich steige bei mir in die U-Bahn, sitze ein paar Minuten da und schaue mir die Leute an oder denke vor mich hin. Einmal musste ich noch umsteigen und noch eine weitere Station fahren. Dann steige ich aus und laufe noch etwa 100 m bis zum Literaturhaus. Was mir hier präsentiert wird, ist First Class, Top Ranking, Erste Sahne. Besser geht‘s nicht. Der Filmemacher selbst und der Verwalter des Walter Benjamin-Archivs, und ein voller Saal Interessierter.
Das Literaturhaus ist eine feine Adresse in der Fasanenstraße, eine Seitenstraße zum Kurfürstendamm, wie ich hörte, die teuerste Straße in Berlin, ein Repräsentativobjekt. Ich wunderte mich wohl über die in den Schaufenstern der Läden ausgestellten Waren, Kleidung, Geschirr und dergleichen. Alles vom Feinsten, ohne Preisauszeichnung. Hier spielt Geld keine Rolle. Nun ja, das Literaturhaus kann nichts dafür. Hier wird echte, gute Literatur verhandelt. Das Programm und die Schaukästen mit den Büchern beeindruckte mich. Seltene Titel, zeitgenössische Literatur, state of the art.
Der Film ist eine 52minütige dokumentarische Reise durch die Lebenstationen Walter Benjamins, des großen Literaturphilosophen. Sein unstetes Leben ohne Wohnung, seine Flucht vor den Nazis, das Exil in Paris, die Flucht über die Pyrenäen, sein Freitod an der Grenze zu Spanien, in Port Bou, weil die spanischen Grenzbeamten die Flüchtlinge an die Nazis ausliefern wollten. Er vergiftete sich in der Nacht. Als Folge davon durften die anderen Flüchtlinge einreisen. Die Schriftstücke, die er mit sich trug, sind verloren. Seine letzten und wichtigsten Aufzeichnungen. „Schriftstücke unbekannten Inhalts“ heißt es im Polizeiprotokoll. Die spanischen Polizisten werden sich wohl kaum von dem Inhalt seiner Schriften einen Begriff gemacht haben. Heute ist er einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Was mich betrifft, so hat er mich geprägt. Er war in meinem Germanistik-Studium mein großes Vorbild, mein Bruder im Geiste. Ein Mystiker under cover. Ein Marxist und Jude. Seine Arbeiten zur Sprache und zur Erkenntnistheorie sind vom Geist der ewigen Wahrheit getragen, von einer transzendentalen Schau auf die ewigen Dinge.
Er wurde damals von niemandem verstanden. Und auch heute noch ist das wohl so. Er wird heute zwar verstanden, aber falsch. Das heißt, heute gilt er etwas und wird verehrt und gelesen. Der größte Teil der Rezeption ist jedoch sehr eingeschränkt. Man sieht ihn als Kultur- und Kunsttheoretiker, oder als Chronist der Geschichte. Seine mystische Dimension könnte nur jemand sehen, der selbst Mystiker ist. Und das sind die Kunst- und Literaturfreunde, die Historiker und Gesellschaftstheoretiker der modernistischen weltlichen Klasse nicht.
Wittenberg, der Filmautor, stellte sich nach dem Film den Fragen aus dem Publikum. Ich fragte ihn, ob er sich auch mit der psychischen und emotionalen Situation Benjamins beschäftigt habe, denn gerade bei Bejamin erschiene es mir sehr bedeutend, wie seine persönliche Geschichte und Situation sein Werk beeinflusste. Ein großer Ausspruch von Benjamin, der ganz am Anfang des Films zitiert wurde, weißt auf die Tiefe seiner Forschung und die Existentialität seines eigenen Lebens hin:
„Es ist vielleicht das größte Glück des Menschen, ohne Schrecken seiner selbst inne zu werden.“
Ich fragte also den Filmemacher. Aber er konnte damit nichts anfangen. Er redete an mir vorbei. Er erzählte etwas von der Geschichte der Moderne im 19. Jahrhundert in Paris, die Benjamin zum Thema gemacht hatte. Ja, das war das Thema von Bejamin damals, aber das ist nur die oberflächliche Schicht, das Sujet, aber nicht die innere Motivation. Es ging Benjamin um „die Philosophie der Geschichte“, wie er es selbst einmal nannte. Und ich füge hinzu, um die Philosophie der Geschichte des Menschen an und für sich.
Wittenberg sprach vom Denken Benjamins. Es wurde offensichtlich, dass er mit „Emotionen“ nichts anfangen konnte. Er ist, wie die ganze westliche Intellektualität, völlig im Denken absorbiert.
Unter der „Philosophie der Geschichte“ verstehe ich kurz gesagt die Untersuchung der Frage, wie Geschichte überhaupt zustande kommt und wie sich die Erkenntnis des Menschen in und an Geschichte aufspannt. Nicht geht es um die Frage, was passiert ist, also eine Aufreihung historischer Daten, sondern was das mit den Menschen und der Kultur macht. So nannte Benjamin sein Hauptwerk das „Passagen-Werk“, in Anlehnung an die Pariser Passagen, die überdachten Einkaufsstraßen. Passagen sind äußere Innenräume, Straßen, die zu Wohnzimmern umgebaut wurden, was durch den Fortschritt der Technik erst möglich wurde. Welche Veränderung der menschlichen Kultur drückt sich in einer solchen Idee, Straßen zu überdachen, aus? Was bedeutet das wiederum für den Menschen und seine sozialen Beziehungen? Passage bedeutet Vorbeigehen, Nicht-Bleiben. Wie Benjamins nomadisches Leben.
