Sein-Kolumne, Selbst

Subjekt und Unterwerfung

Viele Menschen streben nach Selbstverwirklichung. Wir möchten frei und selbstbestimmt leben. Schon Immanuel Kant forderte, aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit herauszutreten und zu einem autonomen Subjekt zu werden, das selbst entscheidet und handelt.

Daran ist nichts auszusetzen, doch was ist eigentlich ein Subjekt? Das Wort stammt vom lateinischen »subjectum«, was »unterworfen« bedeutet. Dies erstaunt mich doch sehr, denn wie kann ich gleichzeitig frei und unterworfen sein? Geht es nicht darum, aus der Unterdrückung und Fremdbestimmung heraus zu gelangen und selbst zum Herrn und Meister zu werden?

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Hier spüren vielleicht schon einige ein deutliches Unbehagen beim Wort »Herr«. Möchte ich ein Herr werden? Sind wir nicht angetreten, um das Patriarchat und autoritäres Verhalten zu beenden? Sind wir nicht mehr als skeptisch gegenüber Herr-Schaft und suchen wir nicht stattdessen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit? Im allgemeinen versuchen wir, jede Form von Herrschaft und Hierarchie zu vermeiden, um uns auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Doch auch das kann zum Machtkampf werden, wenn es darum geht, nicht der Untergeordnete zu sein.

Neulich wollte ich gleichzeitig mit einem anderen Mann durch eine Tür gehen. Er wollte mir den Vortritt lassen und ich wollte ihm den Vortritt lassen. Es hatte eine gewisse Komik, weil erst keiner durch die Tür ging. Wir beide wiederholten die Einladung mehrfach, bis der Stärkere sich durchgesetzt hatte – derjenige ging dann als Zweiter, denn er war stärker in der »Unterordnung«. Es war eine gegenseitige Geste der Höflichkeit und des Respekts, und es war ein Akt der Schönheit und der Liebe, den anderen vorzulassen.

Jede natürliche Form von Beziehung beruht darauf, dem anderen zu dienen und sich ihm in Liebe und Respekt zu unterwerfen. So schlimm dieser Begriff der Unterwerfung auch von negativen Bedeutungen überfrachtet ist, so ist er doch zutreffend. Viele von uns haben mit diesem Begriff ein Problem, dabei wäre es so einfach, gute Beziehungen zu haben, wenn wir uns mehr vor dem anderen verneigen würden und bereit wären, unser Ego zurückzunehmen und dem anderen zu dienen, also uns zu unterwerfen. Nur so wächst die Liebe und nur so werden wir zum Subjekt.

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Gefühle, Sein-Kolumne

Angst vor mir selbst

Heutemorgen war ich etwas verzweifelt, weil ich Sehnsucht nach meiner Traumfrau hatte. Wir hatten uns letzte Woche gesehen und es war sehr schön. Aber es ist auch eine problematische Beziehung und wir sind nicht zusammen. Morgen ist nun Feiertag und ich dachte schon seit Tagen, ich würde gerne mit ihr diesen Tag verbringen. Ich programmierte mich schon seit Tagen auf diese fixe Idee. Es baute sich aber auch Traurigkeit und Frustration auf und meine Gelassenheit verabschiedete sich. Es tat mir weh und ich bekam Angst, sie anzurufen, und Angst vor Verlust und Ablehnung.

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Heutemorgen nun betete ich intensiv zu meiner Höheren Macht und gab meine Machtlosigkeit diesbezüglich zu.

Vorher fühlte ich mich leer und hatte schon den Horror davor, den Feiertag alleine zu verbringen. Auch andere Menschen waren nicht anziehend, sattdessen beurteilte ich sie und stellte mich über sie. Alles war leer und nur diese Frau konnte die Leere füllen. Alles andere ödete mich an, sogar ich selbst ödete mich an. Ich mich am meisten.

Circa eine viertel Stunde nach dem Gebet saß ich am Frühstückstisch und nahm mich selbst plötzlich wahr, wie ich inspiriert und voller Freude mit mir selbst war. Ich hatte Bilder und Ideen von den Sachen, die ich gerne machen würde. Ich erforschte mich und fühlte mich erfüllt, mit all den Möglichkeiten, die mir mein Leben bot und die mich interessierten. Ich hatte keine Gefühle der Leere und Einsamkeit mehr. Ich hatte die Frau vergessen und war bei mir. Ich bin, der ich bin. Dieses Ich zu entdecken – mich zu entdecken – ist allemal genug. Und ich erkannte, es war nur die Angst vor mir selbst, die mich in dieses ganze Kopfkino trieb.

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Indem ich diese Angst zulasse und sie annehme, kann der Teil in mir in mein Bewusstsein treten, den ich verdrängt habe.

In der Beziehung zu mir selbst werde ich unabhängig vom Außen. Das bedeutet nicht, dass ich dann nur noch in mir selbst verweile, sondern dass das Außen von einem Mangel zu einer Bereicherung wird, die ich in Freiheit und Schönheit zu meiner inneren Fülle hinzufügen kann.

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