Berlin

Berlin Blog

Berliner Hauswand
12.08.2010
Gestern war Mittwoch, der zweite Tag in Berlin. Der Morgen war sehr schön. Auch heute morgen sitze ich wieder auf meinem Bett, am Fenster, mit Blick auf die Kirche. Es ist sonnig und warm. Von vorne, von der Straße, kommen Geräusche, vielleicht ein Müllauto, oder eine Kehrmaschine.
Den gestrigen Tag verbrachte ich mit Einrichten der Zimmer, Kochen und der Aktualisierung der Tattva-Website. Um fünf Uhr hatte ich eine Verabredung. Ein Freund, Torsten, der seit Januar in Berlin lebt, hatte sich auf meinen Facebook-Eintrag hin gemeldet.
Planufer
Es ist so erstaunlich, wie alles auf mich zu kommt. Ein Fülle an zwischenmenschlichen Kontakte hat sich bis jetzt schon ergeben. Bernhard Harrer, ein alter Freund aus dem Scientific and Medical Network, hat sich auch gemeldet. Ich hatte vor kurzem mit ihm Kontakt und ihm von meinem Berlin-Aufenthalt berichtet. Ich weiß garnicht mehr, wie wir in Kontakt kamen. Zufall? Normal haben wir fast keinen Kontakt. Er zieht morgen von Berlin weg, nach Niederösterreich. Er hat sich gestern gemeldet, damit wir uns nochmal treffen können. Ist doch erstaunlich, ich muss garnichts tun. Seine Freundin ist ein Fan der Tattva Viveka. Wir treffen uns heute Abend in der Ufa-Fabrik. Er zeigt mir das Projekt. Die Ufa-Fabrik, so erzählte er mir kurz am Telefon, ist ein altes Alternativprojekt, das ursprünglich von ca. 60 Leuten besetzt worden war. Heute leben noch etwa 20 Menschen von denen dort zusammen. Ansonsten gibt es dort allerlei alternative kulturelle Projekte. Ich werde es heute Abend erfahren.
Kanal in Kreuzberg
Zusammen mit Torsten bin ich dann abends ins 12-Schritte-Meeting in Kreuzberg, in der Lausitzer Straße. Mein erstes dieses Mal in Berlin. Und ich war erstaunt. Vor fast zwei Jahren war ich mal auf der Durchreise in Berlin in einem Meeting. Das war damals wunderschön gewesen und ich dachte schon die ganze Zeit, wenn ich doch nur wüsste, wo und wann das war. Es gibt 40 Meetings in der Woche in Berlin. Es erschien mir schwierig, jedes Meeting abzuklappern, um dieses spezielle zu finden. Und – Ihr werdet es schon ahnen – es war genau dieses Meeting. Und es war wieder genauso schön.
Graffiti
Ich teilte davon, wie mich der Wille meiner Höheren Macht nach Berlin geführt hat und wie alles so einfach und praktisch geht. „Wenn es nicht praktisch ist, dann ist es nicht spirituell“, steht im Basic-Text. Ich fühle mich wirklich geführt und beschützt. Ich würde mich ungern von einem Menschen führen lassen. Aber mit Gott ist das was anderes. Hier ist die wahre Führung an ihrem natürlichen Platz.ohne Worte
Es fügte sich zudem, dass ich neben einer sympatischen, attraktiven Frau saß, mit der ich vor dem Meeting schon in ein angenehmes Gespräch kam. Nach dem Meeting gingen wir dann noch einen Yogi-Tee beim nebenan liegenden indischen Restaurant trinken, zu dritt. Es zeigte sich, dass sie in der Werbebranche tätig ist, gelernte Schriftsetzerin, und nun für den Bereich Grafik und Gestaltung zuständig. Wir redeten über Design. Von ihr erscheint demnächst ein Buch über Druckvorstufe im Die Gestalten-Verlag. Sie sprach von der Werbebranche und die dort herrschende Verlogenheit. Sie will raus aus diesen Kreisen, etwas Soziales für aids-kranke Kinder tun. Sie ist selbst positiv.
in Kreuzberg
Ca. 22.30 Uhr verabschiedeten wir uns und ich ging mit Torsten zur U-Bahn Kottbusser Tor. Kurz vor der U-Bahn spürte ich, ich möchte noch nicht nach Hause fahren. Ich sagte zu Torsten, ich würde gerne noch etwas umherlaufen und fragte ihn, ob er auch möchte. Er entschied sich jedoch, heim zu fahren. Das war voll okay für mich und ich freute mich, noch etwas alleine durch die belebten Straßen zu schlendern. Es gab Zeiten, da wäre ich überhaupt nicht fähig gewesen, das zu kommunizieren, meine Bedürfnisse anzumelden. Ich wäre vermutlich mit in die U-Bahn getrottet und heimgefahren. Heute kann ich mich zeigen und meine Bedürfnisse und Wünsche kommunizieren und das tun, was mir gut tut. Torsten war es natürlich Jacke wie Hose, ob ich jetzt noch ein Stück in der U-Bahn mitfahre oder ob wir uns hier trennen. Ich bin nicht für sein Leben verantwortlich und er erwartet das auch nicht im geringsten von mir. Ich habe jedoch in meinem Leben ein co-abhängiges Muster ausgebildet, das es mir unter anderem schwer macht, eigenständig zu bleiben. Es gibt in mir so Verschmelzungstendenzen, die dazu führen, dass ich mich für den anderen zuständig glaube, mich nicht rechtzeitig lösen kann und dann Dinge tue, die ich nicht tun möchte – weil ich dann eh nicht weiß, was ich überhaupt tun möchte. Aber ich werde immer klarer damit und kann mittlerweile immer besser für mich sorgen. Spontan kann ich meine Bedürfnisse und Gefühle wahrnehmen und kommunizieren, ohne Angst und Scham. Das ist ein guter Schritt in Richtung Genesung.

