Authentizität, Neues

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Was ist deine Wahrheit? Wer bist du wirklich? Es ist sehr gut, diese Fragen zu stellen und dafür Antworten zu suchen. Immer wird diese Arbeit an mir selbst ein Prozess sein, der vielleicht nie zum Abschluss kommen wird. Dennoch lohnt es sich, diesen Weg zu beschreiten. Jeder kleine Schritt hin zu mir selbst ist ein Fortschritt und trägt seine Befriedigung und seine Freude in sich. Ich muss nicht fertig werden. Die Bewegung reicht.

Aber auch, wenn ich schon ein gutes Stück auf diesem Weg zu mir vorangekommen bin, braucht es ein weiteres Element, um die Sache vollständig zu machen: Ich muss mich einem anderen Menschen zeigen. Die Verwirklichung meines Selbst ist keine isolierte Angelegenheit, sondern auch unabdingbar ein Beziehungsgeschehen. Wenn ich mich nicht zeige, verleugne ich mich selbst vor meinem Gegenüber, und das bedeutet, ich kann nicht der sein, der ich bin. Erst wenn ich mich zeige, werden mein Sein und meine Selbstverwirklichung vollständig, werde ich identisch. Ich bin der, der ich bin, wenn ich mich zeige. Natürlich muss ich innerhalb meiner selbst immer wieder schauen und nachspüren, was im jetzigen Moment das Richtige ist, was sich gut anfühlt für mich, was mir gut tut. Es ist zuerst ein innerer Prozess innerhalb meiner Subjektivität. Das ist die erste Stufe meiner Selbstwerdung. Das ist die Innenseite.

Der Mensch hat aber auch eine Außenseite und zum ganzen Wesen gehören innen und außen gleichermaßen dazu. Es ist essenziell, wie ich mich zeige: ob ich mich in meiner Wahrheit zeige, oder ob ich eine Maske trage und eine Scheinpersönlichkeit vorspiele. Mein Selbst ist auch diese Außenseite und wenn ich hier mein wahres Sein nicht zeige, verletze ich mich selbst. Diese Verletzung führt zu einem Schmerz, den wir in der Regel durch Suchtprozesse betäuben. »Wir machen uns weg.« Wie soll ich existieren, wenn ich mich weg mache? Wie soll ich der sein, der ich bin, wenn ich mich für einen anderen ausgeben? Das geht nicht.

Mich in meiner Wahrheit anderen Menschen zu zeigen, ist deshalb der Schlüssel zu mir selbst. Im Sich-Zeigen komme ich bei mir an. Hier schließt sich der Kreis der Selbstverwirklichung. Erst jetzt bin ich ganz.

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Allgemein

Angenommene Angst

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Vor einigen Tagen hatte ich eine interessante Begegnung mit meinen Gefühlen. Ich kenne Zeiten, wo ich mich sehr, sehr einsam fühlte und sehr im Minderwert war. Meistens ist das nicht mehr so, doch an diesem Tag kamen diese Gefühle der Einsamkeit, der Angst und der Leere wieder in mir hoch. Ich saß in meinem Zimmer am Schreibtisch und es ging mir zunehmend schlechter. Ich fühlte mich beschissen und konnte gar nicht genau sagen, was los ist, nur, dass ich das von früher kannte. Ich wollte dieses Gefühl nicht haben. Mein Verstand überlegte fieberhaft, was ich tun könnte. Mein Verstand sagte, ich sei ein schwacher unfähiger Mensch, weil ich jetzt dieses Gefühl habe, und es müsse doch eine vernünftige Handlung geben, um weiterhin konstruktiv und positiv zu sein. Da fiel mir das Regal ein, das ich schon seit einiger Zeit aufbauen wollte und dachte mir, das muss ich jetzt tun. Aber die Verzweiflung ließ mich nicht los und Lust dazu hatte ich auch nicht. Ich habe es auch nicht getan. Stattdessen schaltete sich meine Intelligenz ein und ich betrachtete mich von oben, denn ich weiß, dass es darum geht, nicht vor den Gefühlen wegzulaufen oder sie zu verdrängen, sondern sie anzunehmen und zu fühlen. Ich blieb also sitzen und ließ mein Gefühl zu. Ich ging in diese Einsamkeit, den Schmerz und in die Angst. Und was dann passierte, erstaunte mich zutiefst. Meine Wahrnehmung wurde ganz hell und genau. Nachdem ich wenige Minuten dieser Angst Raum gegeben hatte, fühlte ich plötzlich ganz viele verschiedene Gefühle, die sich abwechselten oder parallel auftauchten und wieder verschwanden. Dann wurde ich ganz ruhig und zufrieden. Ich fühlte mich selbst und das war ganz gut. Die Angst verschwand und ein Gefühl des Friedens stellte sich ein. Es war, als ob die Angst selbst zufrieden geworden war, weil sie sich gesehen fühlte. Sie wollte einfach nur wahrgenommen werden. Nur wenn ich in meinem üblichen Muster direkt in die Ablehnung der Angst gehe, wird sie so bedrohlich. Und in der Tat konnte ich die Erfahrung machen, dass angenommene Angst sich so schön wie ein Orgasmus anfühlen kann.

Nachtrag:

Das Erlebnis ist nun schon ein paar Wochen her. Es ist immer noch bedeutsam für mich und es hat sich seitdem etwas geändert: Ich habe viel mehr Liebe für mich und keine Angst mehr vorm Alleinsein.

Liebe dich selbst

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Politik, Spirituelle Kultur

Die spirituelle Bedeutung von Geld

oder: wie man mit 4000€ eine Gruppe von Menschen an ihre Grenzen bringt.

 

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Vor einigen Jahren war ich einmal auf einem fünftägigen Seminar, wo es um die spirituelle Bedeutung von Geld ging. Eine Übung, die wir machten, bestand darin, dass die Seminarleiter eine Glasschüssel mit Geld vorne hinstellten. In dieser Schlüssel befanden sich 4000 € in zerknitterten Scheinen. Dadurch, dass die Scheine zerknittert waren, füllten sie die ganze Schüssel. Das Geld verschenkten sie. Die Übung bestand darin, dass man freiwillig vortreten konnte, um Geld aus der Schüssel zu nehmen. Die einzige Bedingung war, dass man offen sagte, wie viel und für was man das Geld haben möchte. Außerdem hatten die beiden Seminarleiter sowie alle Anwesenden das Recht zu sagen, ob das okay sei. Es zeigte sich im Lauf der Übung, die insgesamt drei Stunden dauerte, dass die Seminarteilnehmer, ca. 70 Menschen, emotional und energetisch voll in ihre Prozesse kamen und jeder sofort spüren konnte, welche Motive hinter dem Geldwunsch steckten und ob dieser Betrag, den die jeweilige Person nehmen wollte, stimmte.

Es war erschütternd festzustellen, wie viel Schmerz und Scham mit diesem Thema verbunden sind und wie tief das Thema Geld in die eigene Bedeutung als Seele, als Person und als Mensch hineinragt. Es ist unmittelbar verbunden. Die Menschen standen teilweise vorne und zitterten, weinten oder brachen zusammen, wenn sie sich mit ihrem Wunsch zeigen mussten. Der Wert des Geldes war unmittelbar mit ihren Selbstwert verknüpft. Das Geld wurde tatsächlich verschenkt. Es war kein Spiel und keine Simulation. Dadurch nahm die Übung einen sehr existenziellen und ernsten Charakter an. Hier kamen alle Schatten hoch, die die Menschen hatten, aber auch ihre reine Freude, wenn sie das Geld bekamen und sich nun einen besonderen Wunsch, wie z.B. ein Kleid oder eine Reise erfüllen konnten.

In der Schüssel war ein 500 € Schein, mehrere Hunderter, ansonsten Fünfziger, Zwanziger und Zehner. Je kleiner der Betrag, umso mehr Scheine waren darin. Viele wollten so ca. 20-30 € haben. Sie sagten, sie wollten sich einen kleinen Wunsch erfüllen, oder für ihre Kinder etwas kaufen oder Ähnliches. Ein Mann wollte 100 €. Er war der Egoist in der Gruppe. Er ging nach vorne, brachte seine Erklärung vor, die ziemlich selbstherrlich war, und nahm sich Geld aus der Schüssel. Niemand der Anwesenden klatschte oder fühlte Zustimmung. Es herrschte ein betretenes Schweigen im Raum, als er sich das Geld nahm. Die Seminarleiter, die in der Regel ihr Feedback gaben, sagten nichts. Am Ende der Übung, zwei Stunden später, trat er jedoch vor und sagte, dass er sich sehr schlecht fühle und das Geld zurückgeben möchte. Er hatte seine egoistische Haltung erkannt und erklärte, dass er es getan hatte, weil er seinem Sohn gegenüber den starken Mann markieren wollte. Er fühlte aber jetzt, dass es nicht stimmig war. Nachdem er Zeuge der ganzen anderen Prozesse geworden war, wo die Menschen um ihren ehrlichen Wert gerungen hatten, ging es im so schlecht, dass er es nicht aushalten konnte. Er musste das Geld zurückgeben, das war ihm ein dringendes Bedürfnis und er entschuldigte sich vor der versammelten Gruppe.

