Sein-Kolumne

Katastrophik

Der spirituell interessierte Mensch kennt sich aus mit den Weltuntergangsszenarios. 2012 und das Ende des Maya-Kalenders sind hier nur die Spitze des Eisbergs. Wir hören u.a. von einem Finanzcrash, der eintreten soll, von der Ankunft der Außerirdischen, was die Menschheit erschüttern wird, von ökologischen Katastrophen und von einem Ende unserer Zivilisation, wie wir sie kennen. Komplementär dazu glauben viele an den Beginn eines neuen Zeitalters der Erwachten, wo unsere spirituelle Nische zum gesamtgesellschaftlichen Phänomen anschwellen wird.

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Allen diesen Zukunftserwartungen ist eines gemeinsam: Sie sind reine Vorstellungen. Der Philosoph Walter Benjamin prägte den Satz: „Die Katastrophe ist nicht das, was uns droht, sondern dass es immer so weiter geht.“

Das Drohende ist etwas in der Zukunft. Es ist nicht jetzt und nicht hier. Es macht Angst und lähmt unsere Handlungskraft. Während wir also das, was in der Zukunft droht – oder verheißen wird – in unserer Aufmerksamkeit haben, verlieren wir das aus dem Blick, was wirklich ist: das Sein, das Hier und Jetzt.

Nur hier und jetzt können wir handeln und etwas verändern. Um aber eine richtige Handlung bestimmen und ausführen zu können, müssen wir zuerst erkennen und anerkennen, was ist.

All zu gerne bewerten und beurteilen wir und reden es schöner oder hässlicher, als es ist. Nur all zu ungern gestehen wir uns und anderen die reine Wahrheit ein. Die Wahrheit über unsere Unzulänglichkeiten, Ängste, Schwächen. Aber das ist es, was uns zu Menschen macht. Wären wir vollkommen, wären wir keine Menschen.

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„Ich bin der, der ich bin“, war der Satz, den Gott im Dornbusch sprach. Damals galt dies nur für Gott und es war das, was ihn zu Gott machte: die vollkommene Selbstidentität und unverstellte Selbstannahme. Heute sind wir Menschen so weit, die zu werden, die wir sind. Wir sind weder so heilig, dass wir alle erleuchtet sein werden, noch sind wir so sündig, dass wir in einer höllischen Katastrophe enden werden. Es wird einfach immer so weiter gehen. Es sei denn, wir nehmen unsere Verantwortung an und tun, was in unserer Macht steht.

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