Ich stand dann an der Kreuzung und blickte mich um. Es gab verschiedene Straßen, in die ich hätte gehen können. Überall waren Menschen und Lichter. Eine Straße hatte mich schon von Anfang an angezogen. Ich schritt hinein und entdeckte gleich am Anfang eine Art Gartenwirtschaft hinter einem Zaun auf einem unbebauten Grundstück. Das war natürlich keine „normale“ Gartenwirtschaft, sondern die Berliner Szeneausführung davon. Es ging irgendwie nach unten in eine Vertiefung, wie wenn da mal angefangen worden war, für einen Neubau die Erde auszuheben. Es waren recht große Dimensionen. In dieser Senke standen Stühle und Tische auf der einen Seite des hinunterführenden Weges und Liegestühle auf der anderen Seite. Die Menschen räkelten sich in den Liegestühlen. Es lief eine Musik im Hintergrund. Das Areal war schumerig beleuchtet. In der Mitte stand eine Hütte für den Ausschank. Der Abend war mild. Bäume und Büsche säumten das Gelände. Kleine Erdhügel und Unebenheiten machten daraus ein uriges Ambiente, wie ein Abenteuerspielplatz für Gesellige.

Ich ging wieder hinaus auf die Straße. Es war die Oranienstraße in Kreuzberg. Alles voller Menschen. Vor allem sehr junge. Eine Kneipe, ein Esslokal neben dem anderen. Gegenüber ein riesiges, edel ausstaffiertes indisches Restaurant. Nebeneinander Pizza, Falafel, Sushi, Vietnamesisch usw. Ab und zu ein Buchladen, Schaufenster mit Gegenwartskunst oder Nippesläden. Tische auf dem Gehsteig, Trauben von Menschen, Fahradfahrer in Mengen, flippige Leute, redend, lachend.

Ich sprach eine Frau an. Aber sie wollte alleine sein. Ok. Das Leben in der Straße faszinierte mich. Welche Fülle von Kultur und Kreativität. Manches reichlich schräg, viel Alk. Aber das lässt sich wohl nicht vermeiden. An einer Ecke roch es nach Dope. Diese Dinge kommen mir nun in Berlin näher als in dem Kleinstädtchen Bensheim. Das war mir vorher schon bewusst. Ich trinke nicht und vor allem nehme ich keine Drogen. Das habe ich lange genug getan. Nun bin ich clean und möchte es auch bleiben. Dope, Haschisch, war ja immer meine Lieblingssubstanz. Der Geruch törnte mich nicht an. Ich mag den Geruch, aber ich möchte nichts mehr nehmen. Ich habe das lange genug gemacht. Es gibt da nichts mehr zu holen.
Auf dem Weg nach Hause dann in der U-Bahn überall Menschen mit Bierflaschen in der Hand. Scheint hier sehr verbreitet zu sein. Ich war froh und müde, als ich nach Hause kam. Es war dann schon fast 0 Uhr. Die Beine waren schwer vom Rumlaufen. Berlin ist gigantisch. Das verführt dazu, sich zu übernehmen. Ich achte gut auf mich, damit ich mich nicht überfordere. Ich wahre meine eigenen Grenzen.
Ein wunderschöner, gelungener erster Tag in Berlin. Danke an meine Höhere Macht.

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Berlin

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Anfahrt auf Berlin

10.08.2010

So, jetzt bin ich in Berlin.
Gestern abend habe ich meine Sachen gepackt. Das Wichtigste aus dem Büro eingepackt und es war sehr erfrischend. Ich habe einiges weggeworfen. Das Wichtigste eingesammelt und das Büro sah danach richtig aufgeräumt aus. Leer, zenmäßig. Es war reinigend. Es war schon wie ein kleiner Umzug und ich spürte, wie das frischen Wind bringt. Ich sah mein Büro mit anderen Augen. Auch heute morgen zuhause. Eine neue Art von Bezug zu meinen Sachen. Zu den Büchern zum Beispiel. Bisher konnte ich das garnicht mehr so wertschätzen. Konnte die Dinge nicht wahrnehmen. Jetzt sah ich sie wieder und dachte, oh, das ist ja auch meins, könnte ich mir mal wieder anschauen, mal was damit machen. Eine Eroberung, eine Wiederinbesitznahme.
Heute morgen dann um 4.30h aufgestanden und um 6h schließlich on the road. Meine erste Rast in Kirchheim/Teck machte ich einen Waldspaziergang und ich war so voller Freude. Ich spürte meine Hände und konnte sie frei bewegen. Die Blockade war weg, die ich sonst eigentlich immer spüre. Es war wie: endlich packe ich es an, endlich greife ich zu. Ich nehme mein Leben in die Hand.
Jetzt bin ich schon in meiner neuen Wohnung. Es sind zwei schöne Zimmer, hell, sonnig. Draußen zwitschern die Vögel, Kinder reden und schreien, Autos, Stimmen, Pfiffe.