Der 500 € Schein lag sehr, sehr lange in der Schüssel und niemand traute sich, ihn zu nehmen. Irgendwann trat eine Frau vor. Sie erklärte, dass sie als Kind nie Taschengeld bekommen hatte, aber von ihrem Vater für kleine Arbeiten bezahlt wurde und er ihr die Groschen in einer mahnenden Weise vorgezählt hatte, was sie sehr beschämte und erniedrigte. Sie wollte Geld nehmen, einfach um mal etwas zu bekommen, ohne dafür etwas leisten zu müssen. Der Seminarleiter fragte sie, wie viel sie denn nehmen möchte. Es wurde deutlich, dass es hier um ihren Selbstwert ging, der in ihrer Kindheit schon verletzt worden war. Sie war sehr unsicher und hatte Tränen in den Augen. Sie zögerte und traute sich nicht an die Schüssel zu treten. Der Seminarleiter musste sie mehrfach auffordern, aber sie konnte keinen Betrag nennen. Schließlich musste sie sich direkt vor die Schüssel stellen und nahm schließlich einen 20 € Schein. Alle im Raum waren sehr betroffen. Waren es 20 €, die sie sich wert war? Hatte sie so viel Angst und Scham, sich mehr zu nehmen, wenigstens 50 € oder vielleicht 70 €? Sie zitterte und weinte. Der Seminarleiter trat zu ihr, nahm sie in die Arme, griff in die Schüssel und gab ihr den 500 € Schein. Da brach sie zusammen. In dieser Geste verdichtete sich das ganze Leiden ihres Lebens, die Erniedrigung als kleines Kind und ihr Leben als Frau, die nie die Chance hatte, Selbstwert zu entwickeln. Es war wirklich bestürzend, welche Kraft das Geld hatte und wie stark es in den Selbstwert der Menschen eingriff.

Illustration005Es gab viele dieser erschütternden Begebenheiten. Es wurde klar, dass jeder mit diesem Vortreten und Nehmen des Geldes seinen eigenen persönlichen Wert erklären musste und direkt an seinen Schatten kam. Er musste für seine Vision, seine Werte und seine Bedürfnisse geradestehen, und alle diese Gefühle von Scham, Angst und Schmerz kamen hoch. Mir wurde klar, wie unmittelbar Geld mit unserem Selbstwert verbunden ist. Es war unmittelbar fühlbar und existentiell, obwohl es hier nicht einmal darum ging, das eigene Geld herzugeben, sondern darum, geschenktes Geld zu nehmen. Man konnte nicht verlieren, nur gewinnen. Aber es war so real und niemand konnte sich der existentiellen Berührtheit entziehen. Alle Themen von Selbstwert, Verdienst, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Wahrheit kamen direkt in Sicht. Niemand konnte sich dieser blutigen Realität entziehen.

Wir Menschen haben das Geld geschaffen, und ich glaube, es war ursprünglich genau dieser unmittelbare Ausdruck unseres eigenen Wertes, unseres Vermögens, unseres Verdienstes von dem, was wir mittels unserer kreativen schöpferischen Kraft, mittels unserer Spiritualität erschaffen haben. Nur weil das Geld so wirksam ist, wurde es im Laufe der Geschichte so massiv missbraucht und dazu benutzt, Menschen zu quälen, zu erniedrigen und zu vernichten. Im hellen Spiegel jedoch ist das Geld tatsächlich ein Ausdruck unserer Wertschätzung und unserer gegenseitigen Liebe. Das Geld ist jedoch unbewusst oder auch bewusst extrem negativ besetzt, weil es so massiv missbraucht wurde und im dunklen Spiegel verwendet wurde und wird. Wir können den positiven Ausdruck des Geldes nicht erkennen, geschweige denn fühlen.

Es wird nicht ausreichen, diese negative Haltung gegenüber Geld zu kultivieren und als Ultima Ratio, als letzte Schlussfolgerung zu etablieren, indem wir Geld ablehnen, das Geld abschaffen wollen oder einfach planlos verschenken, als ob es keinen Wert hätte. Es war in der Übung deutlich fühlbar, dass es einen stimmigen Betrag gibt, der für den Menschen und sein jeweiliges Anliegen in dieser Situation der richtige ist. Dies war wirklich ein Abwägen von der genauen Anzahl an Euros. Teilweise spürten wir, wie die Person, die vorne stand, zu wenig nahm. Sie schätzte ihren Wert zu niedrig ein. Meistens war es so. Bei manchen konnten wir spüren, das stimmt. Und es gab wirklich nur einen von 70 anwesenden Personen, der sich deutlich über Wert bedient hat, wie oben beschrieben. Es ist notwendig, diese Beziehung zum Geld zu heilen und sich den eigenen Schatten diesbezüglich anzuschauen. Erst wenn das Geld wieder im hellen Spiegel als Ausdruck unserer gegenseitigen Liebe und Wertschätzung gehandelt wird, können wir von einer Heilung sprechen.

Es zeigt sich bei näherer Untersuchung der Kategorien und Begriffe der monetären Sphäre, dass alle Begriffe, die es im Finanzbereich gibt, auch zugleich sehr tiefe emotionale und spirituelle Kategorien benennen. Zum Beispiel der Begriff des Erlöses. Finanziell ist der Erlös der Gewinn, den das Geschäft abwirft. In der spirituellen Sphäre ist es die Erlösung, das höchste Ziel des gläubigen Menschen. Auch der Begriff der Zuwendung, finanziell die Bezahlung für eine Leistung, ist in der emotionalen, inneren Welt des Menschen eines der elementaren Grundbedürfnisse überhaupt: die Liebe und Zuwendung, die wir von anderen Menschen bekommen. Der Begriff Verdienst bzw. verdienen bezeichnet ein ökonomisches Verhältnis, das im Begriff des Dienens in der spirituellen Sphäre als Gottesdienst und Diener Gottes die höchste Schlussfolgerung einer spirituellen Identität darstellt. Es zeigt sich in unserem Gewissen, dass wir etwas, dass wir nicht verdient haben, nicht mit gutem Gewissen nehmen können. Wir werden daran keine Freude haben. Und es scheint so zu sein, dass alle diese Dinge zu ihrem gerechten Ausgleich drängen. Auch der Begriff der Schuld, im Finanzbereich die berüchtigten Schulden, ist in der moralischen, ethischen, emotionalen und im Sinne der letztgültigen Wahrheit auch in der spirituellen Sphäre von unverzichtbarer Bedeutung und nicht reduzierbar. Viele Menschen versuchen, Schuld generell als nicht existent zu deklarieren. Ich denke, dass derartige Manöver der Erkenntnis der Wirklichkeit und dem, was wirkt, keinen guten Dienst erweisen. Zu viel Schmerz, Verletzung und Beschämung wurden durch die Kategorie der Schuld über die Menschen gebracht. Man möchte davon nichts mehr hören. Aber das ist nicht die Lösung. Gerade weil die Schuld eine dermaßen wirksame Kraft ist, wurde sie missbraucht. Aber zugleich ist sie der Weg zur Erlösung. Das haben natürlich die alten Religionen erkannt, gerade das Christentum hat zu diesem Bereich tiefe Erkenntnisse. Es ist vielleicht angemessen, von einer Ökonomie der Ethik zu sprechen. Wir können diese Kräfte nicht benutzen, ohne den Preis dafür zu zahlen. Alles drängte zum Ausgleich und zur Vergeltung (›vergelt‘s Gott‹).

Weitere Begriffe sind zum Beispiel der Kredit, von dem lateinischen Wort credere = glauben. So sprechen wir heute noch davon, in Misskredit zu geraten, als unseren Ruf und unsere Glaubwürdigkeit zu verlieren. Kredit im spirituellen Sinn müsste also der gute Ruf oder die Glaubwürdigkeit sein, was noch das englische ›credits‹ belegt, was u.a. Ehre  oder Anerkennung bedeutet. Auch die Copyright-Quellen heißen im Englischen credits, also die Ehre der Urheberschaft.

Illustration004Auch das Wort ›reich‹ ist von universaler Bedeutung. Als ›Reichtum‹ ist es in der monetären Sphäre das höchste Ziel. In der Philosophie und Metaphysik ist es als ›erreichen‹ oder ›reichen‹ der Ausdruck einer Erfüllung, Zielerreichung, Vollkommenheit, als ›Reich Gottes‹ sogar der Name des absoluten Ortes.

Die beiden Sphären des Geldes und der Spiritualität greifen unmittelbar ineinander. Wahrscheinlich sind sie in der Urzeit auseinander hervorgegangen. Geld als abstrakter Wertindikator und Sprache1 ist der nach außen manifestierte Ausdruck unserer inneren Werte sowie der realen Kräfteverhältnisse. Wir haben als spirituelle, lebende Wesen Kraft. Diese Kraft kann etwas erschaffen, schöpfen. Sie kann aber auch zerstören. In der sozialen und kollektiven Wirklichkeit der Vielzahl der Subjekte, also der lebenden, mit schöpferischer Kraft ausgestatteten Wesen, ist die energetische Ökonomie von Schuld und Verdienst, von Soll und Haben das objektive Regulativ, um Ausbeutung und Übervorteilung bzw. Benachteiligung auszugleichen. Es muss am Schluss immer Null herauskommen. Alle Schulden müssen getilgt sein, jeder Verdienst muss ausgezahlt werden. Wir zählen unser Geld, aber wir suchen auch nach der Wahrheit, nach dem, was wirklich zählt. In der tiefsten spirituellen Verquickung von Geld und Seele enthüllt sich die reale Struktur der Wirklichkeit.

Durch die Verschleierung dieser Wahrheit in der Ideologie ist dieses Wissen verloren gegangen. Es wurde verschleiert, um die Macht zu erhalten und den Ausgleich der Schuld, die die Ausbeuter auf sich geladen haben, zu verhindern. Nach der Ausbeutung haben die Ausbeuter auch noch die Unwissenheit in die Welt gebracht. Wenn wir heute als Vertreter der emanzipativen Kräfte das Geld oder die Ökonomie ablehnen, beteiligen wir uns selbst an der Verschleierung und befinden uns in Unklarheit über die wirkliche Struktur der energetischen Verhältnisse. Es ist durchaus möglich, kein Geld zu brauchen oder sich dafür nicht zu interessieren. Das ist aber etwas anderes als das Geld abzulehnen. Durch diese ideologische Verschleierung ist auch sehr viel geistige Unwissenheit über die Menschen gekommen. Sie können den Aufbau des Lebens nicht mehr verstehen.

