Neues, Walter Benjamin

Masterarbeit: Die Mystik der Sprache im Werk Walter Benjamins

Franz Joseph Molitor, die Kabbala und jüdisches Denken

Abstract

Die Abhandlung diskutiert die Bedeutung der ›Magie‹ in Benjamins Sprachtheorie, die mit seiner Kategorie der ›profanen Erleuchtung‹ in Bezug gesetzt wird. Die biografische Untersuchung zeigt, dass Benjamin aus der jüdischen Mystik schöpfte, die er durch Gershom Scholem und Franz Joseph Molitor kannte. Unter Magie versteht Molitor »jene hohe magische Kraft, jene[n] tiefe[n] Sinn[,] das Innerste der Natur zu durchschauen« (M I, 130). Wesentlich für die Theorie Benjamins ist, dass in der Welt der Phänomene das innere Wissen ebenso zu finden ist wie in theologischen Offenbarungen der Gottheit. Bei Benjamin ist ›Magie‹ weitestgehend synonym mit ›Mystik‹. Das Wort beschreibt das immaterielle und transrationale, will sagen: lebendige, geistige Element der Sprache. Benjamins wichtigstes Thema war die profane Welt, die er mit einer eigenen Methode untersuchte. Diese Methode entnahm er aus der jüdischen Mystik der Kabbala, die neben Theologie und Aufklärung einen dritten Weg bietet, die Welt zu verstehen.

Eingereicht am 6.6.2022 zur Begutachtung durch Prof. Dr. Liliana Feierstein und Prof. Dr. Giorgio Busi (noch in Bearbeitung)

Weiterlesen
Standard
Tattva Viveka, Wissenschaft

Wissenschaft und Spiritualität – die Welten verbinden

Online-Symposium

zur Verbindung von Wissenschaft und Spiritualität vom 20.-29.10.2017

Webseite: www.wissenschaft-und-spiritualität.de

»Hokuspokus«, schimpft der nüchterne Rationalist, wenn ihm seine esoterische Freundin von den Engeln oder geistigen Heilungen erzählt. Sie nennt ihn »ungläubig und gottlos« und ist von seiner Fantasielosigkeit enttäuscht.
Wissenschaft und Spiritualität waren bisher eher Streithähne. Unser Online Symposium möchte hier Abhilfe schaffen. Wir von der Zeitschrift Tattva Viveka führen jetzt die Wissenschaftler, Philosophen und spirituelle Praktiker zusammen, um über die Frage zu diskutieren, wie Wissenschaft und Spiritualität zusammenfinden können. Wir, das sind Gabriele Sigg und ich, Ronald Engert, sind der Meinung, dass Wissenschaft und Spiritualität das gleiche Ziel haben: die Suche nach der Wahrheit. Auch methodisch sind sie durchaus vergleichbar, den beiden geht es um eine ehrliche und redliche Erforschung, bei der Illusion und Betrug kontraproduktiv sind.

Online-Symposium

Da die wissenschaftliche und technische Entwicklung der letzten Jahrhunderte stark männlich geprägt war, möchten wir u.a. weibliche Formen des Wissens präsentieren. Dabei haben Körper, Gefühl und Intuition große Bedeutung. Welche alternativen Formen des Wissens und der Weisheit gibt es? Wir begeben uns auf eine Spurensuche, bei der Menschen zu Wort kommen, die jenseits vom Mainstream neue Wege gehen.

Das soll nicht zu neuen Fronten führen, sondern die Welten verbinden. Männliches und weibliches Prinzip ebenso wie Rationalität und Transzendenz sollen zusammenfinden. Es geht um die Versöhnung, denn nur zusammen ergeben sie das ganze Bild. Je mehr Dinge von der Wissenschaft enträtselt werden, umso klarer tritt das zu Tage, was zum ewigen Geheimnis gehört.