21:30h
Satt und zufrieden. War gerade in der Nähe in der Pizzeria. Sehr lecker. Meine Beine sind müde, da ich heute ca. 12 mal in den dritten Stock hochgelaufen bin, mit Umzugskartons. Jetzt ist so ziemlich alles oben. Das Zimmer ist schon weiter eingerichtet. Ich habe ein Bett von Jutta bekommen. Wohnlich ist es noch nicht. Ich bin etwas unsicher, da ich schon so lange alleine wohne und jetzt nach 12 Jahren zum ersten Mal wieder mit jemand zusammen. Der erste Abend verbringen ich alleine, da Jutta heute Abend eine Verabredung hat. Aber es ist schön so. Ich komme langsam an. ich bin froh, dass ich mich heute nicht schon in das Stadtgetümmel stürze. Das ist schon unheimlich. Jetzt ist es dunkel und es sind so viele fremde Menschen auf der Straße. Viele junge Ausländer hier, es ist ein stark ausländisch, vor allem türkisch geprägtes Stadtviertel, der Wedding. So viele fremde Menschen, auch heute nachmittag im Supermarkt. Alle möglichen Nationalitäten, schrille Leute, keine braven Bürger.
Ich war ich gerade im 12-Schritte-Online-Meeting. Habe gerade geteilt. Hätte ich aufnehmen sollen. Eine Zusammenfassung: ich lerne, gut für mich zu sorgen und aus meinem Inneren heraus zu leben. ich mache das mit Berlin nicht für jemanden oder wegen jemanden. Ich lebe mit mir und tue das aus meinem Inneren heraus. Ich glaube auch, dass das der Wille meiner höheren Macht ist. Alles geht so einfach und ist so praktisch. Es ist hier wie ein kleines Paradies. Jana hat alles mögliche da, was ich brauche. ich habe das Bett bekommen, und sie hat Regale, Tischlein, Decken, einen kleinen Papierkorb. WLAN und Waschmaschine ist am Start.
Je mehr ich mich Gott hingebe, um so mehr komme ich zu mir.