Der innere Zugang zu dieser Sphäre erfolgt über das Gefühl. Es handelt sich hier um ein gereinigtes, vom Schatten befreites Gefühl unseres wahren Selbst. Der Umgang mit dem Geld wurde im kollektivrechtlichen, mythischen Zeitalter auf äußere, formale Strukturen ausgelagert. Es wurden Finanzgesetze, Verträge und Regeln etabliert, um den Geldverkehr zu regulieren. In einer befreiten Herangehensweise an das Geld müssen wir uns dieser tiefen Verquickung von Geld und Seele sehr bewusst sein und ein Gefühl dafür entwickeln, was ein gerechter Austausch ist. Es fühlt sich stimmig an, es stimmt. In der Finanzwelt ist es die Rechnung, die stimmt. In der spirituellen Sphäre ist es die Wahrheit, die stimmt und ein Gefühl der Stimmigkeit vermittelt. Dann sind auch die Saiten richtig gestimmt und das Instrument klingt im richtigen Ton. Die Sphäre des Handels und seiner Sprache des Geldes betrifft die energetische Spannung zwischen Geben und Nehmen. Beides hat seine Berechtigung und beides gibt es im hellen und im dunklen Spiegel. Und von beiden gibt es jeweils einen aktiven und einen passiven Modus. Sehr angesehen in unserer heutigen Gesellschaft ist das aktive Geben und das passive Nehmen. Sie sind im hellen Spiegel. Im dunklen Spiegel befinden sich das passive Geben und das aktive Nehmen. Wie sich in der Übung gezeigt hat, fiel es den meisten Menschen sehr schwer, das Geld zu nehmen, weil sie dann an ihren Minderwert kamen. Sie hatten es nicht verdient, glaubten sie. Dieses Nehmen dessen, was ich verdient habe oder wozu ich berechtigt bin, ist aktives Nehmen. Passives Nehmen ist dieses Hinnehmen, Sich-fügen. Aktives Geben ist Gutes-tun, Spenden oder Leistungen geben. Auch Befehle geben oder Ratschläge geben gehören zum aktiven Geben. Passives Geben ist die Hingabe, das Aufgeben des falschen Egos, also das Abgeben dessen, was nicht meins ist.

Um in diesem Gefühl sicher zu werden, müssen wir unsere dunklen Anteile ins Licht bringen. Um fühlen zu können, was der stimmige Tausch ist, brauchen wir auch die Fähigkeit des aktiven Nehmens, also ein aus einem gesunden Selbstwert und aus Selbstliebe hervorgehende Fähigkeit, das, was mir zusteht, auch zur Sprache bringen und dann nehmen zu können, wenn die anderen einverstanden sind. Wir brauchen außerdem ein Gefühl, das vom Egoismus gereinigt ist, also eine verwirklichte Form der Hingabe und Selbstlosigkeit darstellt, eine Fähigkeit sich hinzugeben, sich zu geben.

Alle diese Kategorien wurde durch die Ideologien der Herrschenden verdreht und auf den Kopf gestellt. Im klaren ideologiefreien Blick ordnen sich all die alten ewigen Kategorien neu in ihrer wirklichen Konstellation. Nichts geht verloren, es wird nur umgedreht und in die ewige Ordnung der Wahrheit gebracht. Dies ist die Aufgabe einer ideologiefreien spirituellen Wissenschaft, die die getrennten Sphären wieder in Verbindung bringt und die Einheit des Menschen als leibseelische Entität wieder herstellt. Wir erhalten wieder das GANZE BILD.

1 Zur Kategorie der Sprache: Diese wird hier im Sinne Walter Benjamins verwendet, siehe: »Über die Sprache des Menschen und Sprache überhaupt« (1916). Geld ist in diesem Verständnis das Ausdrucksmittel und der Code, in dem wir unsere Werte kommunizieren.

Anmerkung: Mittlerweile ist eine wesentlich längere Fassung des Artikels mit vielen weiteren Aspekten in der Tattva Viveka 59 erschienen. Sie können den Text hier anlesen: http://www.tattva.de/die-spirituelle-bedeutung-von-geld/. Die vollständige Fassung kann als pdf zum Preis von 2,00 € heruntergeladen werden.

© Bildnachweise:

Das wunderschöne Titelbild ist von Cameron Gray aka paraplev:
http://parablev.deviantart.com/

Das 2. Bild ist von Pavyan Khosravi:
http://farbods.wix.com/pineal-visions#!__pinealvisions

Das 3. Bild ist von Aaron Pyne:
http://www.sacredvisiondesigns.com/visionary-art-show-2003-2006/

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Der Hang ist positiv

image015Viele Menschen vertreten die Philosophie, dass Unabhängigkeit das Höchste ist. Demgemäß geht es um Freiheit, Selbstbestimmung und Eigenständigkeit. Diese Werte oder Tugenden sind sicherlich nicht verkehrt. Jedoch sind sie nicht das Höchste!

Was ist die Natur der Seele? Was ist unsere wesensgemäße Stellung? Viele Menschen vergessen, dass es Gott gibt. Sie kalkulieren ihre Existenz unabhängig von Gott. Ich glaube jedoch, dass wir als Seele oder als Lebewesen immer Gott untergeordnet sind. Wir sind Subjekte. Warum kommt das Wort Subjekt von dem lateinischen »subjectum«, was »unterworfen« bedeutet? Dieses alte Wort trägt eine tiefe Wahrheit in sich. Die wesensgemäße Stellung der Seele ist die Hingabe. Das bedeutet, wir sind immer Gott unterworfen und abhängig von Gott. Die Natur der Seele ist es, abhängig zu sein. Das ist die höchste Wahrheit, und das stellt die Seele am vollkommensten zufrieden.

Die Abtrennung von Gott führt dazu, dass wir Abhängigkeit oder den Hang negativ bewerten müssen. Wir wollen nicht abhängig sein und wir stellen unsere Berechnungen ohne Gott an. Und deshalb konstruieren wir eine Philosophie, in der es negativ ist, von etwas abzuhängen. Jedoch braucht jeder von uns etwas, an das er sich halten kann. Da wird dies leugnen, können wir nicht verstehen, warum wir leiden.

Warum finden wir es so schlimm, an etwas zu hängen? Dieser Ausdruck weist uns schon in eine gute Richtung. Es ist ein Ausdruck der Wertschätzung und Zuneigung. Wir gebrauchen diese Redewendung gerne für Objekte, zu denen wir einen positiven emotionalen Bezug haben: „Ich hänge an dem Schaukelstuhl, den mir meine Oma vermacht hat.“ Aber es fällt uns schon schwer, zu sagen, dass wir an einer Person hängen. Hier schwingt schon etwas von Abhängigkeit mit, von Kontrollverlust.

Und das ist eben auch das hinter der Unabhängigkeitsphilosophie liegende Motiv: der Wunsch nach Kontrolle. Wegen diesem niederen Motiv zerstören wir die Wahrheit, leugnen unsere Position in der Ordnung der Dinge und gehen in die Irre.

Um wie vieles leichter wäre es, unsere immer und unter allen Umständen gegebene Abhängigkeit anzunehmen?

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Die reine Freude

Wer meinen letzten Blog über die Reise ins Gefühl gelesen hat, weiß, dass ich nicht versuche, dem Schmerz auszuweichen. Mein Ansatz besteht darin, jedes Gefühl zu fühlen und ihm auf den Grund zu gehen. Es geht nicht darum, sich gut zu fühlen, sondern darum, zu fühlen.

In letzter Zeit bin ich meinem Schmerz, meiner Trauer und meiner Scham auf den Grund gegangen. Das war schmerzhaft, traurig und beschämend. Aber ich ging da durch.

Gestern durfte ich erleben, was das an Heilung ermöglicht.

Ich war auf einem Kirtan-Abend. Kirtan bedeutet, spirituelle Lieder gemeinsam zu singen und dazu zu tanzen. Das war die reine Freude.

Aber das Besondere war: Ich fühlte diese Freude, sie war rein und klar, und sie hatte einen festen Grund. Ich konnte richtig fühlen, wie diese Freude auf festem Grund aufsetzt, wo nichts mehr darunter war. Sie war keine Fassade. Darunter war kein Schmerz, keine Scham, keine Angst, kein Eiter, kein schwankender Grund, kein Matsch, kein schmieriger Glibber. Es war ein einfacher, fester Grund, und da war nichts außer Freude. Das war ein wunderschönes, sicheres Gefühl. Es gab mir Vertrauen und Gewissheit. Ich fühlte mich meiner selbst gewiss. Ich konnte diese Freude unvermischt und klar fühlen, ohne dieses vage Gefühl von Unsicherheit oder Beklemmung, das da ist, wenn die Freude aufgesetzt oder manipuliert ist. Wir kriegen das meist nicht bewusst mit, wenn wir die Freude herbei manipulieren, weil wir diese fixe Idee haben, dass wir uns immer gut fühlen müssen. Aber irgendwie fühlen wir dann doch, da stimmt was nicht. Es ist dann eine mit Schmerz, Trauer, Angst, Scham oder Wut vermischte Freude.

Die Arbeit mit meinen Gefühlen des Schmerzes, der Trauer, der Angst, der Wut und der Scham hat dazu geführt, dass diese Abgründe bereinigt sind. Es ist wie das Ausschaben einer eiternden Wunde, die gereinigt und desinfiziert wird und dann erst heilen kann. Dann erst kann der Schmerz abklingen und die Not wird gelindert. Wenn es dann heilt, bildet sich ein fester Grund. Dieser feste Grund bin ich. Das ist mein inneres Selbst, auf dem die reine Freude dann aufsetzen kann und sich entfalten kann. Dann fühle ich Sicherheit, Geborgenheit und mich selbst.