Gemeinsam mit hochkarätigen spirituellen Lehrern, Wissenschaftlern, Künstlern und Philosophen machen wir uns auf den Weg zu einem neuen Weltbild. Dieses kostenlose Online-Symposium bringt die Welten zusammen. In Einzelinterviews und Diskussionsrunden mit Vertretern der verschiedenen Welten geht es um Themen wie Potentialentfaltung, Kreativität, Geist und Epigenetik, das Nichts, den Raum, weibliches und männliches Prinzip, Materie und Transzendenz u.v.a.

Die ewigen Wahrheiten sind keineswegs altbacken. Sie sind auch heute genau so aktuell wie eh und je. Deshalb können auch neue Formen der Vermittlung eine guten Dienst leisten, und das nutzen wir, denn das Symposium findet komplett online statt. Außerdem freuen wir uns, Dir mitteilen zu können: die Teilnahme ist kostenlos!
Hier findest Du alle Informationen: www.wissenschaft-und-spiritualität.de

Nimm jetzt teil! Melde dich kostenlos an! Einfach Vorname und Email-Adresse auf der Webseite eintragen und wir schicken Dir alle Infos und Termine rechtzeitig zu. Alle Interviews und Podiumsgespräche können für jeweils 24 Stunden kostenlos geschaut werden!

Veranstalter: Ronald Engert und Gabriele Sigg vom Magazin Tattva Viveka

Gabriele und Ronald

MerkenMerken

Standard
Indien-Blog 2013

Die pure Essenz der menschlichen Erfahrung

1069864_10151628719974690_1981988308_nJa, es hat sich schon viel getan. Es ist wieder so, wie ich es eigentlich kenne. Es ist immer etwas los. Die Tage sind kurz und kurzweilig. Ich hatte ja in meinem ersten Blogeintrag geschrieben, dass ich mich fremd und uninspiriert fühle. Wie auch schon an anderer Stelle gesagt, finde ich es wichtiger herauszufinden, wo ich bin, anstatt wo ich sein soll. Emotional gemeint. Ich glaube, es war gut mir dies einzugestehen und ehrlich mit mir selbst zu sein. Es gab mir die notwendige Demut und Aufgeschlossenheit und Bereitschaft, um Gott zu bitten mir zu helfen. Mein Gott ist ja eine Göttin: Radha. Ich habe zu Radha gebetet, dass sie mir Inspiration gibt, dass Sie mir Ihre Barmherzigkeit gibt und mich in das spirituelle Bewusstsein eintreten lässt. Mein Wunsch wurde prompt erfüllt. Und zwar so schön, dass ich hier öffentlich nicht alles schreiben kann und darf. Die Liebe zu Radha und Krishna ist sehr sehr fein und sehr intim. Und weil es auch ganz viel mit mir selbst und meiner wahren Identität zu tun hat, ist es ratsam, die Dinge vorsichtig zu behandeln. Aber soviel sei gesagt: es geht um die wahre Identität.

Radha Kund

Radha Kund, der See, in dem Radha badet

Im Bhakti-Yoga gibt es eine spirituelle Wahrheit bezüglich unserer wahren Identität. In Bhakti-Yoga heißt es nämlich, dass wir in unserer wahren Identität einen spirituellen Körper haben, der geeignet ist, im göttlichen Spiel mitzuwirken. Dieser Körper und diese Identität, die damit zu tun hat, ist eine ganz persönliche Form, die sich als Manjari zeigt. Die Manjaris sind die jugendlichen Freundinnen von Radha. Jenseits aller Bedingtheiten und temporären Identifikationen, jenseits aller sterblichen Hüllen und Illusionen muss es eine Wahrheit geben. In der Tradition der Bhakti ist der spirituelle Meister in der Lage, dem Schüler seine ewige Form zu offenbaren. Diese Form nennt sich in Sanskrit „siddha-deha“, der ewige spirituelle Körper. Wenn man alle vergänglichen Welten hinter sich gelassen hat und in das spirituelle Reich Gottes eintritt, ist man dort nicht einfach nur ein Licht, das mit dem andern Licht verschmilzt, sondern man hat eine Gestalt, die dazu geeignet ist, Radha und Krishna Freude zu bereiten. Zum Beispiel gibt es Manjaris, die die Kleidung von Radharani vorbereiten, die das Bett machen, die Girlanden machen, die Essen darbringen, die Farbe auf die Füße von Radha und Krishna aufbringen oder deren Aufgabe es ist, die Liebe zwischen Radha und Krishna zu vergrößern, indem sie allerlei Arrangierungen treffen, um sie an einem geheimen Ort zusammenzubringen.