Paul Klee: Angelus novus
Benjamin war ein Mystiker, ein Kabbalist. Er sah die Wirklichkeit hinter den Dingen. Er hinterließ ein tiefes Werk, auf dessen Grund noch einige wertvolle Juwelen zu finden sein dürften. In der Fasanenstraße werden sie tendenziell vom Prunk des Tands überstrahlt.
Dieses Jahr ist Walter Benjamins 70. Todestag. Ab jetzt ist sein Werk „gemeinfrei“, d.h. die Ansprüche auf Copyright sind verfallen. Das bedeutet, dass ich in der nächsten Tattva Viveka Auszüge aus seinem Werk frei veröffentlichen kann. Darauf habe ich schon sehr lange gewartet …
Noch ein schönes Zitat von Dr. Raimond Otte:
„Wo soll man eigentlich seine Erleuchtungen suchen? Walter Benjamin (1892-1940), Philosoph, Literaturkritiker und Filmtheoretiker, gab auf diese Frage Antworten, die bis heute verstören. Mitten im modernen Leben können „spirituelle“ Erfahrungen den Menschen treffen. Sie kommen plötzlich, sind unberechenbar und halten sich überhaupt nicht daran, auf eine „religiöse“ oder „spirituelle“ Atmosphäre begrenzt zu sein. Die Begegnung mit dem anderen Menschen, die Erinnerung an einen fast vergessenen Geschmack, eine Szene in einem Kinofilm oder ein unerwarteter Gedanke lassen uns Schwellen überschreiten. In den Blick kommen Erfahrungen, die uns radikal verändern können. In einer poetischen Sprache hat Benjamin sie beschrieben. Sein Werk verbirgt ungewöhnlich reiche und subtile Gedanken, die um diese Begegnungen kreisen. Da ist die Rede von der Erfahrung der Kindheit, dem Spielzeug, den großen Bahnhöfen oder von alltäglichen Dingen, hinter denen sich Appelle verbergen.“ Dr. Rainer Otte ist Philosoph, Filmemacher, Wissenschaftsjournalist.
Gedenktafel zu Berthold Brecht, auf dem Weg zur Beratung
03.09.2010
Gestern war ein ereignisreicher und durchaus heterogener Tag. Zuerst hatte ich einen Termin beim „RKW Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e. V.“, wo ich eine Beratung für meine Firma erhielt.
Dann war ich am Nollendorfplatz und stolperte zufällig in die Schwulenszene Berlins. Am Abend schließlich besuchte ich das wichtigste Jahresfest der Hare Krishnas, Krishnas Geburtstag.
Was RKW heißt, konnte ich auch nach längerer Recherche auf ihrer Homepage nicht herausfinden. Vielleicht wissen sie es selbst nicht. Jedenfalls geht es um Wirtschafts-Förderung. Sie haben einen neuen Bereich für kulturkreative Projekte gegründet und auch gleich einen Wettbewerb ausgeschrieben, an dem ich teilnehmen werde. Einsendeschluss ist der 12. September. Ich fand das vor ein paar Tagen zufällig in meinem Xing-Postfach, wo ich in einer Gruppe für Fördermittel bin. Ich kann nicht behaupten, dass ich diese Dinge plane. Sie geschehen einfach. Ich bin ein guter Sammler und ich bewege mich gerne in den aktuellen Zusammenhängen des „social media“. Irgendwie bin ich da drüber gestolpert, wie es ja auch eine social bookmark-Seite gibt, die „stumbleupon.com“ heißt. Jedenfalls rief ich gleich an und machte einen Termin mit dem Kulturbeauftragen. Gestern traf ich ihn. Ein sehr netter Mensch, der sich sehr kompetent und wertschätzend meine Situation angehört hat und mir sehr gute Tipps gegeben hat. Wir werden uns auch wieder treffen. Er sagte, ich hätte die richtigen Fragen gestellt und mein Unternehmen (die Tattva Viveka) sei ein idealer Kandidat für ihre Unterstützung. Ich fand einen professionellen Unternehmensfachmann. Wir sprachen über die Möglichkeit eines Investors, mit dem zusammen eine zweite Firma, eine Vermarktungsgesellschaft gegründet werden könnte. Dieser investiert in die Firma, z.B. auch mit der Gegenleistung Werbung in der Tattva Viveka zu bekommen und letztlich an den steigenden Umsätzen beteiligt zu sein. Ziel ist es, die Auflage zu steigern, z.b. auf 30.000 Ex., dafür social media zu nutzen und den Verlag nach Berlin umzusiedeln. Es wird Zeit, die Tattva auf das nächste Level zu heben, aber mit den bisherigen Mitteln geht es nicht weiter. Ich bin bereit und habe Lust, Neues zu wagen und professionell unternehmerisch an die Sache heranzugehen. Dazu gibt es Förderungen für Coaching, hohe Bürgschaften der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) und einen Kreativwettbewerb: http://www.kultur-kreativpiloten.de.