Die Freude hatte auch im kausalen Sinn einen Grund, weil in der Situation, im gemeinsamen Singen und Tanzen zu schöner Musik, da war die Freude auch begründet. Genauso wie zu anderen Zeiten der Schmerz begründet ist. Diese Gefühle manifestieren sich gemäß der Wirklichkeit, in der ich mich befinde, gemäß dem, was gerade passiert. Sie sind die Sprache, die mich mit der Wirklichkeit verbindet. Es war ein schöner Abend mit wunderbaren, lieben Menschen um mich herum. Wir lachten uns an und feierten. Es war so schön, diese Freude so rein und direkt zu erfahren, zu fühlen. Diese echten Gefühle sind keine Gefühle, dich ich mir mache. Sie sind entsprechend der jeweiligen Situation. Der Abend war ein Grund der Freude. Und zu anderen Zeiten hat man vielleicht einen Grund zu trauern. Dann ist eben Trauer angesagt. Diese Gefühle kommen und gehen. Es ist so schön, diese echten Gefühle fühlen zu können. Ich glaube, es ist deshalb so schön, weil ich dann echt bin. Dann bin ich ich.

Und mir ist klar, diese Freude konnte ich nur fühlen, weil ich zuvor meinen Schmerz gefühlt hatte. Es war eine Freude ohne etwas darunter, ohne Dreck unterm Teppich, ohne verheimlichte, geleugnete Gefühle darunter.

So lerne und verstehe ich zunehmend, dass es die Gefühle sind, die mich in die Genesung führen. Sie führen mich zu mir, und das ist das spirituelle Erwachen. Aufwachen bedeutet „zu sich kommen“. Und das ist so konkret zu verstehen, wie nur irgend möglich: Ich komme zu mir.

Dabei ist es egal, ob das, was ich da fühle, „gut“ oder „schlecht“ ist. Es geht nicht darum, sich gut zu fühlen. Es geht darum, zu fühlen.

Anmerkung:
Der Abend war ein Konzert der Kirtaniyas (www.kirtaniyas.com), eine junge, aufstrebende Kirtan-Band, und fand am 14.01.2012 im Yoga-Zentrum „Lernen in Bewegung e.V.“ in Berlin statt.
Organisiert wurde er von der brillanten und liebenswürdigen Alexandra von Joyfulevents 🙂

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Mein persönliches Mission Statement

Es ist meine Mission, meine Macht und Zufriedenheit in der Spiritualität zu offenbaren, zu verbinden und darüber zu schreiben.

So, here we go.

Das Thema Macht ist umstritten. Macht ist eine spirituelle Kraft, die oft, allzu oft missbraucht wurde. In diesem Sinne habe ich Macht immer abgelehnt. Ich habe gegen die Machthaber rebelliert und gekämpft. Ich sympathisierte mit dem Anarchismus. Ich war linksradikal, gegen den Staat, gegen das Kapital. Ich sah im Staat (mein anarchistischer Anteil) und im Kapital (mein kommunistischer Anteil) den Grund allen Übels. Ich war politisch aktiv, bis hin zur Unterstützung der RAF. Wir machten militante Aktionen wie z.B. Sprühaktionen, Hausbesetzungen, vermummte Demonstrationen. Wir planten Anschläge, aber zum Glück führten wir sie nicht aus.

Diese Ablehnung von Macht als Ganzem führte indes zu psychologischen Fehlhaltungen, die in meinem Leben Probleme verursachten. Die Coach-Frau, die mit mir vor wenigen Tagen das obige Mission Statement erarbeitet hat, sprach von mir als einem Mann, der nun sichtbar wird. Ein sichtbar werdender Mann – ist das nicht schön?

Was bedeutet das? Da ich Macht ablehnte und statt dessen politisch korrekte Ansichten wie Gleichberechtigung, Pluralität, Toleranz und Liebe pflegte, habe ich mich versteckt. Nicht dass Liebe und Gleichberechtigung falsch wären. Es wird nur einseitig betont. Wenn Liebe zum Gegenteil von Macht wird und Liebe gut und Macht schlecht ist, dann sind wir in der ideologischen Sichtweise gelandet, wo es keine Wahrheit und kein Leben mehr gibt. Ich versteckte mich, da ich Macht als etwas Sündiges, Böses verstand und auf keinen Fall böse sein wollte. Ich versteckte mich aber auch, weil ich Angst hatte, mich zu zeigen. Angst davor, zu mir zu stehen und mich selbst anzunehmen, in meiner Kraft und Macht und Souveränität. Ich machte mich klein. Ich lebte nicht wirklich.

So was ist eine leidvolle Situation. Für mich und für die anderen. Es führt nur zu Zerstörung und Einsamkeit. Das, was mich ausmacht, konnte ich nicht sehen und nicht zeigen. Ich konnte mich nicht leben, ich konnte nicht sein. Die anderen konnten mich nicht sehen und fühlen. Bis zu einem gewissen Grade natürlich schon, das alles ist nicht absolut und schwarz-weiß. Aber es fehlte die „letzte Meile“, die letzten paar Meter, um zu einem echten Kontakt, einer echten Verbindung zu kommen. So war ich nicht richtig greifbar und fühlbar. Vielleicht vollzieht sich das immer in Annäherungen, vielleicht können wir nie einen absoluten, vollkommenen Zustand erreichen. Vielleicht geht diese Entwicklung immer weiter. Ich selbst bin eine innere Transzendenz, die in die Unendlichkeit flieht. Aber wir müssen uns auch nicht ganz und vollkommen erreichen, wir müssen nur das tun, was wir tun können. Den Rest tut Gott. Das ist Gnade.

Als sichtbar werdender Mann werde ich zum Mann. Mann ist gut. Macht ist gut. Als richtiger Mann habe ich Macht. Es gilt, die Macht aus dem mythischen Missbrauch zu befreien, sie zu erlösen und wieder in ihre ursprüngliche gute Weise zu bringen. Natürlich wurde die Macht missbraucht. Sie wurde missbraucht, weil sie wirkt. Es sind die besten Kategorien, die missbraucht werden. Etwas Wirkungsloses interessiert keinen, es kann weder positiv noch negativ gebraucht werden. Es geht heute darum, diese alten ewigen Kategorien wieder in ihre ursprüngliche heile Form einzusetzen. Durch lautere, edle Menschen. Es geht kein Weg daran vorbei: der Mensch ist das Maß aller Dinge. Wir nehmen wahr und erkennen, wir öffnen und schließen, im Sinnen von offenbaren und schlussfolgern. Es sind die Menschen selbst, die bestimmen. Gott gibt uns natürlich die Führung und Orientierung – wenn wir sie wollen und annehmen. Es ist ein ko-kreativer Prozess.

Ein wertfreie Definition von Macht: Wieviel Ergebnis kann ich sichtbar erbringen?

Es geht um Handlungsfähigkeit, um Realisierung, um Zielstrebigkeit. Das sind wahrscheinlich keine nur männlichen Eigenschaften. Sie wurden im Laufe des Patriarchats von dem Männern besetzt. Im Zuge der Emanzipation, zu der ich mich hinzuzähle, wurde die Macht mitsamt den Männern in Abrede gestellt. Insofern ist es für mich als Mann wesentlich, die Beziehung zwischen Mannsein und Macht anzuschauen.

Macht bedeutet auch Definition. Ich habe die Macht, zu definieren, was mein Ding ist, was ich richtig und falsch finde, was was ist. Auch diese Macht haben wir als Menschen. Wir können sie nicht umgehen. Bisher wurden die Definitionen von Mächtigen gegeben und das Volk folgte. Es war eine Auslagerung der Urteilskraft auf äußere Beziehungen, wie Religion, Politik, Medizin. Es ging nicht anders, da viele Menschen nicht genug Wissen hatten, um die Definitionsmacht an sich nehmen zu können.

Macht hat einen Bezug zu Gewalt. Definitionsmacht ist gleich Definitionsgewalt, zum Beispiel. Wie kann ich Macht ausüben, ohne Gewalt auszuüben? Das ist machbar, denke ich. Ist Gewalt überhaupt schlecht? In der wertfreien Sicht wohl kaum. Was wäre denn die reine Form von Gewalt? Walter Benjamin hat darüber geschrieben und das klar gestellt. Man kann das dort nachlesen.
Was ist die schlechte Form von Gewalt? Sicherlich die, die meinen egoistischen Interessen entspringt, wo der Andere nicht mehr als souveränes Wesen erkannt wird.

Wie kann ich als Mann in meine Macht kommen und dabei zum Wohle des Ganzen wirken? Ich habe Macht, das ist einfach so. Wenn ich sie nicht annehme, werde ich unsichtbar, ungreifbar.

Es gibt eine reine Macht. Eine Macht, die aufbaut und schöpft, die Schönheit in die Welt bringt, die Leben ermöglicht und beschützt. Es ist die Macht des Wissens und des Tuns. Es ist innerer Halt, innere Stärke, Eigenständigkeit. Es sind Werke, die ich hinterlasse. Macht ist Bestimmung, Richtungsweisung, der Fels in der Brandung. Das ist das Männliche an der Macht. Die Frau ist weich und fließend. Der Mann ist hart und standhaft. Wenn er die Macht für das Leben einsetzt, gibt er Richtung und Stabilität. Nur so kann sich die Liebe und Fülle der Frau offenbaren. Macht bedeutet auch, ich zu sein, etwas zu sein. Eine Soheit: ich bin so. Also Selbsterkenntnis und Position. Macht bedeutet auch, Subjekt zu sein und meine Einzigartigkeit zu leben. Ich definiere mein Leben, mein Menschsein und mein Mannsein. Das ist Männlichkeit: ich bestimme selbst, wer ich bin und was ich tue.