Man hört hier in Vrindavan viele von diesen Geschichten, von diesen Eigenschaften und Qualitäten der Gottheiten und allein dadurch, dass man sich damit beschäftigt, zuhört oder darüber spricht, kann man schon spirituelle Ekstase erleben.

Was verstehe ich unter spiritueller Ekstase? Es ist ein Ergriffensein, ein intensives Kribbeln im Brustraum, Tränen in den Augen, sehr intensive Glücks- und Liebesgefühle, eine tiefe seelische Rührung, die mir die Gewissheit gibt, dass dies das absolut Richtige ist, das Beste, was mir als Lebewesen und Seele passieren kann. Diese intensiven Gefühle stellen sich für mich nur in dieser Beziehung zu Radha und Krishna ein. Ich kann es nicht anders sagen. Ich finde das sonst nirgendwo. Es gibt in anderen spirituellen Traditionen andere Formen der spirituellen Ekstase oder der Erleuchtung. Jede ist anders. Jede ist eigen. Hier, in der Bhakti, ist es dieses tiefe emotionale Gerührtsein, dieses Weinen vor Glück und vor Liebe, was mich so fasziniert. Es ist mir schon wieder geschehen. Durch eine Barmherzigkeit des spirituellen Meisters. Es ist meistens ein Mensch, namentlich der spirituelle Meister, der uns die Barmherzigkeit gibt.

Sadhu Maharaja

Der spirituelle Meister des Ortes: Sri Sadhu Maharaja

„Die Barmherzigkeit geben“ ist in dieser Tradition ein stehender Ausdruck. Es bedeutet die Übertragung der Liebesgefühle auf den Aspiranten (die Übertragung der bhava und prema durch die kripa-shakti). Wir können uns diese spirituelle Ebene nicht selbst erarbeiten. Wir sind viel zu weit davon entfernt. Aber der spirituelle Meister oder ein anderer großer Gottgeweihte kann uns durch seine Barmherzigkeit auf diese Ebene hochziehen. Dieser Weg ist sehr einfach. Das Einzige, was es dazu braucht, ist Begierde. Die Begierde, diese Gefühle, diese bhavas, zu fühlen. Die großen Gottgeweihten sind immer bereit, das, was sie bekommen haben, weiterzugeben. Allein, es fehlt meistens bei den Anwärtern die Aufgeschlossenheit und Bereitschaft.

Aber so ein klein wenig von dieser Begierde habe ich schon. Sogar soviel, dass ich dem Guru ein Papier geklaut habe, dass er mir und zwei anderen Anwesenden zwar gezeigt hat, aber dann wiederhaben wollte. Ich habe es in einem unbemerkten Moment in meiner Hemdtasche verschwinden lassen. Auf diesem vertraulichen Papier ging es um die spirituelle Identität bestimmter mir namentlich bekannter Personen. Ich hatte allerdings dann ein so schlechtes Gewissen, dass ich später zu ihm hin bin und meine Tat gestanden habe. Er war mir nicht böse und sagte statt dessen, ich solle das Papier behalten und darüber meditieren. (…)

Das ist eben das Gute, wenn man in Vrindavan ist. Es geht überall und andauernd um dieses Thema: Wissen und Erfahrungen von Göttin und Gott. Jeder spricht andauernd darüber. Überall werden die Mantras rezitiert und die Gesänge angestimmt. Überall gibt es Tempelverehrungen, jeder beschäftigt sich im hingebungsvollen Dienst.