Nach dem Termin war ich richtig begeistert von den neuen Möglichkeiten und der kompetenten Beratung. Schön, dass es sowas gibt. Der Kreativbeauftragte war auch begeistert, denn – so seine Erfahrung – ich sei einer der wenigen aus der kulturkreativen Verlagsbranche, der bisher die neuen Möglichkeiten des Web 2.0 erkannt habe.
Motzstraße / Nollendorfplatz
Ich hatte dann nur noch zwei Stunden Zeit bis zum Krishna-Fest und fuhr deshalb mit der U-Bahn einfach mal an den Nollendorfplatz. Mal schauen, wie es dort aussieht. Es gibt dort viele hochkarätige Antiuquariate. Wahre Fundgruben für Büchernarren wie mich. Ich habe aber nichts gekauft. Ich habe eh schon genug Bücher. Eins, zwei Straßen weiter wunderte ich mich zunehmend über das Publikum in den Straßen. Lauter Männer, alle irgendwie gleich aussehend, bärtig, stylisch, schwarz gekleidet, meistens zu zweit oder zu mehreren, meistens so zwischen 40 und 50 Jahre alt. Ein seltsamer Army-Shop mit Lederkleidung in der Auslage und eindeutig sexuellen Accesoires, Bars usw. Einige Männer starrten mich an. Ich schaute weg, fand das etwas aufdringlich.
Ich kam an einem Friseurladen vorbei, dort arbeiteten auch Frauen. Der Laden schien aber einem Schwulen zu gehören. Ich brauchte dringend einen Haarschnitt und ging rein. Im Wartebereich lauter Schwulen-Magazine und ein Event-Heftchen für einen großen Schwulen- und Lesbentag am Samstag, 4. September, mit einem Grußwort von Wowereit, dem schwulen Oberbürgermeister von Berlin. So von wegen Offenheit und unterschiedliche Lebensstile. Im Heft auf jeder zweiten Seite eindeutige Anzeigen für schnellen Sex, Leder-, Lack- und Gummifetische, Bars, Lederkleidung und reihenweise Bilder von haarigen, oberkörperfreien Männer von den vorangegangenen Events, die sich im Arm hielten usw. Mehrfach gab es auch Master and Slave-Posen zu bewundern, eins oder zwei Jungs auf allen Vieren mit Halsband und Hundeleine und einer, der steht und die Leine hält.
Ich fand es seltsam und wunderlich, was es alles für Welten gibt. Offensichtlich genießen es diese Menschen, so zu sein.
Radha und Krishna werden geschaukelt
Eine Welt ganz anderer Art und ein harter Kontrast war sodenn auch mein dritter Tagesordnungspunkt: die Krishna-Fete. Ich fuhr mit der S-Bahn nach Tempelhof. In einer Seitenstraße im Hinterhof (Neue Straße 21) befindet sich ein kleiner Veranstaltungsraum, der als Treffpunkt der Krishna-Gemeinde genutzt wird. Ein Altar mit den Bildgestalten von Radha und Krishna, sowie Sri Caitanya und Nityananda, und Menschen, die die indischen Bhajans singen. Viele alte Freunde, die ich zwei Jahre nicht mehr gesehen hatte. Das war ein großes Hallo. Ich tauchte in die Bhajans ein. Die spirituelle Atmosphäre war spürbar für mich und ich konnte mich relativ gut eintunen. Manchmal kam ich in die Bewertung, aber dankenswerterweise wurden die Bhajans immer besser und ich konnte mich einlassen. Es wurde ekstatischer und freudiger. Ich hörte die altbekannten Tunes in dem besonderen Stil der Gaudiya Vaisnavas der Linie von Narayan Maharaj, der so authentisch indisch rüberkommt, so unwestlich, gleichzeitig mit einem treibenden Beat und doch ganz anders, weich, erherzend. Zwei gute Trommelspieler, ein Harmonium und schöne Melodien brachten mich zum tanzen. Ich kam in einen spirituellen Zustand der Liebe und des Friedens. Ja, es ist schön, für Gott zu singen und zu tanzen. Es ist anders als weltliche Beschäftigung, die für den eigenen Nutzen ausgeführt wird. In diesen Liedern und Zeremonien für Krishna ist man automatisch in eine Beschäftigung eingebunden, die ein Dienst für Gott ist. Das ist einfach eine andere Dimension. Die Herzen der Menschen gingen auf, zumindest meins. Wir badeten Radha und Krishna mit Säften, Honig, Joqurt und Wasser.
Danach wurden sie schön angekleidet und geschaukelt. Das war schon auch wunderlich, eine Runde von vielleicht 30 erwachsenen Personen zu beobachten, die zwei Püppchen auf einer Spielzeugschaukel schaukeln. Aber das sind keine Puppen und das ist kein Spielzeug. Das ist die höchste spirituelle Handlung, die man als Mensch ausführen kann. Behaupte ich jetzt mal so unbegründet.