Mehr Bilder kann man hier auf Facebook anschauen

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Authentizität, Selbst

Authentizität


Zwang: Es kann sein, dass ich zwanghaft etwas tun muss und tatsächlich „denke“, ich „will“ das tun. Zum Beispiel habe ich einen zwanghaften Perfektionismus und habe mir in den Kopf gesetzt, eine bestimmte Arbeit perfekt zu machen. Ich habe dann den Zwang, die Sache nochmal und nochmal durchzuarbeiten, um sie zu verbessern. Der Zwang kommt aus einer emotionalen Ebene. Die Handlung zwingt sich auf, sie manifestiert sich zwanghaft. Ich kann das wahrnehmen und bemerken, dass ich wie unter Zwang handeln muss. Das wäre der neurotische Zustand. Der Neurotiker leidet unter seinen Handlungen, wobei er sich dieses Leidens bewusst ist, aber keinen Weg findet, sein Verhalten zu ändern. Der Neurotiker hat die Wahrnehmung: „Ich muss das tun, gegen meinen Willen oder besseres Wissen.“
Wenn ich in einem Zwang handle und dabei denke, ich will das tun, dann ist das ein fortgeschritteneres Stadium der psychischen Fehlstellung. Wenn ich zwar das zwanghafte Verhalten habe, mir diese zwanghafte Verhaltensweise aber nicht erkennbar ist und ich tatsächlich denke, dass ich diese Handlung tun will, nennt man das in der Psychologie Persönlichkeitsstörung. Der kranke Mensch hat sich so mit dem Verhaltensfehler identifiziert, dass er glaubt, das sei sein freier Wille.
Die Gehirnforschung hat darauf hingewiesen, dass Handlungspotentiale im Gehirn früher ausgelöst werden als die Großhirnrinde, der Sitz des bewussten Willens, die bewusste Entscheidung trifft. Gleichwohl ist der Mensch der Meinung, er habe die Handlung aus freiem Willen ausgeführt, was eine Selbsttäuschung ist. Die Wissenschaft leitet aus diesem Umstand den Schluss ab, dass der Mensch keinen freien Willen hat und stattdessen determiniert ist. Tatsächlich jedoch werden die Handlungen des Menschen aus dem emotional-intuitiven Bereich gesteuert, wie fortgeschrittene Hirnforschungen bereits zeigen.
In diesem Bereich des Fühlens ist der Platz der Authentizität. Es ist das Fühlen, welches diese Entscheidungshoheit hat, nicht das Denken. Da wir im Westen uns jedoch extrem stark mit dem Denken identifizieren und da auch unseren freien Willen verorten, der dann auf Willkür, Freiheit oder im idealsten Falle auf Vernunft beruht, können wir den eigentlichen wahren Zusammenhang nicht sehen und sind demzufolge auch von unserer Authentizität abgeschnitten. Stattdessen bewegen wir uns in einem strategischen Selbst.
Als ich heute Morgen unter der Dusche stand, hatte ich nicht das Bedürfnis, laut zu singen. Ich hatte das die letzten Tage gemacht und dabei gespürt, dass es mir Energie gibt. Aber wenn ich es heute Morgen getan hätte, wäre es nur eine strategische Handlung gewesen, um mehr Energie zu bekommen. Tatsächlich fühlte ich, dass es heute nicht dran ist und so habe ich es gelassen. Dies ist nur ein kleines Beispiel. Authentizität reicht in der Folge weiter bis in eine konsequente Selbsterforschung.
Es entstehen Handlungsimpulse aus unserem inneren Wesenskern, diese manifestieren sich, wenn wir nicht strategisch-mental gesteuert sind. Das Denken schnappt sich diese Impulse und eignet sie sich an, indem es sich mit ihnen identifiziert. Dies geschieht innerhalb von Bruchteilen von Sekunden und es erweckt den Anschein: „Ich habe das gewollt.“ Das Ich-Zentrum ist eine Funktion, die immer darauf hinausläuft, aus dem, was vorhanden ist, eine Identität zu bilden. Es werden gleichsam Phänomene eingesammelt, angeeignet und als Ich deklariert. Es ist eine synthetisierende Kraft. Dieses Ich eignet sich die Handlung an und proklamiert sie als freien Willen.
Tatsächlich gibt es Freiheit und Wille, jedoch nicht als strategische. Sie gehören genuin ganz und gar dem Bereich des authentischen Selbst an.
Um zu diesem authentischen Selbst zu gelangen, ist es notwendig, sehr ehrlich mit sich und mit anderen zu sein. Zum Beispiel: Will ich jetzt beten? Oder will ich Wasser trinken?
Es geht erstmal um das Erkennen, was ist. Viele Leute sagen: „Ich bin authentisch, wenn ich ganz bin. In meiner Ganzheit bin ich authentisch.“ Aber das ist Ideologie. Wenn ich tatsächlich ganz bin, bin ich in dieser Ganzheit authentisch. Aber wenn ich gebrochen bin, bin ich in dieser Gebrochenheit authentisch. Die Energie zum Wachstum erwächst aus dieser Authentizität. Es ist egal, ob das gut oder schlecht in irgendeinem Glaubenssystem ist. Ein Glaubenssystem wäre zum Beispiel: „Ganzheit ist gut. Gebrochenheit ist schlecht.“ Meine Bewegung hin zum Ganzsein kommt durch das Erkennen, dass ich ein zerbrochener Mensch bin.
Hier ist die Authentizität keine strategische Haltung mehr, keine Kopfgeburt oder gewollte, zwanghafte Vorstellung. Hier ist das Ende von Bewertung und Gut-Schlecht-Urteilen. Hier ist das Erkennen, was ist und wer wir sind. In dieser ehrlichen Selbsterforschung und Selbstannahme ist die Energie enthalten, die Wachstum und Entwicklung ermöglicht. Jede Leugnung trennt uns von dieser Energie ab und macht uns tot.
Wir sind in unserem Grunde emotionale Wesen. Das Denken kann diesen Bereich nicht ergründen oder begreifen. Wir dürfen aber vertrauen, dass diese inneren Impulse uns nicht schaden oder in die Irre führen. Es ist nur so schwierig, diesen Impulsen zu folgen, weil es bedeutet, die Kontrolle aufzugeben. Wir können nicht immer zuverlässig wissen, was als nächstes passiert, was wir als nächstes tun bzw. wann wir es tun.
Richtiges Denken ist: Zunächst sind wir nur die Beobachter dieser Impulse, die aus unserer Tiefe aufsteigen und sich in einer Handlung manifestieren. Das Denken folgt diesen Manifestationen und ordnet sie im Verstehen. Das Denken sucht die Muster, Unterschiede, Identitäten und Ähnlichkeiten, um daraus Prognosen für die Zukunft zu erstellen. Logik ist das, was man aus Erfahrung erwartet. Das ist einfaches Denken. Philosophisches Denken im Unterschied dazu denkt sich selbst und erkennt die Muster im Denken. Dadurch wird es möglich, sich mittels Denken selbst vom Denken zu desidentifizieren.
Realer Lebensvollzug hingegen bedeutet, sich garnicht erst mit dem Denken zu identifizieren, sondern zu fühlen und der Energie zu folgen. Authentische Handlungen sind immer energetisch. Sie geben Energie. Sie stärken. Sie sind die Handlungen, die wir wirklich tun wollen. Sie sind die wirklich freien Handlungen, weil sie unserer aktualen und momentanen inneren Wahrheit entsprechen, wie immer die auch aussehen mag. Es gibt kein vorgegebenes Bild, keine Vorschrift, keine Regel. Alles ist vollständig individuell und original. Im Grunde ist es der göttliche Impuls oder der Lebensimpuls.
Authentizität bedeutet demzufolge, sich selbst zu erkennen und der zu sein, der ich bin. „Ich bin, der ich bin“, sagte die Stimme im Dornbusch zu Moses. Dies ist die radikale Selbstidentität. Diese ist jedoch keine monistische ununterschiedene Identität und auch keine geregelte, moralistische, sondern eine vielfältige, dialektische, zusammengesetzte Einheit. Diese Art der Einheit in der Verschiedenheit ist mit unserer weltliche Logik nicht zu denken, denn sie folgt nicht den materiellen Gesetzen von Raum und Zeit. Sie ist eine non-lokale und zeitlose Logik der Qualitäten, in der Einheit und Verschiedenheit gleichzeitig existieren.
Die Impulse manifestieren sich spontan aus unserem emotio-intuitiven Zentrum, aus unserem Herzen. Und das umso besser, je mehr wir die mentalen Panzerungen und Leugnungsstrategien abgebaut haben. Dieser Abbau ist die psycho-spirituelle Heilungs- und Genesungsarbeit, die notwendig ist, um unsere alten emotionalen Wunden zu heilen und den Fluss der emotionalen Energie wieder in Gang zu bringen. Diese Heilung muss emotional geschehen, um das Vertrauen in das Leben und die Liebe zu mir selbst wiederzufinden.
„Wir überprüften unser Leben und fanden heraus, wer wir wirklich sind. Wirklich demütig zu sein, bedeutet, uns zu akzeptieren und ehrlich zu versuchen, wir selbst zu sein. Wir sind weder vollkommen gut noch vollkommen schlecht. Wir sind Leute mit Stärken und Schwächen. Aber vor allen Dingen sind wir Menschen.“ (NA-Basictext, S. 45)
„Indem wir uns so annehmen, wie wir wirklich sind, erlangen wir die Freiheit, diejenigen zu werden, die wir sein möchten.“ (NA-Nur für heute, S. 284)

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Selbst

Ich bin, der ich bin

© Marianne Weiss

Wir sind deshalb nicht okay, wie wir sind, weil wir nicht die sind, die wir sind.

