Der Mensch ist ein kompliziertes Wesen. Besonders kompliziert sind bisweilen die Entscheidungen. Manche kennen das. Du stehst vor der Wahl: Will ich mich mit der Person treffen oder nicht? Will ich heimgehen oder noch da bleiben? Soll ich den Job annehmen oder besser noch warten? Weiterlesen
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Angenommene Angst
Vor einigen Tagen hatte ich eine interessante Begegnung mit meinen Gefühlen. Ich kenne Zeiten, wo ich mich sehr, sehr einsam fühlte und sehr im Minderwert war. Meistens ist das nicht mehr so, doch an diesem Tag kamen diese Gefühle der Einsamkeit, der Angst und der Leere wieder in mir hoch. Ich saß in meinem Zimmer am Schreibtisch und es ging mir zunehmend schlechter. Ich fühlte mich beschissen und konnte gar nicht genau sagen, was los ist, nur, dass ich das von früher kannte. Ich wollte dieses Gefühl nicht haben. Mein Verstand überlegte fieberhaft, was ich tun könnte. Mein Verstand sagte, ich sei ein schwacher unfähiger Mensch, weil ich jetzt dieses Gefühl habe, und es müsse doch eine vernünftige Handlung geben, um weiterhin konstruktiv und positiv zu sein. Da fiel mir das Regal ein, das ich schon seit einiger Zeit aufbauen wollte und dachte mir, das muss ich jetzt tun. Aber die Verzweiflung ließ mich nicht los und Lust dazu hatte ich auch nicht. Ich habe es auch nicht getan. Stattdessen schaltete sich meine Intelligenz ein und ich betrachtete mich von oben, denn ich weiß, dass es darum geht, nicht vor den Gefühlen wegzulaufen oder sie zu verdrängen, sondern sie anzunehmen und zu fühlen. Ich blieb also sitzen und ließ mein Gefühl zu. Ich ging in diese Einsamkeit, den Schmerz und in die Angst. Und was dann passierte, erstaunte mich zutiefst. Meine Wahrnehmung wurde ganz hell und genau. Nachdem ich wenige Minuten dieser Angst Raum gegeben hatte, fühlte ich plötzlich ganz viele verschiedene Gefühle, die sich abwechselten oder parallel auftauchten und wieder verschwanden. Dann wurde ich ganz ruhig und zufrieden. Ich fühlte mich selbst und das war ganz gut. Die Angst verschwand und ein Gefühl des Friedens stellte sich ein. Es war, als ob die Angst selbst zufrieden geworden war, weil sie sich gesehen fühlte. Sie wollte einfach nur wahrgenommen werden. Nur wenn ich in meinem üblichen Muster direkt in die Ablehnung der Angst gehe, wird sie so bedrohlich. Und in der Tat konnte ich die Erfahrung machen, dass angenommene Angst sich so schön wie ein Orgasmus anfühlen kann.
Nachtrag:
Das Erlebnis ist nun schon ein paar Wochen her. Es ist immer noch bedeutsam für mich und es hat sich seitdem etwas geändert: Ich habe viel mehr Liebe für mich und keine Angst mehr vorm Alleinsein.
Die reine Freude
Wer meinen letzten Blog über die Reise ins Gefühl gelesen hat, weiß, dass ich nicht versuche, dem Schmerz auszuweichen. Mein Ansatz besteht darin, jedes Gefühl zu fühlen und ihm auf den Grund zu gehen. Es geht nicht darum, sich gut zu fühlen, sondern darum, zu fühlen.
In letzter Zeit bin ich meinem Schmerz, meiner Trauer und meiner Scham auf den Grund gegangen. Das war schmerzhaft, traurig und beschämend. Aber ich ging da durch.
Gestern durfte ich erleben, was das an Heilung ermöglicht.
Ich war auf einem Kirtan-Abend. Kirtan bedeutet, spirituelle Lieder gemeinsam zu singen und dazu zu tanzen. Das war die reine Freude.
Aber das Besondere war: Ich fühlte diese Freude, sie war rein und klar, und sie hatte einen festen Grund. Ich konnte richtig fühlen, wie diese Freude auf festem Grund aufsetzt, wo nichts mehr darunter war. Sie war keine Fassade. Darunter war kein Schmerz, keine Scham, keine Angst, kein Eiter, kein schwankender Grund, kein Matsch, kein schmieriger Glibber. Es war ein einfacher, fester Grund, und da war nichts außer Freude. Das war ein wunderschönes, sicheres Gefühl. Es gab mir Vertrauen und Gewissheit. Ich fühlte mich meiner selbst gewiss. Ich konnte diese Freude unvermischt und klar fühlen, ohne dieses vage Gefühl von Unsicherheit oder Beklemmung, das da ist, wenn die Freude aufgesetzt oder manipuliert ist. Wir kriegen das meist nicht bewusst mit, wenn wir die Freude herbei manipulieren, weil wir diese fixe Idee haben, dass wir uns immer gut fühlen müssen. Aber irgendwie fühlen wir dann doch, da stimmt was nicht. Es ist dann eine mit Schmerz, Trauer, Angst, Scham oder Wut vermischte Freude.