Auszug aus einem Vortrag von Jagandananda Prabhu:

(Jeden Tag um 16.30h ist eine Klasse von dem Sanskrit-Gelehrten Jagandananda. http://jagadanandadas.blogspot.in)

Nur in der siddha-svarupa (dem siddha-deha, der eigenen spirituelle Form) kann man die Spiele von Radha und Krishna sehen. Der Sadhana kultiviert die Bhava (die Liebesgefühle). Die Form wächst aus der Bhava. Das eigentliche Meditationsobjekt ist Bhava. Die Form offenbart sich dann. Wenn der spirituelle Meister dir deinen siddha-deha offenbart, ist das der Same für die Bhava.

Jagadananda Prabhu

Jagadananda Prabhu

Im sadhaka-deha braucht man auch die Rationalität, die tattvas, die philosophische Seite, um stabil zu bleiben. Die emotionale Ebene reicht im siddha-deha aus, aber nicht im sadhaka-deha (im materiellen Körper). Wir nutzen unsere rationale Kraft, um den rasa (den Geschmack, die Stimmung) zu unterstützen. Die rationale Seite ist der Diener der emotionalen Seite. Wenn man die rationale Seite zu stark macht, fällt man in shanta-rasa (eine neutrale Stimmung gegenüber dem göttlichen Spiel).

Was ist die pure Essenz der menschlichen Erfahrung? Was ist die Spitze der menschlichen Erfahrung? Wenn wir über Glück sprechen. Wenn wir alle Hindernisse und Unreinheiten rausnehmen. Wo finden wir Zufriedenheit? Was treibt uns voran? Was führt uns zur höchsten Wahrheit?

Erschaffen, Erhalten und Zerstören sind nur sekundäre Qualitäten Gottes. Das sind die aishvariya-Eigenschaften (die majestätischen Eigenschaften Gottes). Die höheren Rasas sind die Wichtigeren (madhurya-rasa, Freundschaft und Liebe)

Beispiel: Ein offizieller Regierungsvertreter möchte einen Termin beim Premierminister. Er wird gebeten, eine halbe Stunde zu warten. Nach einer dreiviertel Stunde fragt er, wie lange es noch dauert. Es stellt sich heraus, dass der Minister mit seiner kleinen Enkelin spielte. Seine Enkelin war ihm wichtiger als seine Anhaftung an die Macht seiner hohen Stellung.

Was ist an der Wurzel der Psyche? Wenn wir das befriedigen könnten, dann wären Korruption und fanatische Bereicherung an Geld und Macht, der endlose Durst nach Macht und Reichtum zu überwinden. Wir sprechen über die höchste Form der Göttlichkeit. Das ist eine intellektuelle Herausforderung.

Krishna-lila

Beim Schulfest gab es eine Aufführung des Krishna-lilas.

Noch ein paar Nachträge:

Bei allen spirituellen Höhenflügen gibt es doch auch irdische Vergnügungen. Gestern Abend lecker Pizza essen gewesen:

Hat echt gut geschmeckt!

Hat echt gut geschmeckt! Es gab außerdem Lasagne, Sabji, Salat, Ingwertee und als Nachtisch Applecrumble

Das Schulfest der Sandipani Muni-Schule fand heute statt. Sie feierten die Rückkehr der Yamuna nach Vrindavan. Die Yamuna ist der Fluss der hier vorbeifließt. Einer der drei heiligen Flüssen in Indien. Sie floss seit 25 Jahren einen anderen Weg und was hier in Vrindavan vorbeifloss, war nur das Abwasser aus Delhi. Aber jetzt ist der Original-Fluss wieder zurückgekehrt.