In den weltgeschichtlichen Daseinslagen der menschlichen Gemeinschaft wurde bisher die doppelte Reflexion des menschlichen Bewusstseins nicht richtig verstanden. Der Mensch ist ein Ich-Mich, oder ein Ich-Mir. Er kann sich selbst erkennen, sehen, beschreiben. Er kann sich selbst zum Objekt seiner Wahrnehmung, Erkenntnis und Handlung machen. Dies ist eine merkwürdige Sonderform, wenn das Subjekt zum Objekt wird. Wenn also das Objekt meiner Erkenntnis ich selbst bin.
Dieses Verhältnis von Subjekt und Objekt, das in eins fällt, wurde bisher nicht sauber verstanden. Erschwerend kommt hinzu, dass es nicht nur ein derartiges Subjekt gibt, sondern unzählige. Ich kann also auch das andere Subjekt, mein Gegen-Über, den anderen Unter-Worfenen (subjectum), als Subjekt-Objekt wahrnehmen, bzw. muss es, wenn ich in der Realität sein will.

Indem ich der bin, der ich bin, bin ich so, wie Gott mich geschaffen hat.

Es geht um die Auflösung des Widerspruchs von Fremdbestimmung und Selbstbestimmung, der aus der Multiplizität der Subjekte entspringt. Der Mensch hat die Fähigkeit, nicht sich zu sein, sondern statt dessen irgendeine Rolle zu spielen, die nicht authentisch ist. Ich kann nicht der sein, der ich bin, weil mir irgendwelche Leute suggeriert haben, dass ich so, wie ich bin, nicht okay bin. Ich bin nicht gut genug, ich soll so sein, wie diese Leute sich das vorstellen und es gerne hätten. Irgendwann in der frühen Geschichte der Menschheit fing das an, durch die Entstehung der Religionen und der Absonderung Einzelner aus dem Stammesverbund, um ihre Individualität zu suchen. Es war wohl eine zwangsläufige Entwicklung. Es geht nicht darum, wieder zum Stammesbewusstsein zurückzukehren, jedenfalls nicht undialektisch und folkloristisch. Das Ich entstand, das Subjekt erkannte sich selbst. Aber es merkte, dass es so, wie es ist, nicht richtig ist, weil es nicht der war, der es ist. Es entstand ja erst, und vorher war der Einzelne primär Teil des Kollektivs, auf Gedeih und Verderb der Sippe einverleibt. D.h. nur in der Sippe konnte der Einzelne gedeihen, und die Sippe konnte auch sein Verderben sein. Das Subjekt setzte sich ab, ans Ufer, heraus aus dem Strom des kollektiven Lebens, um zu meditieren und zu reflektieren (vgl. P. Sloterdijk: Du musst dein Leben ändern). Der Mensch war nicht mehr mimetischer Bestandteil des Ganzen, er war nicht mehr integral, er machte sich nicht mehr ähnlich, um im großen Fluss mitzufließen, sondern erkannte den Unterschied zwischen sich (Subjekt) und der Außenwelt (Objekt) (vlg. hierzu Walter Benjamin: über das mimetische Vermögen).
Aber hier setzte auch die Verwirrung ein. Er selbst war nun gleichzeitig Subjekt und Objekt. Und andere Subjekte außerhalb seiner selbst waren ebenfalls sowohl Subjekte als auch Objekte. Die allgemeine Tendenz ging deshalb in den letzten 2500 Jahren dahin, alles zu objektivieren, alles als Objekt zu sehen. Das war der Triumphzug der Wissenschaft, die ja per definitionem alles objektiviert. Der Widerspruch zwischen Subjekt und Objekt vertiefte sich. Die Subjekte wurden zu Objekten gemacht, zu Gegenständen, die ausbeutbar und beherrschbar waren. Man machte sich sogar selbst zum Objekt. Kurz: Das Subjekt war nicht sich selbst.
Von daher war die Anmutung: „wir sind nicht okay, so wie wir sind“ richtig. Aber nicht im einfachen Sinne, das meine Wahrheit nicht okay ist, sondern in dem Sinne, dass ich nicht in meiner Wahrheit war. Wir waren nicht die, die wir wirklich sind. Und das ist es, was den Drang zur Veränderung, zur Veredelung und zum „Aufstieg des Ich“ motivierte.
Das Schwierige an dem ganzen Sachverhalt ist, diese doppelte Reflexivität zu fühlen und zu verstehen: dieses Ich-Mich. Einfache Refexion ist das bewusste Wahrnehmen eines Objekts: „Das ist ein Tisch.“ Doppelte Reflexion ist die Selbstwahrnehmung: „Ich erkenne mich.“ Eines der dramatischsten Ich-Michs ist: „Ich bringe mich um.“ Eines der schönsten Ich-Michs ist „Ich spüre mich.“ Eines der schwierigsten: „Ich liebe mich.“
In diesem Sinn ist der Satz „Ich bin, der ich bin“ zu verstehen. Ein befreiter Mensch ist in der Lage, sich selbst zu sein. Es ist ein berühmter Satz. Er wurde von der Stimme im brennenden Dornbusch gesprochen, auf die Frage von Moses: „Wer bist du?“
Das ist der Auftrag nun, für das neue Zeitalter. Es geht nun für jeden Einzelnen darum, der zu sein, der er ist. Es geht um die ontologische Feststellung der unreduzierbaren Individualität jedes einzelnen Menschen (und jedes einzelnen Lebenwesens bis hin zum Käfer oder zur Flechte). Jeder Einzelne geht als unreduzierbare, nicht abstrahierbare oder generalisierbare Subjektivität, Individualität und Qualität in die Betrachtung ein (vgl. hierzu die wegweisende Arbeit von Gotthard Günther: Das Bewusstsein der Maschinen). Das ist die n-wertige Logik. Das ist qualitative Mathematik, denn „n“ ist in der Mathematik die Menge der natürlichen Zahlen.

