Sein-Kolumne, Selbst

Kapitulation

Viele Menschen in der spirituellen Szene suchen nach Heilung oder einem spirituellen Erwachen. Die Idee dahinter ist mitunter, dass ich ein besserer Mensch bin, wenn ich den spirituellen Weg gehe, und allein die Tatsache, dass ich mich spirituell betätige, bringt mich auf die sichere Seite.

Aber dem ist nicht so. Wie in anderen Beiträgen an dieser Stelle ausgeführt, geht es auf dem spirituellen Weg darum, bei sich selbst anzukommen. Wer bin ich aber wirklich? Wo stehe ich tatsächlich?

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Hier kommt die Realität ins Spiel. Eines unserer Probleme besteht darin, dass wir es einfacher finden, unsere Wahrnehmung der Realität zu ändern, als die Realität selbst. Um die Realität zu ändern, bedarf es aber zuerst einmal der ehrlichen Einsicht, wo ich gerade wirklich stehe.

Und hier kommt die Kapitulation ins Spiel. Welche Probleme habe ich? Wo liegen meine Fehler? Was habe ich an Schaden angerichtet? Und was kann ich tun?

Die Wahrheit ist, dass ich oft machtlos bin. Ich bin in einer bestimmten Situation oder habe ein bestimmtes Verhalten und kann es nicht ändern. Meine Erfahrung ist, wenn ich meine Machtlosigkeit annehmen kann, dann geht es mir gut. Dann bin ich bei mir und nicht mehr abhängig von außen.

Meine Machtlosigkeit ist meine Wahrheit. So wenig schön dies für mein Ego ist, das immer der Meister und der Sieger sein will, so wahr ist es doch für meine Seele. Und hier öffne ich mich für die Gnade. Hier beginnt die wahre Hingabe. Hier nehme ich meine wahren Status an. Und nur hier kann eine echte Veränderung geschehen.

Es nützt nichts, sich etwas vorzumachen. In der Wahrheit fühlen wir den Kammerton A, das Echte, Stimmige, denn die Seele hat das absolute Gehör. Erst wenn ich meine Machtlosigkeit zugebe, bin ich da, wo ich wirklich bin. Dann ist mein spirituelles Handeln keine Täuschung und kein strategisches Selbstbild mehr. Nur dann kann ein spirituelles Erwachen geschehen.

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Ein Gedanke zu “Kapitulation

  1. Hallo Ronald, dein Artikel über die Annahme der Machtlosigkeit und anderer „unangenehmer“ Dinge erinnert mich an mein neues Lieblingsmotto, das ich von Robert Betz gelernt habe. „Alles was jetzt in mir ist darf jetzt auch in mir sein.“
    Egal was es ist, Freude, Leid, Verzweiflung, Glück – es darf da sein.

    Ein weiteres schönes Zitat aus „Gespräche mit Gott“ :
    Alles gegen das du dich sträubst klebt an dir, alles was du segnest kann gehen, wenn es soweit ist.“
    Ich persönlich suche nicht mehr Heilung oder spirituelles Erwachen, ich suche die Selbstliebe, das völlige Annehmen meiner Eigenschaften und meines Daseins in allen seinen Facetten.
    Ich habe Heilung von Angst und Ohnmachtsgefühlen durch das chinesische Kung Fu erfahren. Mittlerweile – nach 10 Jahren Schülerschaft – unterrichte ich es und ich wundere mich über mich selbst wie ich selbst skurile Erscheinungen und Menschen mit Muskelschwund und Steifigkeit respektiere annehme und als „Spielgefährten“ betrachte. Shanti shanti shanti – Eduard Heinrich Alfons Jolmes

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