Sein-Kolumne

Autorität und Rebellion

Als ich aufs Gymnasium ging, entdeckte ich die Alternativkultur. Ich war fasziniert und tauchte in die Musik und den Lebensstil der 68er-Rebellen ein. Ich wurde selbst zum Rebell und kämpfte für eine bessere Welt. Erst viele Jahre später merkte ich, dass meine Ablehnung der Autoritäten ihre Herrschaft in mir keineswegs gebrochen hatte. Ich lehnte ihre Werte ab und lebte das Gegenteil. Bei mir war ich dabei aber keineswegs angekommen. Ich war immer noch von den Autoritäten bestimmt, nur diesmal negativ. Weiterlesen

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Angenommene Angst

Vor einigen Tagen hatte ich eine interessante Begegnung mit meinen Gefühlen. Ich kenne Zeiten, wo ich mich sehr, sehr einsam fühlte und sehr im Minderwert war. Meistens ist das nicht mehr so, doch an diesem Tag kamen diese Gefühle der Einsamkeit, der Angst und der Leere wieder in mir hoch. Ich saß in meinem Zimmer am Schreibtisch und es ging mir zunehmend schlechter. Ich fühlte mich beschissen und konnte gar nicht genau sagen, was los ist, nur, dass ich das von früher kannte. Ich wollte dieses Gefühl nicht haben. Mein Verstand überlegte fieberhaft, was ich tun könnte. Mein Verstand sagte, ich sei ein schwacher unfähiger Mensch, weil ich jetzt dieses Gefühl habe, und es müsse doch eine vernünftige Handlung geben, um weiterhin konstruktiv und positiv zu sein. Da fiel mir das Regal ein, das ich schon seit einiger Zeit aufbauen wollte und dachte mir, das muss ich jetzt tun. Aber die Verzweiflung ließ mich nicht los und Lust dazu hatte ich auch nicht. Ich habe es auch nicht getan. Stattdessen schaltete sich meine Intelligenz ein und ich betrachtete mich von oben, denn ich weiß, dass es darum geht, nicht vor den Gefühlen wegzulaufen oder sie zu verdrängen, sondern sie anzunehmen und zu fühlen. Ich blieb also sitzen und ließ mein Gefühl zu. Ich ging in diese Einsamkeit, den Schmerz und in die Angst. Und was dann passierte, erstaunte mich zutiefst. Meine Wahrnehmung wurde ganz hell und genau. Nachdem ich wenige Minuten dieser Angst Raum gegeben hatte, fühlte ich plötzlich ganz viele verschiedene Gefühle, die sich abwechselten oder parallel auftauchten und wieder verschwanden. Dann wurde ich ganz ruhig und zufrieden. Ich fühlte mich selbst und das war ganz gut. Die Angst verschwand und ein Gefühl des Friedens stellte sich ein. Es war, als ob die Angst selbst zufrieden geworden war, weil sie sich gesehen fühlte. Sie wollte einfach nur wahrgenommen werden. Nur wenn ich in meinem üblichen Muster direkt in die Ablehnung der Angst gehe, wird sie so bedrohlich. Und in der Tat konnte ich die Erfahrung machen, dass angenommene Angst sich so schön wie ein Orgasmus anfühlen kann.

Nachtrag:

Das Erlebnis ist nun schon ein paar Wochen her. Es ist immer noch bedeutsam für mich und es hat sich seitdem etwas geändert: Ich habe viel mehr Liebe für mich und keine Angst mehr vorm Alleinsein.