Als sichtbarer Mann zeige ich meine Macht und setze sie gesund ein. Ich gehe in meine Macht und werde dadurch zufrieden.

Hier habe ich das Coaching gemacht: www.coaching-spirale.de

Besucht auch die Homepage meiner Zeitschrift Tattva Viveka: www.tattva.de

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Nobody is perfect 2

Nobody is perfect 2

„Heute ist meine Abstinenz nicht perfekt. Wenn ich perfekt abstinent wäre, würde ich nur das essen, was Gott für ich will und ich würde dabei keinerlei Schuld oder Scham verspüren. Heute erwartet meine Höhere Macht nicht mehr diese Art von Vollkommenheit von mir und noch besser, ich erwarte sie auch nicht von mir. Wenn ich bete, „Gib uns unser tägliches Brot“, bete ich um meine Abstinenz. Wenn ich dann Gott um Hilfe gebeten habe, lege ich es in seine Hände.
Ich akzeptiere den Körper, den Gott mir gegeben hat und dass ich eben eine gewisse Menge Essen brauche. Es war mein Eigenwille, der mir meine Extrapfunde einbrachte. Wenn ich so esse, wie Gott es für mich will, habe ich einen normalen Körper. Lange bevor ich mein Zielgewicht erreicht hatte, kam mein Gewicht zum Stillstand. Ich hörte auf, Gewicht verlieren zu wollen und begann zu essen, als hätte ich auf wunderbare Weise all das Gewicht verloren, das nötig war. Ich hatte den Unterschied gelernt zwischen abstinent sein und auf Diät sein.“
(OA, S. 71)

„Wenn ich auch immer wieder am Kämpfen war, so verlor ich in den ersten Jahren im Programm dennoch 50 Pfund. Allmählich erkannte ich, je mehr ich versuchte „den Deckel auf meine Ess-Sucht“ zu bekommen, desto mehr schien ich zu versagen. Ich benutzte OA manchmal als Diätklub und ich vergaß dabei, dass das noch nie funktioniert hat.
Ich sprach darüber mit einer OA-Frau, die ich sehr bewunderte. Sie sagte mir, dass ich anscheinend nach einer „perfekten“ Abstinenz strebte und das vielleicht eine unrealistische Erwartung sei. Es war nicht leicht für mich, meinen Traum von der Perfektion loszulassen, aber ich sah, je mehr ich von meinen strengen Anforderungen losließ, umso weniger Macht hatte das Essen über mich. Ich fing an mich als ein unvollkommenes Wesen zu akzeptieren.“
(OA, S. 76)

Das Problem bei den Ess-Süchtigen ist, dass sie das Suchtmittel nicht völlig weglassen können, wie das zum Beispiel bei Alkohol oder Drogen der Fall ist. Sie müssen also das Mittel, das sie süchtig missbraucht haben, weiterhin nehmen.
Wie kommen sie dann also zu einem abstinenten Verhalten?
Es wird hier in OA sehr genau zwischen Diät und Abstinenz unterschieden. OA ist kein Diätklub. Eine Diät ist eine Methode, weniger zu essen, als man eigentlich essen müsste, um abzunehmen. Diät ist mit zwanghaften Verhalten verbunden, es ist der Versuch, Kontrolle zu erlangen und ist nur die Kehrseite der Ess-Sucht. Der Versuch, das Essen zu kontrollieren, führt zum Rückfall.
Abstinenz bedeutet, das zu essen, was man braucht, und so zu essen, dass man satt ist. Allerdings isst man auch nicht mehr. Es geht darum zu spüren, welches Essen brauche ich und welches esse ich nur, weil ich mehr will. Wenn ich mehr esse, als ich brauche, esse ich süchtig, weil ich dann mit dem Essen versuche, Gefühle zu verändern und mich wegzumachen.
Die allgemeine Regel ist, dreimal am Tag essen und dazwischen nichts zu essen. Das ist die Grundlage der Abstinenz in OA. Spirituell gesehen formuliert es das erste Zitat. Rein spirituell wäre, nur das zu essen, was Gott für mich will. Allerdings gibt es keine Vollkommenheit. Die Idee der Vollkommenheit ist selbst eine süchtige Idee.
In dem Verstehen, dass Gott keine Vollkommenheit von mir erwartet, komme ich raus aus dem süchtigen zwanghaften Verhalten und aus meinen Schuld- und Schamgefühlen darüber, dass ich nicht vollkommen bin.
„Wären wir vollkommen, wären wir keine Menschen“ sagt der NA-Basictext (S. 38).
Ich glaube, es ist der Wille Gottes, das wir unvollkommen sind. Diese Unvollkommenheit ist eine eigene spirituelle Erfahrung, die uns Demut und Mitgefühl mit allen fühlenden Wesen geben soll.
Ein Merkmal der Sucht ist die Kontrollillusion. Sie drückt sich auch in der Idee der Vollkommenheit aus. Die Idee der Vollkommenheit ist somit eine Leugnungsstrategie. Auch die Behauptung, wir wären ja schon vollkommen, ist Leugnung. Das ist einfach eine strategische Schutzbehauptung, um die Illusion der Kontrolle aufrechtzuerhalten und den Schmerz und die Demut nicht fühlen zu müssen.
In der Annahme-was-ist erkennen wir, dass wir unvollkommen sind und fühlen den Schmerz und die Demut. Das ist einfach die Realität, wie sie ist. Es ist so.
Kannst Du das fühlen? Kannst du fühlen, dass das stimmt?
Es fühlt sich einfach richtiger an als diese mentalen Strategiepostulate, diese logischen Konstrukte, die nur im Kopf stattfinden und nur dazu dienen, den Schmerz zu rationalisieren und zu betäuben.
Die Wirklichkeit ist die Wahrheit und die Wahrheit ist die Wirklichkeit. Das kann man spüren. Das erfasst den ganzen Körper, nicht nur den Kopf.
Es ist eine Evidenz, die nicht hinreichend mit Logik erklärt werden kann.

Nachtrag: Zum Erkennen der Realität

Es ist möglich, die Realität zu erkennen. Das ist jedoch ein Fühlen und geht weit über das Denken hinaus. Weil wir immer versucht haben, mit dem Denken die Wirklichkeit zu erkennen, haben wir uns in den Konstruktivismus verstrickt, der behauptet, ich konstruiere die Realität in meiner Wahrnehmung. Ja, wir konstruieren ständig unser Bild der Realität in unseren Köpfen. Aber das ist die Pathologie, das ist die Illusion. Es gibt jedoch eine Möglichkeit, uns selbst zu erkennen, wie wir sind, und die Realität zu erkennen, wie sie ist. Dies ist möglich in der radikalen Ehrlichkeit und Authentizität. Die Wahrheit ist fühlbar. Oder, wie der Chefarzt der Klinik Bad Herrenalb, Klaus von Ploetz, sagt: „Die Wahrheit ist der Kammerton A und die Seele hat das absolute Gehör.“ Stimme, stimmig, Stimmung, Bestimmung. Wir fühlen es, wenn es stimmt, und wir ihm eine Stimme geben. Es fühlt sich stimmig an. Dann fühlen wir den anderen und erfahren Freude und Verbundenheit. Das nährt die Seele.

Exkurs zur Bhagavad-gita

Die Bhagavad-gita, die Heilige Schrift Indiens, beschreibt diesen Erkenntnisvorgang ebenfalls:

Wenn deine Intelligenz aus dem dichten Wald der Täuschung herausgetreten ist, wirst du gegenüber allem, was je gehört worden ist, und allem, was noch zu hören ist, gleichgültig werden. (2.52)
Erläuterung: Sobald unser Bewusstsein aus der Illusion herausgetreten ist, merken wir es. Es ist wie eine Erleuchtung. Jetzt ist alles klar. Vor allem werden wir dann nicht mehr an den Worten kleben, die schon gesagt oder niedergeschrieben worden sind und wir werden auch nicht an zukünftigen Aussagen von anderen Menschen, Gruppen oder Institutionen hängen. Wir werden in jedem Moment wissen, was wirklich ist und was zu tun ist. Wir werden in der Lage sein, unsere eigenen Urteile zu fällen, ohne von der Autorität anderer abhängig zu sein. Es handelt sich um ein inneres Wissen, das am Besten mit dem Wort Intuition bezeichnet werden kann.

Wenn aber jemand mit dem Wissen erleuchtet ist, durch das Unwissenheit zerstört wird, dann enthüllt sein Wissen alles, ebenso wie die Sonne am Tage alles erleuchtet. (5.16)
Erläuterung: Sobald wir dieses Wissen erlangen, breitet es sich auf alles Existierende aus. Es ist kein phänomenales Wissen, also ein äußeres Wissen, dass die einzelnen Phänomene wie zusammengestoppelte Befunde abtastet und aufreiht. Es ist kein Begreifen. Das Tasten und Greifen gehört in den Bereich der Haptik. Es ist blind. Echtes Wissen gehört in den Bereich der Optik. Es ist sehend.
Es ist ein inneres Wissen, gleichsam der Quellcode, der auf alle Phänomene, auf alle Gewordenheiten, anwendbar ist.

Ich werde dir nun dieses phänomenale und numinose Wissen in seiner ganzen Fülle erklären, und wenn du es verstanden hast, wird es für dich nichts ehr zu erkennen geben. (7.2)
Erläuterung: Hier unterscheidet Krishna, der Sprecher, zwischen phänomenalem und numinosem Wissen (im Sanskrit jnana und vijnana). Das phänomenale Wissen ist das Wissen von den Phänomenen, den Entitäten, den äußeren Erscheinungen. Das numinose Wissen ist das Wissen von den inneren Kräften, von den spirituellen Dingen und von Gott. Das, was die Welt im Innersten zusammenhält, der Quellcode.
Mit diesem Verständnis kommt alle Erkenntnis an ihr Ende, weil es nichts mehr Neues zu erkennen gibt. Das ist das Ende vom Wissen (vedanta). Dann beginnt das Leben.