Die schmerzhafteste Dynamik in dieser doppelten Subjektivität ist, sich von sich selbst abzuspalten. Etwas, mit dem wir anscheinend in unsere Subjektivität hineingeboren wurden. „Wir haben uns nicht. Deshalb werden wir erst.“ (Ernst Bloch) Wir sind immer schon von uns selbst entfremdet, den das Subjekt entstand aus einer Wegbewegung vom mimetischen Ganzen, aus einer schmerzhaften Erfahrung des Nicht-dazu-Gehörens. Das war der Preis, um uns selbst zu finden. Es war überhaupt kein Finden, denn das Ich existierte bis dahin nicht. Es war eine Geburt, also das Entstehen von etwas ganz Neuem. Und es ist heute noch für jeden Einzelnen eine Geburt. Die zweite Geburt nach der ersten, der physischen.

„Ich bin, der ich bin“ war über 2500 Jahre nur Gott möglich gewesen. Wir Menschen waren nicht die, die wir wirklich sind. Wir wussten nicht, wer wir waren. Der schmerzliche Widerspruch zwischen Subjekt und Gegen-Subjekt, zwischen Ich und Du – in der Grammatik vielsagend 1. und 2. Person Singular genannt – spannte sich auch noch auf ein anderes Subjekt aus: Gott. Auch hier herrscht Verunsicherung: Ist Gott ein Subjekt oder nicht? Und wenn ja: Ist er ein von mir verschiedenes Subjekt?

Das Erlösende und die Heilung vom Schmerz ist die Annahme und das Verständnis Gottes als unser Schöpfer. Der nagende Gedanke, getrennt zu sein und nicht okay zu sein, ist im Grunde dieses Nicht-ich-Sein. Der Widerspruch zwischen Subjekt und Gegen-Subjekt, zwischen Unterworfenem (subjectum) und Gegen-Über, ist nur auflösbar in der dritten Instanz, in dem gefühlten Verstehen, dass wir so, wie wir sind, von Gott gewollt sind.

„Die wirkliche Heilung beginnt damit, dass wir verstehen: Wenn uns unsere Höhere Macht so geschaffen hat, muss es okay sein, der Mensch zu sein, der wir sind.“ (NA-Meditation vom 28. Mai)

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Selbst

Vom Umgang mit innerer Leere

Geborgen in sich selbstInnere Leere ist ein unangenehmer Zustand. Es ist ein diffuses Gefühl des Leids, der Qual. Etwas, dass man am liebsten nicht haben möchte. Wir haben die Tendenz, in dieses Loch im Innern etwas hineinzustopfen, um es nicht mehr spüren zu müssen. Wir werfen Drogenmüll, Sexmüll, Kaufmüll, süchtiges Arbeiten, Fernsehmüll, kranke Beziehungen und anderes hinein, um das Loch von außen zu füllen.
Das führt zur Sucht und zur Krankheit.
Es geht darum, die Leere auszuhalten. Die Leere setzt sich aus Gefühlen zusammen, vor allem Schmerz und Angst. Wenn wir die Leere aushalten und annehmen, kann sie sich von innen unten füllen. Dann beginnt von innen unten etwas aufzusteigen, das wir selbst sind.
Schmerz und Angst sind wie kleine Kinder, die wir abgespalten haben. Stell dir vor, ein kleine Kind hängt an deinem Rockzipfel und zerrt an dir herum: „Papa, Papa, ich will dir was sagen.“ Aber du machst dich nur weg, mit Hektik, Vergnügungen, Stress, Drogen, Alkohol, Besessenheiten, Ablenkungen. Du willst das Kind nicht sehen und hören. Aber das Kind schreit immer lauter und zerrt immer mehr an dir.
Es geht darum, sich dem Kind zuzuwenden, es anzunehmen und zu hören, was es dir zu sagen hat. Es will dir den Schmerz zeigen und in dem Moment, wo du das Kind liebevoll auf den Arm nimmst und zuhörst und es anschaust, kannst du den Schmerz mitfühlen. Fühle den Schmerz, weine mit dem Kind. Es ist Dein inneres Kind. Das bist du. Du hast Teile von dir abgespalten, die dir nun fehlen und die einen Schmerz bedeuten. Durch Annahme integrierst du diese fehlenden Teile, du integrierst dich selbst. Du wirst wieder ganz.
Jeder Schmerz, der einmal gefühlt wurde, kommt nicht wieder. Er ist geheilt. So gehen wir Schritt für Schritt voran. In kleinen Häppchen kommt der abgespaltene Schmerz hoch, wir wenden uns diesem verlassenen und vernachlässigten Kind zu, nehmen es in den Arm und fühlen mit ihm. So wachsen wir jedesmal, wenn wir die Leere, den Schmerz, die Angst aushalten und nicht wegmachen. Danach kommt ein innerer Friede, eine Gelassenheit, ein stilles, einfaches inneres Glück.
Den Schmerz wahrzunehmen bedeutet aufzuwachen, wach zu sein. Den Schmerz wegzudrücken bedeutet betäubt und ohnmächtig zu sein.
Die innere Leere füllt sich, mit uns. Die innere Wertlosigkeit verschwindet, wir finden unseren Eigenwert und unsere Eigenliebe. Die abgespaltenen Anteile von uns selbst werden wieder ein Teil von uns, wenn wir sie nicht ablehnen und abwehren. Solange wir sie ablehnen, lehnen wir uns selbst ab. Daraus entstehen diese Eigenwertlosigkeit und der Selbsthass.
In der Annahme des Schmerzes liegt die Annahme von uns selbst. Hier ist das spirituelle Erwachen. Wir werden zu starken, freien und unabhängigen Menschen. Wir fühlen uns mit uns selbst wohl. Wir können uns selbst Geborgenheit und Freude geben. Wir lernen, was uns gut tut und wie wir es bekommen. Wir lernen zu unterscheiden und zu entscheiden. Wir lernen anzunehmen und uns abzugrenzen. Wir sind bei uns.

