Berlin, Liebe

Berlin Blog

16.08.2010

Gestern Abend erlebte ich den „pain of regainment“, den Schmerz, der aus dem Wiederfinden einer verlorenen Freude und Lebendigkeit hervorgeht, wenn einem bewusst wird, wie lange man diese Freude nicht gehabt hat.
Ich war zufällig in einem Salsa-Club im Prenzlauer Berg gelandet. Zuvor hatte ich mir den neuen Film „8. Wonderland“ in der Kulturbrauerei angeschaut (dazu später evtl. mehr). Nach dem Film hörte ich in der Nähe Musik und ging hin.
Es waren dort viele Menschen, drinnen und draußen. Der Abend war mild. Es gab eine Terasse, wo Menschen auf Salsa-Musik tanzten. Der Eingang in das Lokal war offen und einladend. Keine Tür, keine Gesichtskontrolle. Ich ließ mich reintragen und landete an einer Tanzfläche drinnen.
Zunächst fand ich das alles etwas befremdend. Es roch etwas süßlich nach Raumdeo. Es war recht warm. Der Raum war voll mit tanzenden Menschen, jedoch nicht so voll, dass es ein Gedränge war. Sie tanzten Salsa, d.h. sie tanzten in Paaren. Die Beleuchtung war recht gut. Die Menschen waren vom Alter her etwa zwischen 30 und 50. Es gab einige Latinos, machen Leute waren etwas schicker gekleidet, andere schlicht oder lässig, immer jedoch geschmackvoll und lebensfreudig. Es waren schöne Menschen. Schöne Frauen und schöne Männer.
Und das faszinierte mich zunehmend, je länger ich den fröhlich und virtuos tanzenden Paaren zuschaute. Da waren richtige Frauen! Frauen, die ihre Weiblichkeit hervorbrachten und zeigten, Frauen, die gerne mit Männern zu tun hatten.
Jahrelang hatte ich solche Frauen nicht mehr gesehen. Das ist wirklich so. Ich bewege mich in alternativen und esoterischen Kreisen. Da, wo ich in den letzten Jahren umging, wurde wenig getanzt, und wenn, dann alleine. Man ging alleine auf die Tanzfläche und tanzte alleine. Auch letztens erst, am Samstagabend der Integralen Tagung, war eine Tanzparty und es ging eher so zu, dass jeder für sich alleine tanzte. In diesen Kreisen – und das fällt mir jetzt im Gegensatz zu gestern Abend so richtig ins Auge – gibt es keine weiblichen Frauen. Es gibt männliche Frauen, Emanzen, Frauen mit einer gestörten Beziehung zu Männern und Geschlechtslose, aber keine Frauen, die ihre Weiblichkeit leben. Natürlich steht das in diesen alternativen und spirituellen Kreisen immer als Forderung im Raum. Aber es ist uns nicht bewusst, wie weit wir davon entfernt sind, das zu leben. Männerbild und Frauenbild hängen voneinander ab. Das Männerbild in den alternativen Kreisen ist sehr negativ. Der Mann wird eher als potentieller Vergewaltiger und Gefühlskrüppel wahrgenommen. Männer versuchen, sanft und verständnisvoll zu sein. Frauen lassen ihre Weiblichkeit verkümmern.

Schönhauser Allee

Ich sehe es ja an mir. Vor ca. einem Jahr war ich zufällig in einer Salsa-Kneipe in Mannheim. Wir waren mit Freunden dort. Ich hasste diesen Laden. Mir gefiel die Musik nicht und ich hatte nur verächtliche Meinungen für die Gäste übrig. „Die verschwenden ihre Zeit mit oberflächlicher Zerstreuung. Die sind nur auf Sex aus. Das ist obszön. Die sind alle besoffen.“ Meine „politisch korrekte“ Haltung erlaubte es mir nicht, die Schönheit in diesem Tun zu sehen. Ja, ich hatte sehr verurteilende und bewertende Gedanken. Diese Gedanken bildeten ein Weltbild, das meine Meinungen und Überzeugungen prägte. Aber es waren doch sehr rigide und lebensfeindliche Werte, wie ich jetzt langsam merke. Ein Konglomerat aus linker Politik, Öko, asketischer Spiritualität, Weltverbesserer und Entfremdung. Ja, ich war sehr streng mit mir und mit anderen.