Ich könnte es begründen, aber dazu müsste ich sehr weit ausholen. Das ist die ernsteste und existentiellste Handlung, die man tun kann. Sie befreit meine Seele und sie lässt mich eine wunderbar süße Liebe zu Göttin-Gott spüren. Ja, das kann man nicht logisch erklären. Das ist eigentlich widersinnig. Irrational. Aber ich konnte es gesternabend wieder fühlen. Es ist eine klare, warme und reine Liebe. Diese Liebe manifestiert sich in diesen Handlungen, nicht im Denken darüber. Die Handlungen sind das Baden, Anziehen und Schaukeln. Was würdest du mit deinen Liebsten machen? Mit deinen Kindern oder deiner/deinem Geliebten? Genau das wird hier für Göttin-Gott getan, für Radha und Krishna. Das ist Religion! Und es ist egal, ob Radha und Krishna hier mit Haut und Knochen gegenwärtig sind, also mit dem physischen Leib. Es geht um die Seele, um unsere spirituelle Essenz, die jenseits von chemischen Elementen und zeitweiligen physischen Formen ist. Es geht um die Essenz. Dass diese Liebe beim Schaukeln dieser Bildgestalten möglich ist, sagt sehr viel aus über die Bauweise der Wirklichkeit. Narayan Maharaj, der spirituelle Meister dieser Linie, wurde einmal gefragt: „Was ist mehr real, das Bild des Meisters oder der Meister selbst?“ Er antwortete: „In der materiellen Welt ist sowohl das Bild als auch die Person Illusion. In der spirituellen Welt ist sowohl das Bild als auch die Person real.“
Bild und Wirklichkeit fallen nur in der Illusion auseinander. In der Wahrheit sind Bild und Wirklichkeit unmittelbar verbunden, sie sind übereinstimmend. Das Problem der Wahrnehmung existiert nur in der Welt der Illusion, die kurzgesagt das umfasst, was nicht mit Göttin-Gott verbunden ist. Je weiter wir uns von Gott entfernen und uns selbst zum Mittelpunkt unserer Motive machen, also egoistische, altruistische, materialistische, zeitweilige Ziele anstreben, desto mehr fallen Bild und Wirklichkeit auseinander. Das Bild wird manipuliert, um die Motive bzw. den Schmerz und die echte Scham, die aus dem Missbrauch entstehen, zu verschleiern. Nur die Handlung für Gott gibt das saubere, reine, cleane Bild. In der Ausführung dieser Handlung erkenne ich automatisch, dass diese Handlung clean ist, denn sie enthält keine egoistischen, altruistischen, materialistischen oder zeitweiligen Ziele. Es muss nichts vertuscht, beschönigt, rationalisiert oder manipuliert werden. So manifestiert sich reine Freude und Liebe. Wir sind halt doch Dienerinnen und Diener Gottes, ob wir wollen oder nicht. Besser, wir akzeptieren es.
Gesternabend war ich noch im Prenzlauer Berg und bin mal durch die Lychener Straße gelaufen. Sie liegt in der Nähe von der Schönefelder Allee, da wo auch die Pappelallee beginnt, an der U-Bahn-Haltestelle Eberswalderstraße der U2.
Im Sommer 1990 lebte ich mal für zwei Monate in der Lychener Straße 58. Das war also ganz kurz nach dem Fall der Mauer. Das Haus war ein völlig heruntergekommenes Gebäude in U-Form, der eine Flügel war schon wie eine Ruine. Es war einfach ein Teil abgebrochen und eine Hauswand fehlte komplett. Die Wohnung – in einem anderen U-Teil – war dennoch eine schöne, große Einzimmerwohnung, die damals, glaube ich, so ungefähr zwanzig Mark Miete im Monat kostete. Ein Freund hatte sie gemietet und war dann doch nicht dort, also nutzte ich die Wohnung.
Prenzlauer Berg, ehemals Ost-Berlin, war damals gerade erst von den aus dem Westen kommenden Punks und Freaks bevölkert worden. Es gab zahlreiche besetzte Häuser und ansonsten viel Leerstand, da die Häuser so kaputt waren. Es gab Wohnungen oder ehemalige Kneipen im Erdgeschoss, die von Freaks mit alten Sofas und Sesseln ausgestattet wurden. Alles war ziemlich trashig, bunt angemalt, mit Sperrmüllmöbeln ausgestattet, ganz einfach. Keiner hatte Geld, aber alle hatten viel Phantasie.
Auf den Straßen standen alte Schrottautos herum, die dort schon Monate oder Jahre zu stehen schienen. Die Fassaden waren vergammelt. Es waren Häuser, die einfach 40 Jahre abgewohnt worden waren, ohne jemals renoviert worden zu sein.
Koloniestraße, Wedding
Punks, Freaks und Hippies hingen in den Straßen herum und es war wie in einem Dorf, in diesem Viertel zu leben. Man konnte in viele Häuser einfach so reinlaufen. Wir gingen bisweilen in ein Treppenhaus rein und ganz hoch und konnten dann über die Dächer auf die andere Seite des Block wechseln. Ist ja spannender als immer nur die Straße zu nehmen …
Es gab kaum Läden, und wenn, dann waren es so typische DDR-Läden mit tristen Auslagen und leeren Regalen. Die Schrippen (Brötchen) kosteten acht Pfennige, eine U-Bahn-Fahrkarte kostete 20 Pfennige. Die Straßen bestanden aus Kopfsteinplaster, die Gehwege aus breiten Granitplatten, die etwas schief und krumm da lagen, da der Zahn der Zeit doch an ihnen genagt hatte. Es war eine Mischung aus Weltuntergang und Aufbruchstimmung, ein nach dem Abzug der alten Mächte verlassener Ort, eine befreite Zone für die Outcasts der westlichen Gesellschaft.
