in dieser Ausgabe finden Sie gleich vier Artikel, die sich aus verschiedenen Richtungen mit dem »Ich« beschäftigen.
Das Ich ist berühmt und zugleich berüchtigt. Einerseits ist es das, was wir als unsere eigene Persönlichkeit betrachten, womit wir uns identifizieren und es ist das Wort, das wir benutzen, wenn wir uns selbst meinen. Andererseits gilt das Ich in vielen spirituellen Ansätzen geradezu als die Ursache des Leids. »Das getrennte Selbst ist die Ursache des Leidens«, sagen der Buddhismus und der monistische Vedanta und wollen uns erzählen, dass es das Ich nicht gibt. Sobald wir das erkannt hätten, gäbe es auch kein Leiden mehr.
Nun hat aber gerade die westliche Kultur diese große Errungenschaft der Autonomie des Subjekts hervorgebracht. Kant hat uns aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit geführt und uns zugerufen: »Sapere aude!« – »Wagt es, zu wissen!«
Die integrale Philosophie spricht von sich entwickelnden Kulturstufen und weist darauf hin, dass es prä-egoische Kulturen gab, die rein kollektivistisch organisiert waren. Das einzelne Ich zählte nichts, der Mensch war Teil eines Kollektivs, eines Stammes, eines Volkes. Wir kennen diese Zeit noch sehr gut. Die großen politischen Strömungen des 20. Jh., der Nationalsozialismus und der Kommunismus, waren kollektivistische Strömungen, und die Religionen, wie Christentum und Islam, sind es ebenso.
Gleichwohl hat der Westen mit der Entstehung des Bürgertums bereits im 17./18. Jh. die Autonomie des Subjekts, das Ich, eingeläutet.
Heute kommt es nun zur vollen Blüte. Egoismus und Selbstbesessenheit sind nur die dunklen Seiten dieser Entwicklung. Die Autonomie des Ich hat auch ein enormes emanzipatives Potential. Wir werden zu mündigen Menschen, die für sich selbst Verantwortung zu übernehmen beginnen und aus den alten Schattenkämpfen langsam herauswachsen.
Wir werden zu selbst-bewussten Individuen, zu einzigartigen Ganzheiten. Wir werden ganz, wir werden erwachsen, wir werden selbst-ständig. Wir stehen selbst, wir stehen für unsere individuelle Wahrheit ein. Wir lernen, den anderen, den Gegen-Über, zu respektieren und kommunikative Mittel und Wege zu finden, um Interessenskonflikte zu lösen.
Nur in der Abgrenzung können wir Kontakt zum anderen finden und uns wirklich berühren. Wir treten aus den alten Abhängigkeitsmustern aus, indem wir zu uns selbst kommen, von der Ohnmacht erwachen.
Das Ich/Nicht-Ich, richtig verstanden, ist der Montagepunkt, an dem sich die alten Widersprüche auflösen lassen. Das Ich wurde philosophisch und spirituell bis dato nicht korrekt integriert. Es wird Zeit, das wir Menschen ihm nun auf die Spur kommen. Schließlich geht es hier um uns selbst. Ich bin es, der mich erkennt. Wir sind alle »Ich-Michs«, selbstreflexive Wesen.