Quellen:
OA: Overeaters Anonymous, Zweite Ausgabe, Deutschsprachige OA, Bremen 2001, ohne ISBN
NA: Narcotics Anonymous, Basic Text, dt., USA Van Nuys 2002, ISBN 1-55776-171-X
Bhagavad-gita, hg. und übersetzt von Bhaktivedanta Swami Prabhupada, The Bhaktivedanta Book Trust, 1987, ISBN 0-89213-088-1

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Authentizität, Philosophie, Selbst

Nobody is perfect

Zur Theorie der Vollkommenheit

Viele Menschen leben in einem Paradigma, demzufolge es irgendwie das Ziel ist, vollkommen zu sein oder zu werden. Vollkommenheit wird als gut bewertet, Unvollkommenheit als schlecht. Es gilt irgendwie, zu dieser Vollkommenheit zu gelangen.
Die Wege dahin lassen sich im Großen und Ganzen in zwei unterschiedliche Herangehensweisen unterscheiden:
a) Ich ändere mich, also meine Realität.
b) Ich ändere meine Definition von Vollkommenheit, also die Wahrnehmung meiner Realität.
Die Menschen in diesem Paradigma leiden sehr unter der Vorstellung, nicht vollkommen zu sein. Sie sagen zum Beispiel: „Wie soll ich ein Ebenbild Gottes sein, wenn ich nicht vollkommen bin?“
Da aus dieser Bewertung jedoch ein Schmerz über die eigene Unvollkommenheit entsteht, wird zu der Idee Zuflucht genommen, das ich jetzt und hier schon vollkommen bin, so wie ich bin. Damit wird das Problem aus der Realität (a) in die Wahrnehmung der Realität (b) verlagert. Es ist nur noch eine Frage der Definition. Es ist dann ein Denkfehler, wenn ich mich für unvollkommen halte. In dem Moment, wo ich erkenne, dass ich ja schon vollkommen bin, ist alles gut. Das Problem ist gelöst. Das ist Konstruktivismus.

c) Beide Lösungswege sind disfunktional. Das Problem löst sich in der Annahme der Tatsache, das wir unvollkommen sind und das ist gut so. Es ist einfach die Wahrheit. Wir sind unvollkommen.

zu a)
Dies ist die klassische Version des Paradigmas. Wir sind so, wie wir sind, nicht in Ordnung und müssen besser werden. Es gibt ein Ideal, eine Vollkommenheit, und wir sind selbst noch nicht dort. Wir „sollen“ oder „müssen“ anders werden, uns ändern, uns verbessern.
Hier werden z.b. niederes und höheres Selbst unterschieden, oder das Ego und das absolute Selbst. Das Niedere ist das Schlechte, das Höhere ist das Gute. Es ist die Vorstellung der klassischen Religionen, dass wir ein echtes, wahres, absolutes Selbst haben, das nicht von irdischen Dingen verunreinigt ist, frei von Sünden (der Westen, Christentum, Islam, Judentum) oder frei von Illusionen (der Osten, Buddhismus, Hinduismus, Taoismus). Dies steht dem niederen, falschen, relativen Selbst, dem Ego, gegenüber. Dieses niedere Selbst ist die Ursache von Leiden, Sünden, Illusionen, und dieses gilt es auszumerzen oder zu transformieren. Das ist der Weg vom Real zum Ideal, vom Relativen zum Absoluten, vom Schlechten zum Guten, vom Falschen zum Richtigen, vom Sündigen zum Heiligen usw.

zu b)
Immer wieder kommt es vor, dass manchen Menschen klar wird, dass mit dieser Denkweise etwas nicht stimmt. Wir können das Ideal niemals erreichen, wir können niemals diese Vollkommenheit, diese Heiligkeit, diese permanente, absolute, immerwährende, perfekte Erleuchtung oder Erlösung erreichen. Wir sind immer wieder in dem Jammertal gefangen, in der irdischen Relativität, in den Fehlern, Schwächen, Unvollkommenheiten.
Hier setzt die Veränderung der Wahrnehmung der Realität an. Wenn ich schon nicht meine Realität nachhaltig ändern kann – die Tatsache, dass ich unvollkommen bin -, dann ändere ich eben die Definition davon, was vollkommen ist. Wir erkennen, dass viele negative Bewertungen von Dingen oder Handlungen geschlossene Symbole sind, d.h. viele Negationen sind konventionelle Tabus, die uns mehr Leiden verursachen, als sie uns vor Leiden schützen. Zum Beispiel wurde jahrhundertelang die Sexualität tabuisiert, um die Bevölkerung vor unerwünschter Nachkommenschaft und Geschlechtskrankheiten zu schützen. Zugleich führte diese Tabuisierung zu zahlreichen neurotischen und psychotischen Problemen. Jetzt wird die Sexualität zunehmend enttabuisiert, d.h. in eine positiven Wertung gesetzt, in der Hoffnung, dadurch eine Abnahme des Leids zu erreichen.
Diese alle Gebiete betreffende Änderung der Wahrnehmung der Realität führt jedoch zu einer inflationären Verrohung und Demoralisierung der Gesellschaft. „Anything goes“, „alles kann, nichts muss“ sind Slogans dieser Variante des Paradigmas. Es wird einfach gesagt, jeder kann machen, was er will, das ist okay so. Es gibt keinerlei moralische Maßstäbe mehr, jeder ist frei, sich auszuleben, egal wie – außer er verletzt andere auf physische Weise. Ich bin so okay, wie ich bin. In diesen Gedankengängen liegt ein Teil Wahrheit und ein Teil Leugnung.
Die Wahrheit ist, ich bin der, der ich bin. Die Leugnung ist, dass das so vollkommen ist.

zu c)
Ich bin der, der ich bin, mit all meinen Fehlern, Schwächen und Unvollkommenheiten. Und das ist gut so. Ich bin nicht vollkommen.
Die Selbstgeißelung und Selbstverachtung hört in dem Moment auf, wo ich das Dogma aufgebe, dass das Vollkommene das Gute und das Unvollkommene das Schlechte ist. Wenn ich verstehe, dass es menschlich ist, unvollkommen zu sein, dass es meine Natur ist, unvollkommen zu sein, und dass das nicht schlecht, sondern geradezu gut so ist, dann kann ich meine Unvollkommenheit annehmen. Ich muss die Wahrnehmung der Realität nicht mehr manipulieren und komme so raus aus der Leugnung.
Ich werde authentisch in dem Sinne, dass ich, wenn ich gebrochen oder unvollkommen bin, auch in meiner Gebrochenheit und Unvollkommenheit authentisch bin. Ich bin der, der ich bin. Egal, ob das in irgendeinem von Menschen gemachten Glaubenssystem gut oder schlecht ist.
Aus dieser Annahme meiner Unvollkommenheit gehen Ehrlichkeit, Demut, Aufgeschlossenheit und Bereitschaft zur Veränderung hervor. Ich bin mir meiner Machtlosigkeit und meiner Unvollkommenheit bewusst und dadurch offen für eine Veränderung, die nicht aus meiner Macht und meinem Eigenwillen hervorgebracht wird, sondern von außen kommt. Und hier wird der Raum für eine Höhere Macht, für Gott, geöffnet.
Gott ist der einzige Vollkommene. Hier hat die Vollkommenheit ihren Ort. Aber wir sind nicht Gott. Das ist einfach so. Es gibt Gott. Aber ich bin es nicht. Das ist axiomatisch. Aus dieser Unterscheidung emaniert die Wahrnehmung der Realität so wie sie ist (und nicht unsere manipulierte Wahrnehmung der Realität), sowie die Möglichkeit der realen Veränderung. Reale Veränderung ist immer heterogen, d.h. sie erwächst nicht aus dem Gleichen, was das Leiden oder die Krankheit erwachsen lässt. Sie muss von woanders kommen, etwas neu schaffen, eben verändern.
Es kann sein, dass „Gott“ eine Setzung ist, die für unser Innerstes steht, das uns selbst transzendental ist. Es kann sein, dass wir in Wahrheit Gott – oder in Gott – sind. Aber in unserem jetzigen Zustand des von der Vollkommenheit entfernten Seins sind wir eben nicht Gott. Und es hilft nicht, den Kurzschluss zu machen, die Unvollkommenheit einfach zur Vollkommenheit zu erklären (Variante b).
Es hilft auch nicht, den unvollkommenen Zustand abzulehnen, zu negieren, also als schlecht zu bewerten (Variante a), womit wir uns in die Gut-Schlecht-Dualität verstricken und eine fremdgesteuerte, unbewusste Form der Wertung anwenden.
Die Annahme der Unvollkommenheit als Wie-es-ist (c) ist im Grunde eine wertfreie Sicht. Unvollkommenheit ist weder gut noch schlecht. Sie ist einfach. Aber dadurch, dass sie als Wie-es-ist gesehen wird, existiert sie unbekämpft und unnegiert. Damit erhält sie ein Position, d.h. sie wird positiv. Jedes Sein ist eine Position, d.h. ist in und an sich gut. Das ist der Unterschied zwischen der Negation und der Position. Position ist, Negation ist nicht.
In der ehrlichen Annahme-was-ist gründet sich damit nicht eine wertlose Beliebigkeit oder eine beliebige Wertung, die abstrakt alles erlaubt ohne eine moralische Bewertung möglich zu machen, sondern eine natürliche Ordnung der Dinge, die zum Leben strebt, zum Lebensförderlichen, was immer auch eine Veredelung ist.
Indem wir uns so unvollkommen annehmen, wie wir sind, können wir die werden, die wir sein wollen. Der archimedische Punkt ist die Authentizität in der radikalen Annahme dessen was ist. Dies ist der Kammerton A, die Wahrheit unserer Seele hier und jetzt, mit allen Schmerzen, aller Angst, aller Wut, aller Freude und aller Liebe, die da sind und echt sind. An diesem Punkt ist Veränderung möglich (c). Nicht in der Herausstellung eines Ideals oder einer Vollkommenheit, wo wir nicht sind und die wir werden sollen (a) oder die wir vorgeben zu sein (b).
Diese natürliche Ordnung der Dinge, die sich daraus ergibt, ist die Ordnung des Lebens selbst, letztlich die Ordnung Gottes. Sie hat nichts mit von Menschen erdachten Ordnungen und Kontrollstrategien zu tun.
Sie ist keine Ordnung im ordentlich-moralischen Sinne, denn sie enthält ebenso die Unvollkommenheit, das Chaos, das Leiden, den Schmutz, die Zerstörung und den Tod. Denn dies gehört alles zum Leben dazu. Das ist nicht schlecht. Das ist.