Die Arbeit mit meinen Gefühlen des Schmerzes, der Trauer, der Angst, der Wut und der Scham hat dazu geführt, dass diese Abgründe bereinigt sind. Es ist wie das Ausschaben einer eiternden Wunde, die gereinigt und desinfiziert wird und dann erst heilen kann. Dann erst kann der Schmerz abklingen und die Not wird gelindert. Wenn es dann heilt, bildet sich ein fester Grund. Dieser feste Grund bin ich. Das ist mein inneres Selbst, auf dem die reine Freude dann aufsetzen kann und sich entfalten kann. Dann fühle ich Sicherheit, Geborgenheit und mich selbst.
Die Freude hatte auch im kausalen Sinn einen Grund, weil in der Situation, im gemeinsamen Singen und Tanzen zu schöner Musik, da war die Freude auch begründet. Genauso wie zu anderen Zeiten der Schmerz begründet ist. Diese Gefühle manifestieren sich gemäß der Wirklichkeit, in der ich mich befinde, gemäß dem, was gerade passiert. Sie sind die Sprache, die mich mit der Wirklichkeit verbindet. Es war ein schöner Abend mit wunderbaren, lieben Menschen um mich herum. Wir lachten uns an und feierten. Es war so schön, diese Freude so rein und direkt zu erfahren, zu fühlen. Diese echten Gefühle sind keine Gefühle, dich ich mir mache. Sie sind entsprechend der jeweiligen Situation. Der Abend war ein Grund der Freude. Und zu anderen Zeiten hat man vielleicht einen Grund zu trauern. Dann ist eben Trauer angesagt. Diese Gefühle kommen und gehen. Es ist so schön, diese echten Gefühle fühlen zu können. Ich glaube, es ist deshalb so schön, weil ich dann echt bin. Dann bin ich ich.
Und mir ist klar, diese Freude konnte ich nur fühlen, weil ich zuvor meinen Schmerz gefühlt hatte. Es war eine Freude ohne etwas darunter, ohne Dreck unterm Teppich, ohne verheimlichte, geleugnete Gefühle darunter.
So lerne und verstehe ich zunehmend, dass es die Gefühle sind, die mich in die Genesung führen. Sie führen mich zu mir, und das ist das spirituelle Erwachen. Aufwachen bedeutet „zu sich kommen“. Und das ist so konkret zu verstehen, wie nur irgend möglich: Ich komme zu mir.
Dabei ist es egal, ob das, was ich da fühle, „gut“ oder „schlecht“ ist. Es geht nicht darum, sich gut zu fühlen. Es geht darum, zu fühlen.
Anmerkung:
Der Abend war ein Konzert der Kirtaniyas (www.kirtaniyas.com), eine junge, aufstrebende Kirtan-Band, und fand am 14.01.2012 im Yoga-Zentrum „Lernen in Bewegung e.V.“ in Berlin statt.
Organisiert wurde er von der brillanten und liebenswürdigen Alexandra von Joyfulevents 🙂
Brene Brown: The power of vulnerability | Video on TED.com
Brene Brown: The power of vulnerability | Video on TED.com.
Das Wichtigste aus dem Inhalt:
Verbindung ist das, worum es geht. Scham ist die Angst vor Nichtverbundensein. Die Angst, dass ich der Verbindung nicht würdig bin.
Es geht um ein Gefühl, es wert zu sein, um Würdigkeit.
Menschen, die ein starkes Gefühl der Liebe und Zugehörigkeit haben, glauben, dass sie diese Liebe und Zugehörigkeit wert sind.
Menschen mit gutem Selbstwert haben Courage. Das Wort kommt von dem lateinische „cor“, was Herz bedeutet. Sie leben von ganzem Herzen und haben das Herz, sich so zu zeigen, wie sie sind. Sie haben die Courage, unvollkommen zu sein. Aufgrund ihrer Authentizität sind sie in der Lage, die Vorstellung loszulassen, wer sie sein sollten, um die zu sein, die sie sind. Sie nehmen auch ihre Verletztlichkeit voll und ganz an. Sie glauben, dass das, was sie verletztlich macht, sie auch schön macht. Verletztlichkeit ist die Bereitschaft, als erster zu sagen „Ich liebe dich.“ und Dinge zu tun, bei denen es keine Garantien gibt.
Wie würdest du Verletztlichkeit definieren? Was macht dich verletzlich?
Man kann Emotionen nicht selektiv betäuben. Wenn wir Schmerz, Verletztlichkeit, Trauer, Scham, Angst, Enttäuschung betäuben, dann betäuben wir auch Freude, Dankbarkeit, Glücklichsein.
Es ist nicht immer Sucht, warum wir uns betäuben. Es ist auch der Versuch, Gewissheit herzustellen. Wir wollen Recht haben. Schuld ist eine Methode, um Schmerz und Unbehagen zu entladen. Wir wollen perfektionieren.
Die Aufgabe gegenüber unseren Kindern ist nicht, sie perfekt zu halten, sondern ihnen zu sagen: „Du bist unvollkommen, und du bist als Mensch dazu prädestiniert, Probleme zu haben. Aber du bist es wert geliebt zu werden und dazuzugehören.“
Der Weg ist, zuzulassen, dass wir tief gesehen werden, in unserer Verletztlichkeit. Und mit unserem ganzen Herzen zu lieben, auch wenn es keine Garantie gibt. Und daran zu glauben, dass wir genug sind.