Spirituelle Kultur

Die widerstandslose Bewegung im Wind Gottes

Vogel im Ast
Eben stand ich an meinem Küchenfenster und schaute hinaus, als mein Blick zufällig auf eine Taube fiel, die gegenüber im Baum auf einem Zweig saß. Es war starker Wind und der dünne Zweig wiegte sich im Wind hin und her, teils kam ein Windstoß, teils nahm der Wind unterschiedliche Richtungen an. Die Taube saß auf dem Zweig – stoisch, gelassen, völlig entspannt. Sie und der Zweig schienen eins zu sein, sie bewegte sich in vollkommener Einheit mit dem Zweig. Da war kein Ausbalancieren, kein Gegensteuern oder Wackeln zu sehen. Sie putzte sich gelegentlich sogar noch. Ich schaute ungefähr 15 Minuten zu. Nur bei ganz heftigen Windstößen machte sie eine kleine Ausgleichsbewegung, aber auch das war im Verhältnis gesehen fast nichts. Ich stellte mir vor, ich säße da an ihrer Stelle. Ich müsste die ganze Zeit ausbalancieren und gegensteuern. Ich müsste ständig aufpassen und einen großen Kraftaufwand betreiben, um mich überhaupt auf dem Ast zu halten. Ich würde über kurz oder lang herunterfallen.
Da verstand ist, was es heißt, im Einklang zu sein. Diese Taube hatte kein Ego und keinen Eigenwillen. Was ich da sah, war Annahme, Ergebung, Hingabe. Wie unmittelbar sie den Bewegungen folgen konnte, wie widerstandslos sie auf dem Ast saß! Dies war noch nicht mal ein Folgen der Bewegung, was ja noch eine Trennung zwischen Vogel und Ast voraussetzen würde. Nein, das war eine Einheit, ein vollkommener Einklang. Egal wie sich der Ast im Wind bewegte, die Taube bewegte sich in die gleiche Richtung, als sei sie selbst der Ast.
Wir Menschen mit unserem Ego hingegen wollen immer unserem eigenen Willen folgen. Der Ast will nach rechts? Nein, ich will nach links! Wir müssen soviel Kraft aufwenden, weil wir uns nicht hingeben wollen, weil wir nicht dem Willen Gottes folgen wollen. Das Leben ist ein dynamischer Prozess, das Leben ist in Bewegung. Es wird von einer höheren Intelligenz gelenkt. Wenn wir doch diesen Willen Gottes annehmen könnten, dann könnten wir mit den Bewegungen im Leben im Einklang sein und wären entspannt, gelassen, in Frieden.
Aber wir vertrauen diesem Lebensprozess nicht. Es gibt jedoch ein Versprechen: wenn wir uns ganz auf diese Bewegung Gottes einlassen, dann sind wir in Frieden und es wird optimal für uns gesorgt.

Die bisherigen Daseinslagen des Menschen haben ihn enttäuscht, was diese Hingabe an Gott betrifft. Der aufgeklärte Mensch möchte selber denken, wollen und handeln. Wir wollen uns nicht vorschreiben lassen, wann wir rechts und wann wir links gehen. Dies rührt daher, dass einerseits unser unschuldiges Vertrauen missbraucht wurde, andererseits wir selbst dumm gewesen sind. Der Fehler lag darin, dass wir Menschen als Götter oder als »authorisierte« Stellvertreter akzeptiert haben. Diese Vermischung von menschlicher und göttlicher Sphäre ist ungesund, sie führt zu dem Vertrauensbruch und der Enttäuschung über die göttliche Fügung. Die menschlichen Vermittler, die sich zwischen uns und Gott gestellt haben, haben die Sache verdorben – die Gottkönige, die Päpste, die Gurus. Tatsächlich hat jeder Mensch eine direkte, unmittelbare Verbindung zu dieser göttlichen Bewegung des Lebens. Diese Verbindung gilt es wieder herzustellen, durch Hingabe, Gebet und Meditation.

Solange wir im Ego und im Eigenwillen verharren, sind wir steif und jede Bewegung erzeugt Widerstand. Sobald wir kapitulieren und uns hingeben, werden wir getragen und können ganz gemütlich und angenehm im Fluss des Lebens, im göttlichen Wind unser Sein genießen. Die widerstandslose Bewegung trägt uns in die Ewigkeit, den Frieden und das Glück, das wir suchen. Das Beste, was wir uns für uns vorstellen können, ist nur ein flüchtiger Schimmer des Willens Gottes für uns.

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