»Wir werden nicht vollkommen werden. Wären wir vollkommen, so wären wir nicht menschlich.« NA-Basic Text, S. 38

»Für Menschen ist Vollkommenheit unerreichbar – sie ist kein realistisches Ziel. Was wir häufig in der Vollkommenheit suchen, ist Freiheit von dem Unbehagen, das wir angesichts unser Fehler spüren. Für diese Freiheit von Unbehagen tauschen wir unsere Neugierde, unsere Flexibilität und unseren Spielraum für Wachstum ein.« NA-Nur für heute, S. 331 (13.11.)

Tattva Viveka

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Authentizität, Selbst

Authentizität


Zwang: Es kann sein, dass ich zwanghaft etwas tun muss und tatsächlich „denke“, ich „will“ das tun. Zum Beispiel habe ich einen zwanghaften Perfektionismus und habe mir in den Kopf gesetzt, eine bestimmte Arbeit perfekt zu machen. Ich habe dann den Zwang, die Sache nochmal und nochmal durchzuarbeiten, um sie zu verbessern. Der Zwang kommt aus einer emotionalen Ebene. Die Handlung zwingt sich auf, sie manifestiert sich zwanghaft. Ich kann das wahrnehmen und bemerken, dass ich wie unter Zwang handeln muss. Das wäre der neurotische Zustand. Der Neurotiker leidet unter seinen Handlungen, wobei er sich dieses Leidens bewusst ist, aber keinen Weg findet, sein Verhalten zu ändern. Der Neurotiker hat die Wahrnehmung: „Ich muss das tun, gegen meinen Willen oder besseres Wissen.“
Wenn ich in einem Zwang handle und dabei denke, ich will das tun, dann ist das ein fortgeschritteneres Stadium der psychischen Fehlstellung. Wenn ich zwar das zwanghafte Verhalten habe, mir diese zwanghafte Verhaltensweise aber nicht erkennbar ist und ich tatsächlich denke, dass ich diese Handlung tun will, nennt man das in der Psychologie Persönlichkeitsstörung. Der kranke Mensch hat sich so mit dem Verhaltensfehler identifiziert, dass er glaubt, das sei sein freier Wille.
Die Gehirnforschung hat darauf hingewiesen, dass Handlungspotentiale im Gehirn früher ausgelöst werden als die Großhirnrinde, der Sitz des bewussten Willens, die bewusste Entscheidung trifft. Gleichwohl ist der Mensch der Meinung, er habe die Handlung aus freiem Willen ausgeführt, was eine Selbsttäuschung ist. Die Wissenschaft leitet aus diesem Umstand den Schluss ab, dass der Mensch keinen freien Willen hat und stattdessen determiniert ist. Tatsächlich jedoch werden die Handlungen des Menschen aus dem emotional-intuitiven Bereich gesteuert, wie fortgeschrittene Hirnforschungen bereits zeigen.
In diesem Bereich des Fühlens ist der Platz der Authentizität. Es ist das Fühlen, welches diese Entscheidungshoheit hat, nicht das Denken. Da wir im Westen uns jedoch extrem stark mit dem Denken identifizieren und da auch unseren freien Willen verorten, der dann auf Willkür, Freiheit oder im idealsten Falle auf Vernunft beruht, können wir den eigentlichen wahren Zusammenhang nicht sehen und sind demzufolge auch von unserer Authentizität abgeschnitten. Stattdessen bewegen wir uns in einem strategischen Selbst.
Als ich heute Morgen unter der Dusche stand, hatte ich nicht das Bedürfnis, laut zu singen. Ich hatte das die letzten Tage gemacht und dabei gespürt, dass es mir Energie gibt. Aber wenn ich es heute Morgen getan hätte, wäre es nur eine strategische Handlung gewesen, um mehr Energie zu bekommen. Tatsächlich fühlte ich, dass es heute nicht dran ist und so habe ich es gelassen. Dies ist nur ein kleines Beispiel. Authentizität reicht in der Folge weiter bis in eine konsequente Selbsterforschung.
Es entstehen Handlungsimpulse aus unserem inneren Wesenskern, diese manifestieren sich, wenn wir nicht strategisch-mental gesteuert sind. Das Denken schnappt sich diese Impulse und eignet sie sich an, indem es sich mit ihnen identifiziert. Dies geschieht innerhalb von Bruchteilen von Sekunden und es erweckt den Anschein: „Ich habe das gewollt.“ Das Ich-Zentrum ist eine Funktion, die immer darauf hinausläuft, aus dem, was vorhanden ist, eine Identität zu bilden. Es werden gleichsam Phänomene eingesammelt, angeeignet und als Ich deklariert. Es ist eine synthetisierende Kraft. Dieses Ich eignet sich die Handlung an und proklamiert sie als freien Willen.
Tatsächlich gibt es Freiheit und Wille, jedoch nicht als strategische. Sie gehören genuin ganz und gar dem Bereich des authentischen Selbst an.
Um zu diesem authentischen Selbst zu gelangen, ist es notwendig, sehr ehrlich mit sich und mit anderen zu sein. Zum Beispiel: Will ich jetzt beten? Oder will ich Wasser trinken?
Es geht erstmal um das Erkennen, was ist. Viele Leute sagen: „Ich bin authentisch, wenn ich ganz bin. In meiner Ganzheit bin ich authentisch.“ Aber das ist Ideologie. Wenn ich tatsächlich ganz bin, bin ich in dieser Ganzheit authentisch. Aber wenn ich gebrochen bin, bin ich in dieser Gebrochenheit authentisch. Die Energie zum Wachstum erwächst aus dieser Authentizität. Es ist egal, ob das gut oder schlecht in irgendeinem Glaubenssystem ist. Ein Glaubenssystem wäre zum Beispiel: „Ganzheit ist gut. Gebrochenheit ist schlecht.“ Meine Bewegung hin zum Ganzsein kommt durch das Erkennen, dass ich ein zerbrochener Mensch bin.
Hier ist die Authentizität keine strategische Haltung mehr, keine Kopfgeburt oder gewollte, zwanghafte Vorstellung. Hier ist das Ende von Bewertung und Gut-Schlecht-Urteilen. Hier ist das Erkennen, was ist und wer wir sind. In dieser ehrlichen Selbsterforschung und Selbstannahme ist die Energie enthalten, die Wachstum und Entwicklung ermöglicht. Jede Leugnung trennt uns von dieser Energie ab und macht uns tot.
Wir sind in unserem Grunde emotionale Wesen. Das Denken kann diesen Bereich nicht ergründen oder begreifen. Wir dürfen aber vertrauen, dass diese inneren Impulse uns nicht schaden oder in die Irre führen. Es ist nur so schwierig, diesen Impulsen zu folgen, weil es bedeutet, die Kontrolle aufzugeben. Wir können nicht immer zuverlässig wissen, was als nächstes passiert, was wir als nächstes tun bzw. wann wir es tun.
Richtiges Denken ist: Zunächst sind wir nur die Beobachter dieser Impulse, die aus unserer Tiefe aufsteigen und sich in einer Handlung manifestieren. Das Denken folgt diesen Manifestationen und ordnet sie im Verstehen. Das Denken sucht die Muster, Unterschiede, Identitäten und Ähnlichkeiten, um daraus Prognosen für die Zukunft zu erstellen. Logik ist das, was man aus Erfahrung erwartet. Das ist einfaches Denken. Philosophisches Denken im Unterschied dazu denkt sich selbst und erkennt die Muster im Denken. Dadurch wird es möglich, sich mittels Denken selbst vom Denken zu desidentifizieren.
Realer Lebensvollzug hingegen bedeutet, sich garnicht erst mit dem Denken zu identifizieren, sondern zu fühlen und der Energie zu folgen. Authentische Handlungen sind immer energetisch. Sie geben Energie. Sie stärken. Sie sind die Handlungen, die wir wirklich tun wollen. Sie sind die wirklich freien Handlungen, weil sie unserer aktualen und momentanen inneren Wahrheit entsprechen, wie immer die auch aussehen mag. Es gibt kein vorgegebenes Bild, keine Vorschrift, keine Regel. Alles ist vollständig individuell und original. Im Grunde ist es der göttliche Impuls oder der Lebensimpuls.
Authentizität bedeutet demzufolge, sich selbst zu erkennen und der zu sein, der ich bin. „Ich bin, der ich bin“, sagte die Stimme im Dornbusch zu Moses. Dies ist die radikale Selbstidentität. Diese ist jedoch keine monistische ununterschiedene Identität und auch keine geregelte, moralistische, sondern eine vielfältige, dialektische, zusammengesetzte Einheit. Diese Art der Einheit in der Verschiedenheit ist mit unserer weltliche Logik nicht zu denken, denn sie folgt nicht den materiellen Gesetzen von Raum und Zeit. Sie ist eine non-lokale und zeitlose Logik der Qualitäten, in der Einheit und Verschiedenheit gleichzeitig existieren.
Die Impulse manifestieren sich spontan aus unserem emotio-intuitiven Zentrum, aus unserem Herzen. Und das umso besser, je mehr wir die mentalen Panzerungen und Leugnungsstrategien abgebaut haben. Dieser Abbau ist die psycho-spirituelle Heilungs- und Genesungsarbeit, die notwendig ist, um unsere alten emotionalen Wunden zu heilen und den Fluss der emotionalen Energie wieder in Gang zu bringen. Diese Heilung muss emotional geschehen, um das Vertrauen in das Leben und die Liebe zu mir selbst wiederzufinden.
„Wir überprüften unser Leben und fanden heraus, wer wir wirklich sind. Wirklich demütig zu sein, bedeutet, uns zu akzeptieren und ehrlich zu versuchen, wir selbst zu sein. Wir sind weder vollkommen gut noch vollkommen schlecht. Wir sind Leute mit Stärken und Schwächen. Aber vor allen Dingen sind wir Menschen.“ (NA-Basictext, S. 45)
„Indem wir uns so annehmen, wie wir wirklich sind, erlangen wir die Freiheit, diejenigen zu werden, die wir sein möchten.“ (NA-Nur für heute, S. 284)