Insbesondere meine Mann-Frau-Konzepte waren alles andere als gesund. Und das scheint mir eben auch bei vielen sogenannten reflektierten oder erleuchteten Leuten der Fall zu sein, bei denen, die sich alternativ verstehen und irgendwie „schon ein bisschen weiter sind“. Da sehe ich Berge von beziehungsgestörten Menschen. Da sehe ich konfliktreiche Mann-Frau-Beziehungen. Da sehe ich Frauen, die ein Problem mit Männern haben und keine Frauen mehr sind, und Männer, die ein Problem mit sich haben und keine Männer mehr sind. Da wird alles problematisiert und das Leben vergessen. Es herrscht viel Schwere und Isolation. Natürlich nicht vordergründig. Natürlich möchte jeder einen guten Schein abgeben. Natürlich wollen wir alle locker und souverän rüberkommen, erfolgreich und beliebt. Manchmal hasse ich die Frage ,Wie geht‘s?‘, weil doch nur erwartet wird, das man ein souveränes, cooles ,Alles bestens‘ rüberbringt. Und wenn ich mal sage ,Es geht so‘ oder Ähnliches, weil es mir wirklich nicht so gut geht, ernte ich erschrockene Blicke des Unverständnisses mit erstaunten Repliken und guten Ratschlägen, wie ich so schnell wie möglich diese dunkle Stimmung wieder loswerde: ,Alles easy‘, ,positiv denken‘, ,mach dich locker‘.
Und ich muss gestehen, was mir da in dem Salsa-Club begegnete, waren echte Männer und echte Frauen, die sich und das Leben feierten. Es waren schöne Frauen und Männer, weibliche Frauen und männliche Männer, die leidenschaftlich tanzten, virtuos und körperlich, die ihre Hüften bewegten wie Bauchtänzer, sich umarmten und erotisch miteinander spielten. Es waren einige Paare auf der Tanzfläche, die offensichtlich auch in einer Mann-Frau-Beziehung miteinander waren, und da war die Nähe und Berührung wirklich schön anzuschauen. Die Bewegungen waren fließend, befreit, energetisch. Es war offensichtlich, dass die Männer und Frauen Spaß aneinander hatten. Sie tanzten gerne miteinander. Sie wollten die Nähe und Berührung. Sie wollten die sexuellen Anspielungen. Sie feierten ihre Körperlichkeit und Lust. Das war ohne ideologischen Überbau, ohne spirituelle Bemäntelung. Das war direkt und klar. Und es war so lebendig. Und diese Menschen waren einfach schön.
Für mich als Mann war es besonders schön, diese Frauen zu erleben, die keine Angst oder Vorbehalte vor Männern hatten.
Es gab drei Tanzflächen und irgendwie hatte ich Glück gehabt. Die Tanzfläche, wo ich stand, hatte einen DJ, dessen Musik mir gefiel, und die Tänzerinnen und Tänzer waren wirklich sehr gut. Es ging bei dem ganzen Event offensichtlich nicht darum, sich mit Alkohol anzuturnen. Die Menschen hatten Freude am Tanzen. Es lag etwas Sattvisches in der Luft.
Meine letzten beiden Beziehungen mit einer Frau waren geprägt durch Vorbehalte gegen Männer und Sexualität. Es waren beides verletzte Frauen, Opfer von Missbrauch und Sucht. Natürlich hatte das auch etwas mit mir zu tun. Auch ich hatte diese Vorbehalte.
In dieser Salsa-Tanzbar konnte ich hingegen erleben, was gesundes Leben ist. Hier könnte ich lernen, wieder leicht und unbelastet mit Frauen in Kontakt zu gehen und das Gefühl zu erfahren, dass meine Freude über die Begegnung geteilt wird.

Was hat das mit Berlin zu tun? Berlin führt mich auf unbekannte Pfade. Es ist so viel los hier und ich kann Dinge erleben, die ich mir nicht selbst ausdenken könnte.
Und eine politisch unkorrekte Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen. Es war schon ein Unterschied zwischen der Salsa-Disco in Mannheim und der gestern Abend in Berlin. In Berlin haben sie Stil, das hat was von Kunst und Kreativität. Das ist edel und selbstbewusst. In Mannheim ging es schon in Richtung Prol. Die haben sich besoffen, aufgegeilt und grölten herum. Das war nicht viel von Kunst und Geschmack zu erkennen.
Tja, es geht auch um Qualität. Das wird leider in unserem gegenwärtig vorherrschenden Alle-sind-gleich-und-Bewertung-ist-schlecht-Dogma oft sehr verurteilt.
Kunst und Schönheit sind Ausdruck des Lebens. Das hat etwas Edles. Leben bedeutet Veredelung. Es kann nicht ausreichen, sich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu treffen, damit niemand gekränkt ist. Das soll nicht heißen, dass jemand minderwertig ist. Es geht darum, das jeder in sich das findet, was ihn schön macht und was seine Kunst ist. Es geht darum, den Wert zu finden, der uns zu uns selbst macht. Wenn wir diesen Wert gefunden haben, dann brauchen wir nie mehr neidisch auf andere zu sein, die in irgendeiner anderen Domäne besser sind als wir. Ich halte es für verantwortungslos, sich über andere zu beschweren, weil die schöner, intelligenter oder erfolgreicher als man selbst ist. Es ist ein Leugnungsmanöver, in dem andere für das eigene Leiden oder Minderwertigkeitsgefühl verantwortlich gemacht, ja beschuldigt werden, um nicht die Verantwortung für das eigene Leben übernehmen zu müssen. Das ist die spirituelle Krankheit. Manche verwechseln das und denken, das sei politische Korrektheit.

Hier können Sie die Tattva Viveka bestellen

Standard