Liebe dich selbst

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Eine Reise in das Gefühl

Ich sitze in einem Gruppenraum mit dreizehn anderen Menschen auf dem Boden und gehe unter Führung der beiden Coach-Frauen in eine Meditation. Thema ist die Vision meiner Partnerschaft mit einer Frau, meine Liebesbeziehung. Meine Augen sind geschlossen, zunächst führt die Meditation in die körperliche Entspannung um sodann das Bild der Frau in der Vorstellung wachzurufen. Ich soll mir vorstellen, wie wir uns treffen, wie sie aussieht, riecht, was sie sagt, wie sie lacht. Wir kommen uns näher. Wir blicken uns in die Augen … Die geführte Meditation geht weiter, doch ich steige aus. Der Schmerz ist zu groß. Ich weine. Ich gehe in den Schmerz. Ich kann mir keine glückliche Beziehung vorstellen, weil meine große Liebe so unglücklich ist. Ich höre Worte der Meditationsleiterin. „Stellt Euch vor, Ihr seid beide alt und sitzt zusammen auf Eurem Lieblingssofa und schaut auf Euer Leben zurück. Feiert das gemeinsame Lebenswerk…“ Ich kann nicht. Es überwältigt mich, die Tränen, der Schmerz.
Dann werden wir aus der Meditation herausgeführt. Wir sollen nun ein Bild malen – von unserer Vision. Jemand gibt mir Wachsmalstifte und ein großes Malblatt. Ich sitze davor. Die anderen fangen an zu malen, eifrig, das Geräusch der malenden Stifte erfüllt den Raum. Ich weine und weine und weine. Der Schmerz ist so stark – und so schön. Ich bin ganz tief an meinem Gefühl. Es wird wieder schlimm. Ich kann nichts malen. Ich habe keine Vision. Nur Schmerz. Das Blatt ist leer. Ich denke: ich soll, will ein Bild malen. Ich sitze und kauere meinen Kopf in meinen Arm. Die Tränen. Es dauert ewig, dann versuche ich das Blatt zu nehmen. Es liegt vor mir. Ich warte. Nein, es geht nicht. Nach einer Weile habe ich mich einigermaßen beruhigt. Ich schaue mich um. Alle eifrig am Malen, vertieft. Ich berühre das Blatt mit meinen Fingern. Die Tränen brechen wieder aus. Der Schmerz ist wieder da. Ich kann nicht malen. Nach 20 Minuten werden die Stifte eingesammelt. Alle setzen sich in einen Kreis. Wir sollen unsere Bilder zeigen. Ich warte. Drei Leute teilen: gemeinsames Haus, gerne am Meer, Kinder, Sonnenschein, Freunde. Ich will nicht als letzter dran kommen und dann allen den Tag verderben. Es ist der Abschluss des zweitägigen Workshops, der Höhepunkt. Also ergreife ich das Wort und zeige mein leeres Blatt. Ich zeige mich, mit meinem Schmerz und meiner fehlenden Vision. Es ist so traurig. Ich erkläre nicht viel, nur dass es der Schmerz über meine unglückliche Liebe ist. Einen Moment gibt es, da möchte ich laut rausweinen, das Gefühl ist da und ergreift die anderen. Sie spüren es auch. Doch ich nehme mich zurück. Mache es kurz. Die nächste Person kommt dran. Die anderen teilen. Der Workshop geht zu Ende. Zwei Frauen geben mir Rückmeldung: das sei sehr mutig gewesen.
Sie fuhren noch mit mir in der U-Bahn Richtung nach Hause. Wir reden noch darüber und zum Abschied drücken sie mich ganz herzlich. Wir waren in Kontakt, in echter Verbindung, tief, ehrlich, gefühlt. Es war für mich ein sehr intensiver Prozess auch nach dem Workshop, ich habe viel geweint und Schmerz gefühlt. Ich war noch den ganzen Sonntagabend und den Montagvormittag „entrückt“, ganz tief im Gefühl. Erst am Montagnachmittag war ich wieder im Alltagsbewusstsein und konnte ins Büro gehen. Da ging es mir dann sehr gut, ich war energetisch und kreativ.