Ron mit den süßen Kindern der Sandipani Muni Schule

Ronald mit den süßen Kindern der Sandipani Muni Schule

Und hier noch ein paar Bilder von der Schule:

IMG_3028

IMG_3037

IMG_3041

IMG_3045

IMG_3059

IMG_3066

Standard
Spirituelle Kultur

Die widerstandslose Bewegung im Wind Gottes

Vogel im Ast
Eben stand ich an meinem Küchenfenster und schaute hinaus, als mein Blick zufällig auf eine Taube fiel, die gegenüber im Baum auf einem Zweig saß. Es war starker Wind und der dünne Zweig wiegte sich im Wind hin und her, teils kam ein Windstoß, teils nahm der Wind unterschiedliche Richtungen an. Die Taube saß auf dem Zweig – stoisch, gelassen, völlig entspannt. Sie und der Zweig schienen eins zu sein, sie bewegte sich in vollkommener Einheit mit dem Zweig. Da war kein Ausbalancieren, kein Gegensteuern oder Wackeln zu sehen. Sie putzte sich gelegentlich sogar noch. Ich schaute ungefähr 15 Minuten zu. Nur bei ganz heftigen Windstößen machte sie eine kleine Ausgleichsbewegung, aber auch das war im Verhältnis gesehen fast nichts. Ich stellte mir vor, ich säße da an ihrer Stelle. Ich müsste die ganze Zeit ausbalancieren und gegensteuern. Ich müsste ständig aufpassen und einen großen Kraftaufwand betreiben, um mich überhaupt auf dem Ast zu halten. Ich würde über kurz oder lang herunterfallen.
Da verstand ist, was es heißt, im Einklang zu sein. Diese Taube hatte kein Ego und keinen Eigenwillen. Was ich da sah, war Annahme, Ergebung, Hingabe. Wie unmittelbar sie den Bewegungen folgen konnte, wie widerstandslos sie auf dem Ast saß! Dies war noch nicht mal ein Folgen der Bewegung, was ja noch eine Trennung zwischen Vogel und Ast voraussetzen würde. Nein, das war eine Einheit, ein vollkommener Einklang. Egal wie sich der Ast im Wind bewegte, die Taube bewegte sich in die gleiche Richtung, als sei sie selbst der Ast.
Wir Menschen mit unserem Ego hingegen wollen immer unserem eigenen Willen folgen. Der Ast will nach rechts? Nein, ich will nach links! Wir müssen soviel Kraft aufwenden, weil wir uns nicht hingeben wollen, weil wir nicht dem Willen Gottes folgen wollen. Das Leben ist ein dynamischer Prozess, das Leben ist in Bewegung. Es wird von einer höheren Intelligenz gelenkt. Wenn wir doch diesen Willen Gottes annehmen könnten, dann könnten wir mit den Bewegungen im Leben im Einklang sein und wären entspannt, gelassen, in Frieden.
Aber wir vertrauen diesem Lebensprozess nicht. Es gibt jedoch ein Versprechen: wenn wir uns ganz auf diese Bewegung Gottes einlassen, dann sind wir in Frieden und es wird optimal für uns gesorgt.

Die bisherigen Daseinslagen des Menschen haben ihn enttäuscht, was diese Hingabe an Gott betrifft. Der aufgeklärte Mensch möchte selber denken, wollen und handeln. Wir wollen uns nicht vorschreiben lassen, wann wir rechts und wann wir links gehen. Dies rührt daher, dass einerseits unser unschuldiges Vertrauen missbraucht wurde, andererseits wir selbst dumm gewesen sind. Der Fehler lag darin, dass wir Menschen als Götter oder als »authorisierte« Stellvertreter akzeptiert haben. Diese Vermischung von menschlicher und göttlicher Sphäre ist ungesund, sie führt zu dem Vertrauensbruch und der Enttäuschung über die göttliche Fügung. Die menschlichen Vermittler, die sich zwischen uns und Gott gestellt haben, haben die Sache verdorben – die Gottkönige, die Päpste, die Gurus. Tatsächlich hat jeder Mensch eine direkte, unmittelbare Verbindung zu dieser göttlichen Bewegung des Lebens. Diese Verbindung gilt es wieder herzustellen, durch Hingabe, Gebet und Meditation.