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Selbst

Ich bin, der ich bin

© Marianne Weiss

Wir sind deshalb nicht okay, wie wir sind, weil wir nicht die sind, die wir sind.

In den weltgeschichtlichen Daseinslagen der menschlichen Gemeinschaft wurde bisher die doppelte Reflexion des menschlichen Bewusstseins nicht richtig verstanden. Der Mensch ist ein Ich-Mich, oder ein Ich-Mir. Er kann sich selbst erkennen, sehen, beschreiben. Er kann sich selbst zum Objekt seiner Wahrnehmung, Erkenntnis und Handlung machen. Dies ist eine merkwürdige Sonderform, wenn das Subjekt zum Objekt wird. Wenn also das Objekt meiner Erkenntnis ich selbst bin.
Dieses Verhältnis von Subjekt und Objekt, das in eins fällt, wurde bisher nicht sauber verstanden. Erschwerend kommt hinzu, dass es nicht nur ein derartiges Subjekt gibt, sondern unzählige. Ich kann also auch das andere Subjekt, mein Gegen-Über, den anderen Unter-Worfenen (subjectum), als Subjekt-Objekt wahrnehmen, bzw. muss es, wenn ich in der Realität sein will.

Indem ich der bin, der ich bin, bin ich so, wie Gott mich geschaffen hat.

Es geht um die Auflösung des Widerspruchs von Fremdbestimmung und Selbstbestimmung, der aus der Multiplizität der Subjekte entspringt. Der Mensch hat die Fähigkeit, nicht sich zu sein, sondern statt dessen irgendeine Rolle zu spielen, die nicht authentisch ist. Ich kann nicht der sein, der ich bin, weil mir irgendwelche Leute suggeriert haben, dass ich so, wie ich bin, nicht okay bin. Ich bin nicht gut genug, ich soll so sein, wie diese Leute sich das vorstellen und es gerne hätten. Irgendwann in der frühen Geschichte der Menschheit fing das an, durch die Entstehung der Religionen und der Absonderung Einzelner aus dem Stammesverbund, um ihre Individualität zu suchen. Es war wohl eine zwangsläufige Entwicklung. Es geht nicht darum, wieder zum Stammesbewusstsein zurückzukehren, jedenfalls nicht undialektisch und folkloristisch. Das Ich entstand, das Subjekt erkannte sich selbst. Aber es merkte, dass es so, wie es ist, nicht richtig ist, weil es nicht der war, der es ist. Es entstand ja erst, und vorher war der Einzelne primär Teil des Kollektivs, auf Gedeih und Verderb der Sippe einverleibt. D.h. nur in der Sippe konnte der Einzelne gedeihen, und die Sippe konnte auch sein Verderben sein. Das Subjekt setzte sich ab, ans Ufer, heraus aus dem Strom des kollektiven Lebens, um zu meditieren und zu reflektieren (vgl. P. Sloterdijk: Du musst dein Leben ändern). Der Mensch war nicht mehr mimetischer Bestandteil des Ganzen, er war nicht mehr integral, er machte sich nicht mehr ähnlich, um im großen Fluss mitzufließen, sondern erkannte den Unterschied zwischen sich (Subjekt) und der Außenwelt (Objekt) (vlg. hierzu Walter Benjamin: über das mimetische Vermögen).
Aber hier setzte auch die Verwirrung ein. Er selbst war nun gleichzeitig Subjekt und Objekt. Und andere Subjekte außerhalb seiner selbst waren ebenfalls sowohl Subjekte als auch Objekte. Die allgemeine Tendenz ging deshalb in den letzten 2500 Jahren dahin, alles zu objektivieren, alles als Objekt zu sehen. Das war der Triumphzug der Wissenschaft, die ja per definitionem alles objektiviert. Der Widerspruch zwischen Subjekt und Objekt vertiefte sich. Die Subjekte wurden zu Objekten gemacht, zu Gegenständen, die ausbeutbar und beherrschbar waren. Man machte sich sogar selbst zum Objekt. Kurz: Das Subjekt war nicht sich selbst.
Von daher war die Anmutung: „wir sind nicht okay, so wie wir sind“ richtig. Aber nicht im einfachen Sinne, das meine Wahrheit nicht okay ist, sondern in dem Sinne, dass ich nicht in meiner Wahrheit war. Wir waren nicht die, die wir wirklich sind. Und das ist es, was den Drang zur Veränderung, zur Veredelung und zum „Aufstieg des Ich“ motivierte.
Das Schwierige an dem ganzen Sachverhalt ist, diese doppelte Reflexivität zu fühlen und zu verstehen: dieses Ich-Mich. Einfache Refexion ist das bewusste Wahrnehmen eines Objekts: „Das ist ein Tisch.“ Doppelte Reflexion ist die Selbstwahrnehmung: „Ich erkenne mich.“ Eines der dramatischsten Ich-Michs ist: „Ich bringe mich um.“ Eines der schönsten Ich-Michs ist „Ich spüre mich.“ Eines der schwierigsten: „Ich liebe mich.“
In diesem Sinn ist der Satz „Ich bin, der ich bin“ zu verstehen. Ein befreiter Mensch ist in der Lage, sich selbst zu sein. Es ist ein berühmter Satz. Er wurde von der Stimme im brennenden Dornbusch gesprochen, auf die Frage von Moses: „Wer bist du?“
Das ist der Auftrag nun, für das neue Zeitalter. Es geht nun für jeden Einzelnen darum, der zu sein, der er ist. Es geht um die ontologische Feststellung der unreduzierbaren Individualität jedes einzelnen Menschen (und jedes einzelnen Lebenwesens bis hin zum Käfer oder zur Flechte). Jeder Einzelne geht als unreduzierbare, nicht abstrahierbare oder generalisierbare Subjektivität, Individualität und Qualität in die Betrachtung ein (vgl. hierzu die wegweisende Arbeit von Gotthard Günther: Das Bewusstsein der Maschinen). Das ist die n-wertige Logik. Das ist qualitative Mathematik, denn „n“ ist in der Mathematik die Menge der natürlichen Zahlen.

Die schmerzhafteste Dynamik in dieser doppelten Subjektivität ist, sich von sich selbst abzuspalten. Etwas, mit dem wir anscheinend in unsere Subjektivität hineingeboren wurden. „Wir haben uns nicht. Deshalb werden wir erst.“ (Ernst Bloch) Wir sind immer schon von uns selbst entfremdet, den das Subjekt entstand aus einer Wegbewegung vom mimetischen Ganzen, aus einer schmerzhaften Erfahrung des Nicht-dazu-Gehörens. Das war der Preis, um uns selbst zu finden. Es war überhaupt kein Finden, denn das Ich existierte bis dahin nicht. Es war eine Geburt, also das Entstehen von etwas ganz Neuem. Und es ist heute noch für jeden Einzelnen eine Geburt. Die zweite Geburt nach der ersten, der physischen.

„Ich bin, der ich bin“ war über 2500 Jahre nur Gott möglich gewesen. Wir Menschen waren nicht die, die wir wirklich sind. Wir wussten nicht, wer wir waren. Der schmerzliche Widerspruch zwischen Subjekt und Gegen-Subjekt, zwischen Ich und Du – in der Grammatik vielsagend 1. und 2. Person Singular genannt – spannte sich auch noch auf ein anderes Subjekt aus: Gott. Auch hier herrscht Verunsicherung: Ist Gott ein Subjekt oder nicht? Und wenn ja: Ist er ein von mir verschiedenes Subjekt?

Das Erlösende und die Heilung vom Schmerz ist die Annahme und das Verständnis Gottes als unser Schöpfer. Der nagende Gedanke, getrennt zu sein und nicht okay zu sein, ist im Grunde dieses Nicht-ich-Sein. Der Widerspruch zwischen Subjekt und Gegen-Subjekt, zwischen Unterworfenem (subjectum) und Gegen-Über, ist nur auflösbar in der dritten Instanz, in dem gefühlten Verstehen, dass wir so, wie wir sind, von Gott gewollt sind.

„Die wirkliche Heilung beginnt damit, dass wir verstehen: Wenn uns unsere Höhere Macht so geschaffen hat, muss es okay sein, der Mensch zu sein, der wir sind.“ (NA-Meditation vom 28. Mai)

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