S-Bahn Bornholmerstraße, Wedding
Gestern bot sich mir ein anderen Bild: geleckte Läden einer nach dem anderen, dazwischen nette, beschauliche Lokale, in der sich brave junge Leute tummelten. Alles komplett domestiziert, alles sauber und adrett. (Leider keine Bilder, da es dunkel war.) Es war ein gewaltiger Kontrast für mich, jetzt, zwanzig Jahre später, wieder durch mein altes Viertel zu laufen. Die Straßen vollgeknallt mit parkenden Glitzer-Autos, die Häuser modernisiert. Heute ist der Prenzlauer Berg eine begehrte Wohnlage, immer noch ein Viertel, das in ist. Wiewohl die progressiven und alternativen Schichten mittlerweile abwandern. Das Viertel ist „abgefeiert“, wie eine meiner Autorinnen sagte, die schon 25 Jahre in Berlin wohnt.
Das Viertel wird immer wohlhabender, reicher. Es finden sich nun Läden für Klaviere und Flügel von Steinway, Innenarchitektur, Kunsthandwerk, dekadentem Nippes aus den Siebziger Jahren und alles, aus was der übersättigte Wohlstandsbürger noch einen neuen Kick machen kann.
Ich war wirklich traurig und fast geschockt. Dieser Kontrast schlug mir mit einer derartigen Wucht entgegen. Ich hatte direkt keine Lust mehr, in Berlin zu wohnen.
Aber das ist auch nur ein Viertel in Berlin. Es gibt so viele Kieze. Manchmal ist jede Straße anders. Ich fuhr im Bus zurück in den roten Wedding, wo ich nun wohne. Der Bus im Prenzlauer Berg war voll mit jungen Leuten vom Schlage StudentIn, und nur solche. Im Bus oder der Tram im Wedding begegnet man völlig anderen Menschen, vielen Migranten, ansonsten Berliner Proletariat. Die Soldiner Straße, wenige Meter von unserer Wohnung entfernt, ist einer der heißesten sozialen Brennpunkte in Berlin, wo die Polizei nur mit schusssicheren Westen reinfährt.
Ein extremes Beispiel aus der Koloniestraße/Soldinerstraße, Wedding
Hinterhof in der Koloniestraße, Wedding
Gewaltdelikte sollen jedoch nur untereinander vorfallen, Diebstähle und Einbrüche können allerdings jeden treffen, wie mir von meiner Mitbewohnerin, die mal gute Kontakte zur Polizei hatte, glaubwürdig vermittelt wurde. Gerade am Wochenende wurde in der Wohnung unter uns eingebrochen. Haustüren müssen deshalb immer gut verschlossen bleiben. Eine Minute kann ausreichen und schon ist was geklaut.
Die Läden hier im Viertel sind fast alle türkisch, vor allem in der naheliegenden Prinzenallee, die wie eine türkische Stadt anmutet. Dazwischen gibt es auch mal arabische Schriftzeichen an den Schaufenstern. In der Badstraße, einer Hauptgeschäftsstraße des Wedding, findet man auch schon gediegen ausgestattete Versicherungsagenturshops oder Telefonläden mit komplett türkischem Außenauftritt. Nicht weit davon in einer Seitenstraße ist übrigens ein sehr gutes pakistanisch-indisches Speiselokal, das Shalimar in der Bellermannstraße. Völlig abgelegen vom Hauptstrom und unscheinbar, ist es ein Geheimtipp. Das Essen ist lecker und preiswert. Die Betreiber sind super nett. Ein kleiner Außensitzbereich zur Straße hin macht den Besuch in lauen Sommernächten zu einem richtig gemütlichen Abend. Dort traf ich übrigens vorgestern eine Frau, die mich vor 15 Jahren einmal in der Tattva-Redaktion besucht hatte. Sie ist die Übersetzerin der Bücher des Advaita-Lehrers Raffael aus Italien. Das war ein großes Hallo und wir speisten dann zusammen und unterhielten uns lange angeregt.
Gestern morgen traf ich dann gleich noch eine Bekannte in der Badstraße. Berlin hat zwar sechs Millionen Einwohner, aber trotzdem habe ich nun schon zweimal jemand Bekanntes auf der Straße getroffen …
Schön, daß Sie jetzt die Möglichkeit haben, in Berlin zu sein! Ich hab dort über 20 Jahre gelebt und gearbeitet, war auch grad bis Freitag dort. Die Oranienstraße in Kreuzberg kenne ich gut…
Ich wünsche Ihnen einen erfüllenden und bewegenden Berliner Aufenthalt!
Und Sie hätten sogar die Gelegenheit, einen Satsang von Karim zu besuchen….
„Sea of Joy“, Stresemannstraße 21 (Termine siehe www.kontemplation-heute.de).
Ich hab Ihren Berlin-Blog gelesen…..sehr anrührend in seiner offenen persönlichen Art, danke!
Herzliche Grüße
Monika Radha Hickstein
hallo ronald engert!
danke für die info!
viel freude in berlin.!..eines der intessantesten gruppen in berlin ist die um christian meyer http://zentrum.zeitundraum.org/, aber kennst du ja vielleicht schon…..
grüße aus dem vogelsberg
annekatrin zint
Hallo , lieber Ronald Engert,
weiterhin gutes Gelingen auch in Berlin hinter der ungewöhnlichen Hausfassade!
Schade, ich wäre gern zu der Party gekomen, leider etwas sehr kurzfristig, wenn man aus Malaga kommt.