Ich glaube, in diesem Tiefenprozess wurde viel geheilt. Heute, am Freitag, spüre ich so viele Gefühle: Freude, ausgelassene Lust, aber auch Widerwillen, wenn mir etwas nicht gefällt.Am Donnerstagmorgen hatte ich noch eine emotionale Tiefenerfahrung. Ich war in einer Aqua-Wellness-Behandlung im Liquidrom, Berlin, mit einer Körpertherapeutin. Das ging auch nochmal tief. An dem Wochenende waren am ersten Tag die Eltern das Thema. Ich hatte viele Anklagen gegen meine Mutter, die mich emotional nicht richtig behandelt hat. Ich sah aber in diesem zweiten Prozess, dass viel von dem Schmerz mit meiner Oma zu tun hat, die uns tagsüber betreut hat, weil meine Mutter immer im Laden war. Und jetzt fühle ich weniger Wut und mehr Liebe für meine Mutter.
Ich hatte auch einen Kontakt mit meiner höheren Macht (Göttin) und spürte eine Riesenangst, dass ich verloren bin, wenn ich mich ihr hingebe. Weil ich ja nicht weiß, wie diese Beziehung ist. Gleichzeitig spürte ich, dass es die primäre Beziehung ist, es war so eine Art Sehnen und eine Anrufung, die ganz aus meinem Gefühl kam, spontan und total emotional. Und ich erkannte, dass mir diese Beziehung zu Göttin-Gott meine ganzen Schatten zeigen kann und in der Hinbewegung zu Göttin-Gott diese Schatten verarbeitet werden. Das war auf dieser tiefen-emotionalen Ebene ganz klar. Und ich konnte diese Angst deutlich spüren. Wenn Menschen Gott ablehnen, dann ist das keine moralische Schwäche oder Bosheit, sondern die nackte Angst. Diese Angst ist natürlich die Angst vor dem real erfahrenen Verlassenwordensein in der Kindheit.
Die Frau begleitete mich sehr liebevoll und wir waren ca. 1,5 Std. im Wasser und immer in körperlicher Berührung. Es war so eine Art Floaten, die meiste Zeit lag ich auf dem Rücken, auf Schwimmhilfen, und sie bewegte mich. Manchmal rollte sie mich wie ein Baby ein. Meine Augen waren geschlossen, das (Salz-) Wasser hatte 36°, unter Wasser wurde schöne indische Musik eingespielt. Als es dann darum ging, wieder auf eigenen Beinen zu stehen und aus dieser Geborgenheit herauszugehen, spürte ich auch nochmal ganz viel Schmerz. Mir wurde klar, dass ich in der frühen Kindheit ausgesetzt wurde, bevor ich selbst dazu bereit war. Da war also die Unterbrechung. Ich hatte großen Schmerz und auch etwas Angst, die Stange am Beckenrand zu ergreifen und mich da alleine festzuhalten. Es dauerte lange, ich musste nochmal viel weinen. Ich wartete auf das Gefühl, jetzt alleine sein zu wollen. Ich überließ meinem Körper die Führung. Es dauerte lange, bis meine Hände wirklich die Stange festhielten und noch viel länger, bis meine Beine mitspielten. Mein Erwachsenen-Ich beobachtete das alles innerlich und ich wusste kognitiv, dass ich ja nicht ewig in dieser schützenden Geborgenheit mit der anderen Person bleiben konnte. Aber ich ließ den emotionalen Prozess zu und nahm mir alle Zeit, die ich brauchte, und so kam es zu einem von mir gefühlten Abschluss der Ablösungsbewegung. Die Therapeutin war bis zum Schluss bei mir und in Berührung. In der Nachbesprechung sprach sie selbst davon, dass dieser Übergang die heikelste Situation ist.