05.08.2012: Liebe Leute, es gibt ein neu erschienenes Buch von mir, wo Ihr ganz viel darüber lesen könnt, wie man die Innere Leere von innen füllen kann, was die Psyche ist, wo man Hilfe bekommt, wie man mit den Gefühlen von Schmerz, Angst und Wut umgeht, und wie man gesund werden kann. Auf meiner neuen Seite könnt Ihr Euch informieren: http://www.burnout-und-sucht.de.

Ich empfehle Euch hier im Blog auch das: http://ronaldengert.com/2011/12/09/eine-reise-in-das-gefuhl

 

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Selbst, Spirituelle Kultur

Annahme und bei mir ankommen


Kurzbeschreibung:
In der Annahme der ungeliebten Gefühle wie Schmerz, Angst und Wut kommen wir in den Heilungsprozess. Die Vermeidung von Schmerz durch äußere Mittel ist nur zeitweilig und erzeugt weitere Konflikte. Die Lösung liegt im Innen, in unserem emotionalen und spirituellen Selbst. In der Annahme des Schmerzes erkennen wir, dass er ein Teil unseres Selbst ist. In der Ablehnung des Schmerzes verursachen wir Abspaltungen von Teilen unseres Selbst.

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»Die Seele ruht in sich, alles ist gut, es gibt nichts zu tun.«

Diese Erfahrung hatte ich mal in einer Meditation.

In der Bhagavad-gita steht: »Die Seele tut nichts und wird auch nicht verstrickt.«
Mit dem Tun ist das Tun im Außen gemeint.

Meine Meditationserfahrung hatte ich in einer konkreten meditativen Übung, die darin bestand, auf dem Sofa zu liegen und mich nicht zu bewegen, egal, was mich dazu verleiten könnten, ein Zwicken, Jucken, Wimpernschlag o.ä.

Nach etwa 30 Minuten der völligen Bewegungslosigkeit kam ich in diesen Zustand. Ich ruhte in mir. Es war wunderschön und es hätte ewig so weitergehen können. Es gab nichts mehr im Außen, was ich hätte haben wollen, keine Bewegung, keinen Stoff, kein Geld, kein Kaufen, keinen Ruhm oder Ehre, niemanden, der mir die Füße küsst oder mich schlägt, keinen Sex oder Zuwendung. Alles war gut. Es gab nichts zu tun. Es war nichts zu tun. Einfach sein.

Wir haben so ein Zentrum in uns, einen Ort, eine Kraft. DAS sind wir selbst. Und dieses Selbst ist der Ursprung des unbedingten und zeitlosen Glücks. Ja, ich kann es kaum glauben. Da ist was in mir, dass einfach glücklich und erfüllt ist. Manche nennen es auch Liebe, denn es ist eine Art Liebe. Aber es ist auch Frieden, Einfach Sein, Fülle, Glück, Stille. Tatsächlich, das gibt es. Und man kann es auch außerhalb der Medition erleben. Sehr wahrscheinlich sogar dauerhaft in jeder Faser des Lebens.

Wie komme ich da hin?

Meine Erfahrung:
Indem ich den Schmerz aushalte, vor allem den seelischen Schmerz. Ich habe Schmerz, natürlich. Irgendwo und irgendwann wurde ich verletzt. Als kleines Kind schon, vielleicht schon Jahre vor meiner Geburt, wenn sich Schicksalsschläge bei meinen Eltern in ihren Gefühlen festsetzten und ihr Leben, ihre Einstellung und Herangehensweise prägten. Dieser Schmerz gehört zu mir, er ist ein Teil von mir. Indem ich ihn annehme, d.h. zulasse und umarme, kann ich diesen Teil von mir annehmen, also mich selbst annehmen. Dann geschieht eine Bewältigung dieser Schmerzen, ein Verarbeiten, das im Innern stattfindet. Und das macht mich ganz.