Ich male ,( auch mal ’ne Hausfassade), mache morphische Zeichnungen zu personellen Beziehungen
und bin natürlich eifriger Leser der Tattva Viveka.
Viel Spass und viel Neues auf der Party
Hetten
Sei gegrüsst lieber Ron,
da ich regelmässig Dein email Nachrichten lese, stehe ich sozusagen in Verbindung mit Dir auch wenn Du es gar nicht weisst. Die Nachricht, dass Du jetzt in Berlin bist, veranlasst mich Dir zu schreiben.
Berlin, Berlin ich liebe diese Stadt und freue mich mit Dir, dass es Dir auch so gut gefällt. Schicke einen Link, der vielleicht ganz interessant für Dich ist. Die ganzen Seiten von dieser wundervollen Frau sind sehr schön! http://www.puramaryam.de/kraftortdt.html#schloss
Eventuell kennst Du diese Info ja schon?
So, will nicht weiter stören und wünschen Dir weiter ein ganz beschütztes und geführtes Leben.
Liebe Grüsse
Moni aus Frankfurt
Gestern Abend erlebte ich den „pain of regainment“, den Schmerz, der aus dem Wiederfinden einer verlorenen Freude und Lebendigkeit hervorgeht, wenn einem bewusst wird, wie lange man diese Freude nicht gehabt hat.
Ich war zufällig in einem Salsa-Club im Prenzlauer Berg gelandet. Zuvor hatte ich mir den neuen Film „8. Wonderland“ in der Kulturbrauerei angeschaut (dazu später evtl. mehr). Nach dem Film hörte ich in der Nähe Musik und ging hin.
Es waren dort viele Menschen, drinnen und draußen. Der Abend war mild. Es gab eine Terasse, wo Menschen auf Salsa-Musik tanzten. Der Eingang in das Lokal war offen und einladend. Keine Tür, keine Gesichtskontrolle. Ich ließ mich reintragen und landete an einer Tanzfläche drinnen.
Zunächst fand ich das alles etwas befremdend. Es roch etwas süßlich nach Raumdeo. Es war recht warm. Der Raum war voll mit tanzenden Menschen, jedoch nicht so voll, dass es ein Gedränge war. Sie tanzten Salsa, d.h. sie tanzten in Paaren. Die Beleuchtung war recht gut. Die Menschen waren vom Alter her etwa zwischen 30 und 50. Es gab einige Latinos, machen Leute waren etwas schicker gekleidet, andere schlicht oder lässig, immer jedoch geschmackvoll und lebensfreudig. Es waren schöne Menschen. Schöne Frauen und schöne Männer.
Und das faszinierte mich zunehmend, je länger ich den fröhlich und virtuos tanzenden Paaren zuschaute. Da waren richtige Frauen! Frauen, die ihre Weiblichkeit hervorbrachten und zeigten, Frauen, die gerne mit Männern zu tun hatten.
Jahrelang hatte ich solche Frauen nicht mehr gesehen. Das ist wirklich so. Ich bewege mich in alternativen und esoterischen Kreisen. Da, wo ich in den letzten Jahren umging, wurde wenig getanzt, und wenn, dann alleine. Man ging alleine auf die Tanzfläche und tanzte alleine. Auch letztens erst, am Samstagabend der Integralen Tagung, war eine Tanzparty und es ging eher so zu, dass jeder für sich alleine tanzte. In diesen Kreisen – und das fällt mir jetzt im Gegensatz zu gestern Abend so richtig ins Auge – gibt es keine weiblichen Frauen. Es gibt männliche Frauen, Emanzen, Frauen mit einer gestörten Beziehung zu Männern und Geschlechtslose, aber keine Frauen, die ihre Weiblichkeit leben. Natürlich steht das in diesen alternativen und spirituellen Kreisen immer als Forderung im Raum. Aber es ist uns nicht bewusst, wie weit wir davon entfernt sind, das zu leben. Männerbild und Frauenbild hängen voneinander ab. Das Männerbild in den alternativen Kreisen ist sehr negativ. Der Mann wird eher als potentieller Vergewaltiger und Gefühlskrüppel wahrgenommen. Männer versuchen, sanft und verständnisvoll zu sein. Frauen lassen ihre Weiblichkeit verkümmern.
Schönhauser Allee
Ich sehe es ja an mir. Vor ca. einem Jahr war ich zufällig in einer Salsa-Kneipe in Mannheim. Wir waren mit Freunden dort. Ich hasste diesen Laden. Mir gefiel die Musik nicht und ich hatte nur verächtliche Meinungen für die Gäste übrig. „Die verschwenden ihre Zeit mit oberflächlicher Zerstreuung. Die sind nur auf Sex aus. Das ist obszön. Die sind alle besoffen.“ Meine „politisch korrekte“ Haltung erlaubte es mir nicht, die Schönheit in diesem Tun zu sehen. Ja, ich hatte sehr verurteilende und bewertende Gedanken. Diese Gedanken bildeten ein Weltbild, das meine Meinungen und Überzeugungen prägte. Aber es waren doch sehr rigide und lebensfeindliche Werte, wie ich jetzt langsam merke. Ein Konglomerat aus linker Politik, Öko, asketischer Spiritualität, Weltverbesserer und Entfremdung. Ja, ich war sehr streng mit mir und mit anderen.