Meine Interpretation: Wenn in der Kindheit diese Trennung zu früh erfolgt, zerstört das die innere Ganzheit, weil es eigentlich eine Bewegung zu mir hin ist, die freiwillig erfolgen muss, dann wenn ich bereit dazu bin, also den Mut und das Selbstvertrauen dazu habe. Wenn dieser Übergang klappt, ist alles gut. Es ist eigentlich auch ganz einfach. Die Eltern müssen einfach lange genug da bleiben, bis das Kind sich von selbst ablöst. Wenn das einmal gut gegangen ist, ist es das nächste Mal schon ganz leicht und geht schnell. Wenn es aber schief gegangen ist, bleibt da erstmal ein Bruch, und den zu heilen ist in etwa so schwer wie ein zerbrochenes Glas zu flicken. Es wird immer eine Sollbruchstelle haben und auch nicht mehr schön aussehen. Es ist nicht mehr ganz. Gleichwohl glaube ich, dass bei mir eine Ganzwerdung möglich ist, ich bin ja schließlich kein Glas!

Was auch noch sehr bemerkenswert, aber am Anfang gar nicht schön war: der emotionale Kontakt zu der mich behandelnden Person. Am Anfang war ich noch verspannt und fühlte mich sehr getrennt. Ich fand, dass mich der Kontakt nicht befriedigte. Sie berührte mich zwar und hielt mich im Wasser, aber ich konnte sie nicht berühren. Ich hatte auch Gedanken, dass ich eher eine sexuelle Befriedigung bräuchte. Dabei hatte ich aber auch viele schmerzhafte Gefühle des Verlassenseins und der Einsamkeit. Ich weinte wieder und ließ die Gefühle zu, so gut ich konnte. Erst in der zweiten Hälfte der Zeit entstand dann echte Nähe, die aber rein sensuell und nicht sexuell war. Das Vertrauen und die gewachsene Intimität gaben es jetzt her, dass wir uns gegenseitig berührten, indem sie mich hielt und ich meinen Arm um sie legte oder meinen Kopf anlehnte. Das fühlte sich echt an, in Kontakt. Es geht um innere, seelische, emotionale Nähe, um gefühlte Verbindung. Die sexuellen Wunschgedanken waren verschwunden. Sie waren tatsächlich süchtige Motive, um den Schmerz der Getrenntheit zuzudecken, also um nichts zu fühlen. Auch hier ist wieder etwas geheilt, indem ich die echten aufrichtigen Gefühle des Schmerzes zugelassen habe.
Ich hatte dann heute im Email-Kontakt mit einer attraktiven Freundin keine übergriffigen sexuellen Phantasien. Stattdessen konnte ich sie in ihrer Ganzheit und persönlichen Eigenständigkeit respektieren und fühlen. Es gab kein lüsternes Verlangen.

Ich finde es total schön, diese Gefühle durchleben zu können und darin zu heilen, meinen kleinen Ronald in den Arm zu nehmen und mir selbst ein Vater zu werden. Ich glaube fest daran, dass diese alten Gefühle nur einmal gefühlt werden wollen und wenn das ganz und gründlich geschehen ist, lassen sie uns für immer in Frieden und wir sind wieder heil.

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Gefühle, Selbst

Brene Brown: The power of vulnerability | Video on TED.com

Brene Brown: The power of vulnerability | Video on TED.com.

Das Wichtigste aus dem Inhalt:

Verbindung ist das, worum es geht. Scham ist die Angst vor Nichtverbundensein. Die Angst, dass ich der Verbindung nicht würdig bin.
Es geht um ein Gefühl, es wert zu sein, um Würdigkeit.
Menschen, die ein starkes Gefühl der Liebe und Zugehörigkeit haben, glauben, dass sie diese Liebe und Zugehörigkeit wert sind.
Menschen mit gutem Selbstwert haben Courage. Das Wort kommt von dem lateinische „cor“, was Herz bedeutet. Sie leben von ganzem Herzen und haben das Herz, sich so zu zeigen, wie sie sind. Sie haben die Courage, unvollkommen zu sein. Aufgrund ihrer Authentizität sind sie in der Lage, die Vorstellung loszulassen, wer sie sein sollten, um die zu sein, die sie sind. Sie nehmen auch ihre Verletztlichkeit voll und ganz an. Sie glauben, dass das, was sie verletztlich macht, sie auch schön macht. Verletztlichkeit ist die Bereitschaft, als erster zu sagen „Ich liebe dich.“ und Dinge zu tun, bei denen es keine Garantien gibt.
Wie würdest du Verletztlichkeit definieren? Was macht dich verletzlich?
Man kann Emotionen nicht selektiv betäuben. Wenn wir Schmerz, Verletztlichkeit, Trauer, Scham, Angst, Enttäuschung betäuben, dann betäuben wir auch Freude, Dankbarkeit, Glücklichsein.
Es ist nicht immer Sucht, warum wir uns betäuben. Es ist auch der Versuch, Gewissheit herzustellen. Wir wollen Recht haben. Schuld ist eine Methode, um Schmerz und Unbehagen zu entladen. Wir wollen perfektionieren.
Die Aufgabe gegenüber unseren Kindern ist nicht, sie perfekt zu halten, sondern ihnen zu sagen: „Du bist unvollkommen, und du bist als Mensch dazu prädestiniert, Probleme zu haben. Aber du bist es wert geliebt zu werden und dazuzugehören.“
Der Weg ist, zuzulassen, dass wir tief gesehen werden, in unserer Verletztlichkeit. Und mit unserem ganzen Herzen zu lieben, auch wenn es keine Garantie gibt. Und daran zu glauben, dass wir genug sind.

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