Solange wir im Ego und im Eigenwillen verharren, sind wir steif und jede Bewegung erzeugt Widerstand. Sobald wir kapitulieren und uns hingeben, werden wir getragen und können ganz gemütlich und angenehm im Fluss des Lebens, im göttlichen Wind unser Sein genießen. Die widerstandslose Bewegung trägt uns in die Ewigkeit, den Frieden und das Glück, das wir suchen. Das Beste, was wir uns für uns vorstellen können, ist nur ein flüchtiger Schimmer des Willens Gottes für uns.

Standard
Philosophie, Walter Benjamin

Der Philosoph Walter Benjamin (1892-1940) – Archive, Zettelkästen und das Internet

Walter Benjamin (1892-1940)

Walter Benjamin (1892-1940)

Walter Benjamin, einer der genialsten Philosophen des 20. Jh., was meine Ansicht betrifft, starb im Alter von 48 Jahren auf der Flucht vor den Nazis. Lange Zeit galt es als Selbstmord, aber jüngere Forschungen lassen daran Zweifel aufkommen. Er könnte auch ermordet worden sein. Sein letzter Weg ging über die Pyrenäen, auf der Flucht nach Spanien. Das Einzige, was er bei sich trug, war eine Aktentasche. Sie enthielt sein letztes Manuskript. Es ist verschollen.

Benjamin lebte für das Schreiben. Benjamin fasziniert mich. Ich finde es bemerkenswert, dass mich sein Werk nach vielen Jahren wieder einholt – jetzt, wo ich selbst 48 Jahre alt bin. Ich las ihn im Studium, in den 80er Jahren. Er prägte mein Denken wie kein anderer. Ich fühlte mich ihm seelenverwandt. Doch dass er am gleichen Tag wie ich Geburtstag hat, am 15. Juli, fiel mir erst viele Jahre später auf. 22 Jahre habe ich mich – bis auf winzige Gelegenheiten- – nicht mehr mit ihm beschäftigt. Ich ging selbst durch eine Art Tod. Aber nun kommt wieder das Leben. Das Ende von Unglück ist Glück.

Sein Werk ist hermetisch. Es spannt den Bogen zwischen Mystik und Politik. Es ist spirituell und zugleich profan. Er selbst prägte den Begriff „profane Erleuchtung“. Er war Jude und bekannte sich in den 30er Jahren zum Marxismus. Ab 1933 war er auf der Flucht vor den Nazis. Er verließ Deutschland und lebte mittellos in Paris. Er kannte viele Geistesgrößen der Zeit: z.B. Theodor W. Adorno, Max Horckheimer, Siegfried Krakauer, Berthold Brecht. Bei Brecht in Dänemark lebte er oft im Sommer.
Die Schulwissenschaft sieht ihn nur als weltlichen Intellektuellen. Meiner Ansicht nach war er kabbalistisch motiviert.

Benjamin hatte die Idee, eine Arbeit ganz aus Zitaten zu schreiben. Eine literarische Montage, ähnlich den dadaistischen und surrealistischen Kunstwerken seiner Zeit. Die Montage war eine neue Kunstform. Versatzstücke der Realität wurden zu Kunstwerken zusammengebaut. Der Künstler war nicht mehr der autonome Schöpfer, sondern jemand, der aus der zweiten Natur der menschlichen Technik Dinge entlehnte, sie verfremdete und ummünzte, um einen neuen Blick zu erlangen.