Insbesondere meine Mann-Frau-Konzepte waren alles andere als gesund. Und das scheint mir eben auch bei vielen sogenannten reflektierten oder erleuchteten Leuten der Fall zu sein, bei denen, die sich alternativ verstehen und irgendwie „schon ein bisschen weiter sind“. Da sehe ich Berge von beziehungsgestörten Menschen. Da sehe ich konfliktreiche Mann-Frau-Beziehungen. Da sehe ich Frauen, die ein Problem mit Männern haben und keine Frauen mehr sind, und Männer, die ein Problem mit sich haben und keine Männer mehr sind. Da wird alles problematisiert und das Leben vergessen. Es herrscht viel Schwere und Isolation. Natürlich nicht vordergründig. Natürlich möchte jeder einen guten Schein abgeben. Natürlich wollen wir alle locker und souverän rüberkommen, erfolgreich und beliebt. Manchmal hasse ich die Frage ,Wie geht‘s?‘, weil doch nur erwartet wird, das man ein souveränes, cooles ,Alles bestens‘ rüberbringt. Und wenn ich mal sage ,Es geht so‘ oder Ähnliches, weil es mir wirklich nicht so gut geht, ernte ich erschrockene Blicke des Unverständnisses mit erstaunten Repliken und guten Ratschlägen, wie ich so schnell wie möglich diese dunkle Stimmung wieder loswerde: ,Alles easy‘, ,positiv denken‘, ,mach dich locker‘.
Und ich muss gestehen, was mir da in dem Salsa-Club begegnete, waren echte Männer und echte Frauen, die sich und das Leben feierten. Es waren schöne Frauen und Männer, weibliche Frauen und männliche Männer, die leidenschaftlich tanzten, virtuos und körperlich, die ihre Hüften bewegten wie Bauchtänzer, sich umarmten und erotisch miteinander spielten. Es waren einige Paare auf der Tanzfläche, die offensichtlich auch in einer Mann-Frau-Beziehung miteinander waren, und da war die Nähe und Berührung wirklich schön anzuschauen. Die Bewegungen waren fließend, befreit, energetisch. Es war offensichtlich, dass die Männer und Frauen Spaß aneinander hatten. Sie tanzten gerne miteinander. Sie wollten die Nähe und Berührung. Sie wollten die sexuellen Anspielungen. Sie feierten ihre Körperlichkeit und Lust. Das war ohne ideologischen Überbau, ohne spirituelle Bemäntelung. Das war direkt und klar. Und es war so lebendig. Und diese Menschen waren einfach schön.
Für mich als Mann war es besonders schön, diese Frauen zu erleben, die keine Angst oder Vorbehalte vor Männern hatten.
Es gab drei Tanzflächen und irgendwie hatte ich Glück gehabt. Die Tanzfläche, wo ich stand, hatte einen DJ, dessen Musik mir gefiel, und die Tänzerinnen und Tänzer waren wirklich sehr gut. Es ging bei dem ganzen Event offensichtlich nicht darum, sich mit Alkohol anzuturnen. Die Menschen hatten Freude am Tanzen. Es lag etwas Sattvisches in der Luft.
Meine letzten beiden Beziehungen mit einer Frau waren geprägt durch Vorbehalte gegen Männer und Sexualität. Es waren beides verletzte Frauen, Opfer von Missbrauch und Sucht. Natürlich hatte das auch etwas mit mir zu tun. Auch ich hatte diese Vorbehalte.
In dieser Salsa-Tanzbar konnte ich hingegen erleben, was gesundes Leben ist. Hier könnte ich lernen, wieder leicht und unbelastet mit Frauen in Kontakt zu gehen und das Gefühl zu erfahren, dass meine Freude über die Begegnung geteilt wird.
Was hat das mit Berlin zu tun? Berlin führt mich auf unbekannte Pfade. Es ist so viel los hier und ich kann Dinge erleben, die ich mir nicht selbst ausdenken könnte.
Und eine politisch unkorrekte Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen. Es war schon ein Unterschied zwischen der Salsa-Disco in Mannheim und der gestern Abend in Berlin. In Berlin haben sie Stil, das hat was von Kunst und Kreativität. Das ist edel und selbstbewusst. In Mannheim ging es schon in Richtung Prol. Die haben sich besoffen, aufgegeilt und grölten herum. Das war nicht viel von Kunst und Geschmack zu erkennen.
Tja, es geht auch um Qualität. Das wird leider in unserem gegenwärtig vorherrschenden Alle-sind-gleich-und-Bewertung-ist-schlecht-Dogma oft sehr verurteilt.
Kunst und Schönheit sind Ausdruck des Lebens. Das hat etwas Edles. Leben bedeutet Veredelung. Es kann nicht ausreichen, sich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu treffen, damit niemand gekränkt ist. Das soll nicht heißen, dass jemand minderwertig ist. Es geht darum, das jeder in sich das findet, was ihn schön macht und was seine Kunst ist. Es geht darum, den Wert zu finden, der uns zu uns selbst macht. Wenn wir diesen Wert gefunden haben, dann brauchen wir nie mehr neidisch auf andere zu sein, die in irgendeiner anderen Domäne besser sind als wir. Ich halte es für verantwortungslos, sich über andere zu beschweren, weil die schöner, intelligenter oder erfolgreicher als man selbst ist. Es ist ein Leugnungsmanöver, in dem andere für das eigene Leiden oder Minderwertigkeitsgefühl verantwortlich gemacht, ja beschuldigt werden, um nicht die Verantwortung für das eigene Leben übernehmen zu müssen. Das ist die spirituelle Krankheit. Manche verwechseln das und denken, das sei politische Korrektheit.