Wir versuchen aber immer, den Schmerz zu beseitigen, indem wir im Außen eine Befriedigung suchen. Zum Beispiel haben wir die Erfahrung gemacht: Immer dann, wenn ich Alkohol trinke, geht der Schmerz weg und ich fühle mich besser. Toll. Aber wenn die Wirkung des Alkohols nachlässt, ist der Schmerz wieder da. Zusammen mit den Gefühlen von Scham und Schuld, weil ich mir mit dem Alkohol noch zusätzlichen Schmerz zugefügt habe. Denn die Seele weiß, dass ich mir da körperlich Schaden zufüge, dass ich mich emotional betrüge, indem ich meine Gefühle durch die psychoaktive Substanz verändere, dass ich mich spirituell schädige, weil ich einen Teil von mir, meinen Schmerz, abspalte. Und ich verarsche mich, was meine Handlungsfähigkeit betrifft, weil ich den falschen Bewältigungsmechanismus verwende, der das Problem nicht löst, sondern verdrängt, verleugnet, verschiebt.

Der Alkohol, bzw. die Sucht im allgemeinen (seien es Alkohol, Drogen, Sex, Essen, Fernsehen, Lesen, Kaufen, Arbeiten, zu schnell fahren, Sprüche klopfen oder, oder, oder) ist zunächst ein Bewältigungsmechanismus für den Konflikt erster Ordnung. „Wenn ich das tue, geht es mir besser. Ich spüre den Schmerz nicht mehr so stark.“ Da der Alkohol/die Sucht jedoch eigene Probleme sozialer, körperlicher und psychischer Art mit sich bringt, wird er/sie zu einen weiteren Konflikt, dem Konflikt zweiter Ordnung. Beide Konflikte interferieren und potenzieren sich. Dadurch wird die Lage nur noch verzwickter.

Die Lösung im Außen ist keine Lösung. Es ist nicht möglich. Die Lösung liegt im Innen. In diesem inneren Kern, der emotional und spirituell ist. Natürlich können wir dann wieder im Außen agieren und gesellschaftlich erfolgreich sein. Unser größtes Bedürfnis ist jedoch, an diesen inneren Ort zu kommen.

Indem ich den Schmerz annehme und aushalte, wachse ich. Ich lehne mich selbst ab, indem ich den Schmerz ablehne. Indem ich den Schmerz annehme, werde ich integrierter und ganzer. Ich komme zu der Lösung im Innen.
Die Schmerzen vergehen auch wieder. Früher war in mir nur Panik, wenn ich Schmerzen hatte. Ich wollte sie so schnell wie möglich wieder loswerden. Und ich lebte in dem Gedanken: „Schmerz ist schlecht, das darf nicht sein. Schmerz ist Schwäche, Schmerz ist Versagen. Mir muss es immer gut gehen. Wenn ich nicht gut drauf bin, bin ich ein Versager. Wenn ich gut drauf bin, bin ich ein Gewinner.“ Diese Gedanken und mentalen Einstellungen erzeugten Panik in mir, wenn Schmerz auftauchte.
Heute ist da noch eine Stimme in meinem Kopf, die sagt: „Auch wenn es mir jetzt beschissen geht – es geht vorbei. Dieser Schmerz ist heute. Aber morgen ist ein anderer Tag und es wird ein anderes Gefühl geben. Es wird Heilung und Wachstum geben. Dieser Schmerz bin ich.“ Denn das ist meine neue Erfahrung: Indem ich den Schmerz annehme und hindurchgehe, komme ich daraus gestärkt und geheilt hervor. Ich fühle mich danach mehr bei mir, integrierter, mehr in meiner Kraft.

Ich denke, viele Abspaltungen von uns selbst beruhen auf diesen abgelehnten Gefühlen von Schmerz, sowie von Angst und Wut. Unsere Abspaltungen durch Außenmittel zu kitten, verschlimmert die Wunde. (Wobei zu diesen Außenmitteln sogar schon die Gedanken zählen können!) Indem wir aber furchtlos unsere ungeliebten Kinder annehmen (die abgelehnten Gefühle) und ihre Kostbarkeit erkennen, können wir wieder ganz werden und heilen. Wir erkennen, dass wir berechtigt sind, diese Gefühle zu haben. Sie sagen uns, was wir brauchen, was uns gut tut und was uns nicht gut tut. Indem wir diese Gefühle annehmen, kommen wir automatisch an diesen inneren Kern unserer Liebe und unseres unbedingten, ewigen Glücks (Frieden, Da-Sein).
Der Schmerz ist mein Reichtum. Das habe ich erfahren, als ich mich meinem Schmerz stellte und ihn annahm. Ich lag weinend und gekrümmt auf dem Boden, schwach und geschlagen. Aber ich erstand wieder auf, ohne dass dies ein Akt des Willens war. Etwas wurde ganz und ein Frieden kehrte ein, den ich vorher nicht kannte. ES heilte. Dies vollzieht sich in Schritten, denn der Schmerz ist meist zu groß, um auf einmal bewältigt werden zu können. So wachsen wir von mal zu mal mehr und werden zu dem, der wir wirklich sind. Wir kommen zu uns. Zu-sich-Kommen heißt: bei sich ankommen; aber auch: aus der Ohnmacht erwachen. DAS ist das spirituelle Erwachen.

Viele religiöse und spirituelle Traditionen haben die Emotionen verteufelt oder unbeachtet gelassen. Sie gelten oftmals nicht viel oder werden als Quelle des Leids verstanden. Die angebotene Lösung ist, diese Gefühle loszuwerden. Wie oben gezeigt, ist dies die falsche Lösung.

Gleichwohl ist die Lösung spirituell. Diese Lösung im Innen hat viel mit Gott zu tun, wie ihn jeder für sich versteht.

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