Einige Zitate aus dem Buch „Walter Benjamins Archive“ (Suhrkamp 2006), das ich gerade gelesen habe:

„Die Gabe, Ähnlichkeiten zu erkennen, ist ja nichts als ein schwaches Überbleibsel des alten Zwangs, ähnlich zu werden und sich zu verhalten.“ (S. 76)

„Vielmehr ist Sprache (und Schrift) als Verwendung des mimetischen Vermögens anzusehen, als ein Archiv unsinnlicher Ähnlichkeiten, unsinnlicher Korrespondenzen.’“ (S. 79)

„Vielleicht weißt Du garnicht, wie schön es ist, die wechselnden und ungleich gearteten Gedanken so vieler Jahre immer wieder gastfreundlich von den zartesten und saubersten Quartieren, die Du ihnen anweist, aufgenommen zu sehen.“ (S. 122)
Anmerkung: Benjamin meinte mit den „zartesten Quartieren“ die Notizbücher, die ihm der Freund schickte, und die er für seine Entwürfe und Notizen verwendete. Benjamin war es wichtig, auf gutem Papier und in schönen Heften zu schreiben.
So sagte er in „Die Technik des Schriftstellers in dreizehn Thesen“: „Laß dir keinen Gedanken inkongnito passieren und führe dein Notizbuch so streng wie die Behörde das Fremdenregister.“ (S. 122)
Das Heft ist ein Medium, das Verfasser und Werk in Beziehung bringt.

„Worte zu dem zu finden, was man vor Augen hat – wie schwer kann das sein. Wenn sie dann aber kommen, stoßen sie mit kleinen Hämmern gegen das Wirkliche, bis sie das Bild aus ihm wie aus einer kupfernen Platte getrieben haben.“ (S. 141)

„Arbeit an einer guten Prosa hat drei Stufen: eine musikalische, auf der sie komponiert, eine architektonische, auf der sie gebaut, endliche eine textile, auf der sie gewoben wird.“ (S. 163)

„Methode dieser Arbeit: literarische Montage. Ich habe nichts zu sagen. Nur zu zeigen. Ich werde keine geistvollen Formulierungen mir aneignen, nicht Wertvolles entwenden. Aber die Lumpen, den Abfall: die will ich nicht beschreiben, sondern vorzeigen.“ (S. 196, über seine Passagen-Arbeit).

Irgendwie erinnert mich seine Arbeitsweise auch an meine. Auch ich mag es, Zitate zu bringen und das, was schon an Gutem gesagt wurde, zu würdigen. Es sind die Abfallstücke, die Überreste menschlicher Erkenntnisarbeit.
Benjamin wäre angesichts der heutigen Möglichkeiten des Computers und des Internets sicher ebenso fasziniert wie ich. Was Benjamin noch handschriftlich in Kladden und Zettelkästen festhielt (darum geht das Buch, aus dem die Zitate entnommen sind), und später mühselig auf der Schreibmaschine ins Reine schrieb, kann man heute direkt in den Computer tippen, verändern, kopieren, löschen, überarbeiten, erweitern, verlinken, versenden und auf dem Fuße veröffentlichen – wie in diesem Blog.
Diese technische Errungenschaft wird auch das Erkenntnisvermögen des Menschen nachhaltig verändern, und damit auch unserer Kultur. Wie Peter Sloterdijk ja auch nicht müde wird zu betonen: der Mensch ist ein Produkt seiner eigenen technischen Entwicklung. Wo wären wir heute ohne die Erfindung Gutenbergs, ohne das gedruckte Wort? Wo werden wir in einhundert Jahren sein, aufbauend auf dem, was heute durch die Informationstechnologie möglich wird?

2010 wird sich sein Todestag zum 70. Mal jähren. Das bedeutet, dass das Copyright auf seine Schriften erlöschen wird. Ab 2010 sind seine Schriften „gemeinfrei“, das bedeutet, sie können frei nachgedruckt werden.

Standard