14.08.2010
Berlin ist nicht nur ein äußerer Prozess für mich, sondern auch ein innerer. Es ist auch nicht so, dass es unbedingt Berlin sein muss, oder eine Stadt. Allein die Tatsache, dass eine Veränderung in meinem Leben eintritt, bringt mein Inneres in Bewegung.
Bedeutsam ist gerade mein verändertes Wohnen.
In Bensheim lebe ich alleine. Hier in Berlin lebe ich mit drei weiteren Menschen in einer Wohngemeinschaft.
Ich hatte die ersten drei Tage nun ein zunehmendes Gefühl der Traurigkeit und Enttäuschung, weil das soziale Leben hier in der WG praktisch nicht existiert. Jede/r lebt sein eigenes Leben, es gibt keine gemeinsamen Aktivitäten und kaum Kommunikation.
Heute morgen nun habe ich Jana, meine Mitbewohnerin und langjährige Freundin, darauf angesprochen. Ich sagte ihr, ich sei traurig, weil wir so wenig in Kontakt sind und ich das Bedürfnis nach Kontakt und Hilfestellung hätte. Jana war dann gleich sehr verständnisvoll und wir redeten über die Situation. Sie stellte ihre Situation dar, dass sie zur Zeit sehr viele dringende Arbeiten zu erledigen habe, und bestätigte mir, dass ihr selbst ebenfalls bewusst sei, dass unser Kontakt zu kurz kommt.
Das war sehr schön für mich zu hören, ich fühlte mich gehört und verstanden. Das hatte ich dem Umstand zu verdanken, dass ich mich mit meinem Gefühl und meinem Bedürfnis mitgeteilt hatte. Das ist der Weg der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg, die ich in den letzten Monaten studiert habe und die ich auch in Bad Herrenalb, in meiner Kur, schon kennenlernen durfte.
Discount Bestattungen
Ich hatte gestern schon ein Gefühl der Einsamkeit. Natürlich wollte ein Teil meines Denkens schon grollen und Jana und den anderen diverse Fehlverhalten attestieren und ihnen die Schuld für meine unangenehmen Gefühle geben. Aber ich weiß mittlerweile sehr gut, dass es nicht um die Frage geht, was macht der andere falsch, sondern um die Frage, was macht das mit mir? Mich machte es traurig, einsam und ärgerlich. Aber ich kann daraus ersehen, dass es Zeit wird, mich damit zu zeigen und mich mitzuteilen. Da bekomme ich aber Angst und Scham. Angst, mich mit meinem Bedürfnis zu zeigen, Angst vor Ablehnung und Verlust. Scham, weil ich keine Schwäche zeigen und mir keine Blöße geben will.
In Beziehungen ist es jedoch notwendig, die Dinge anzusprechen. Das Aussprechen heilt schon einen großen Teil der Schmerzen. Darüber hinaus entsteht wieder Kontakt und es können Lösungen gefunden werden. Mein Schmerz war der der Einsamkeit und Isolation, der aus dem nicht erfüllten Bedürfnis nach Kontakt mit Jana resultierte. Dieses Bedürfnis ist nun erfüllt und wir haben auch praktische Lösungsmöglichkeiten besprochen, wie wir das in Zukunft handhaben, um beider Bedürfnisse zu berücksichtigen. Janas Bedürfnis ist es, den Raum und die Zeit für ihre Arbeit zu haben.
Für mich ist es nicht so einfach, nach 12 Jahren alleine leben, wieder mal in einer WG zu sein. Es sind Menschen da, mit denen ich ein angemessenes Maß an Kontakt und Beziehung leben muss. Es ist ungewohnt für mich. Es entstehen neue, ungewohnte Situationen.
Ich finde es spannend und lehrreich. Es freut mich, hier Wachstumschancen zu bekommen.
Ansonsten war ich vorgestern mit zwei Freunden zusammen: Bernhard Harrer vom Datadiwan und Wissenstransfer und Gabi Happe, die seit 25 Jahren in dem alternativen Projekt Ufa-Fabrik in Berlin-Tempelhof lebt. Wir trafen uns im dortigen Café und redeten. Es entstand ein sehr schönes Gespräch über die Dynamik von Guru-Bewegungen, die Bedeutung der Gefühle und das Wesen von Authentizität. Wir sprachen auch über Sucht, Gott und Spiritualität. Beide sind richtige Oldtimer der spirituellen Szene und nichts Menschliches ist ihnen fremd.
Gestern war ich nochmal mit Torsten unterwegs. Wir waren auf dem Alexanderplatz bei einer Veranstaltung mit Straßenkünstlern. Die gefiel uns jedoch beiden nicht so. Außerdem nieselte es öfters, das Wetter war weniger schön.
Also beschlossen wir, nach Steglitz in ein 12 Schritte-Meeting zu fahren. Schön, dass es immer diese Möglichkeit gibt. Es war wieder sehr bewegend. Es ist wohltuend für mich, wenn Menschen ehrlich über ihre Angelegenheiten reden und alle Masken fallen können. Es ist ein heilender Raum, der durch die spirituelle Energie Gottes getragen ist.